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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilige Allianz.

ihn -- er hat es später dem Staatskanzler Hardenberg selbst gestanden -- vor¬
wiegend die eine Sorge, nicht verhindern zu können, daß das notwendige Er¬
gebnis von der Zertrümmerung des französischen Kolosses eine ungeheure Macht-
Vergrößerung Rußlands werde. Diese Furcht brachte im Jahre 1.817 Metternich
dahin, Preußen insgeheim ein Schutz- und Trutzbünduis anzubieten, welches
Alexanders orientalischen Plänen einen Zaum überwerfen sollte. Golvwkin hatte
demnach vollkommen Recht, wenn er die Meinung äußerte, daß die Heilige
Allianz, dank den Intriguen Österreichs, der Gleichgültigkeit Englands und der
Schwäche Preußens, gar nicht vorhanden sei. War schon das ans dem Wiener
Kongreß aufgerichtete System nicht eine Schöpfung der Eintracht, sondern ein
als Notbehelf entstandener Kompromiß, den der gegenseitige Argwohn der ma߬
gebenden Gewalten geschlossen hatte, so brachte auch die Heilige Allianz die
fehlende Eintracht nicht hinein.

Und doch ist dieser wesenlose Schatten von den Zeitgenossen als eine furcht¬
bare Macht angestaunt, Jahrzehnte lang als der böse Alp gehaßt worden, der
jede Geistesfreiheit, jeden politischen Fortschritt erdrückte und erstickte. Wie er¬
klärt sich dieser Widerspruch?

Wenn die Heilige Allianz zu einem Inbegriff von allem, was Absolutismus
und Reaktion heißt, geworden ist, so trägt ihr Stifter davon nicht die unmittel-
bare Schuld. Alexander schwärmte für die Grundsätze des Liberalismus; die
Polen verdankten ihm eine Konstitution, auch den Russen eine ähnliche verleihen
zu können, war seine Hoffnung. Aber freilich ging dieser kaiserliche Liberalismus
seine eignen Wege. Von der Nebelhaftigkeit desselben erzählt Metternich ein
bezeichnendes Beispiel. Während seines Aufenthaltes in England verlangte der
Kaiser eines Tages von Lord Grey, er solle ihm einen Aufsatz über die Bildung
einer Opposition in Rußland vorlegen. "Gedenkt denn der Kaiser, äußerte
der Lord, dem dieser Auftrag natürlich ganz unverständlich war, zu Metternich,
bei sich ein Parlament einzuführen? In diesem Falle kann er im voraus der
Sorge um eine Opposition überhoben sein, sie wird ihm gewiß nicht fehlen."
Aber nicht bloß Rußland zu beglücken glaubte sich Alexander von der Vor¬
sehung ausersehen. sondern auch bei den übrigen Regierungen Europas seinen
zugleich autokratischen und liberalen Ideen zum Triumphe zu verhelfen. Er
stellte sich eine Art göttlicher Beauftragung vor, kraft deren die mit Allmacht
bekleideten, aber gern eine heilsame Kontrole annehmenden Herrscher das Recht
und die Pflicht hätten, stufenweise ihren Völkern genan die Dosis von Freiheit
zu gewähren, deren sie dieselben in ihrer souveränen Weisheit empfänglich halten
würden. Es gehört nun zu den größten Meisterstücken diplomatischer Kunst,
wie Metternich, dem seine stets gleich bleibende, kalte Selbstbeherrschung aller¬
dings ein großes Übergewicht über Alexanders unruhige Natur gab, diese ver¬
worrenen und darum unfruchtbaren Neigungen des Zaren in seine Netze zu
fangen, ihn von seinen liberalen Verirrungen zu Heilen, aus dem Schirmvogt der


Die Heilige Allianz.

ihn — er hat es später dem Staatskanzler Hardenberg selbst gestanden — vor¬
wiegend die eine Sorge, nicht verhindern zu können, daß das notwendige Er¬
gebnis von der Zertrümmerung des französischen Kolosses eine ungeheure Macht-
Vergrößerung Rußlands werde. Diese Furcht brachte im Jahre 1.817 Metternich
dahin, Preußen insgeheim ein Schutz- und Trutzbünduis anzubieten, welches
Alexanders orientalischen Plänen einen Zaum überwerfen sollte. Golvwkin hatte
demnach vollkommen Recht, wenn er die Meinung äußerte, daß die Heilige
Allianz, dank den Intriguen Österreichs, der Gleichgültigkeit Englands und der
Schwäche Preußens, gar nicht vorhanden sei. War schon das ans dem Wiener
Kongreß aufgerichtete System nicht eine Schöpfung der Eintracht, sondern ein
als Notbehelf entstandener Kompromiß, den der gegenseitige Argwohn der ma߬
gebenden Gewalten geschlossen hatte, so brachte auch die Heilige Allianz die
fehlende Eintracht nicht hinein.

Und doch ist dieser wesenlose Schatten von den Zeitgenossen als eine furcht¬
bare Macht angestaunt, Jahrzehnte lang als der böse Alp gehaßt worden, der
jede Geistesfreiheit, jeden politischen Fortschritt erdrückte und erstickte. Wie er¬
klärt sich dieser Widerspruch?

Wenn die Heilige Allianz zu einem Inbegriff von allem, was Absolutismus
und Reaktion heißt, geworden ist, so trägt ihr Stifter davon nicht die unmittel-
bare Schuld. Alexander schwärmte für die Grundsätze des Liberalismus; die
Polen verdankten ihm eine Konstitution, auch den Russen eine ähnliche verleihen
zu können, war seine Hoffnung. Aber freilich ging dieser kaiserliche Liberalismus
seine eignen Wege. Von der Nebelhaftigkeit desselben erzählt Metternich ein
bezeichnendes Beispiel. Während seines Aufenthaltes in England verlangte der
Kaiser eines Tages von Lord Grey, er solle ihm einen Aufsatz über die Bildung
einer Opposition in Rußland vorlegen. „Gedenkt denn der Kaiser, äußerte
der Lord, dem dieser Auftrag natürlich ganz unverständlich war, zu Metternich,
bei sich ein Parlament einzuführen? In diesem Falle kann er im voraus der
Sorge um eine Opposition überhoben sein, sie wird ihm gewiß nicht fehlen."
Aber nicht bloß Rußland zu beglücken glaubte sich Alexander von der Vor¬
sehung ausersehen. sondern auch bei den übrigen Regierungen Europas seinen
zugleich autokratischen und liberalen Ideen zum Triumphe zu verhelfen. Er
stellte sich eine Art göttlicher Beauftragung vor, kraft deren die mit Allmacht
bekleideten, aber gern eine heilsame Kontrole annehmenden Herrscher das Recht
und die Pflicht hätten, stufenweise ihren Völkern genan die Dosis von Freiheit
zu gewähren, deren sie dieselben in ihrer souveränen Weisheit empfänglich halten
würden. Es gehört nun zu den größten Meisterstücken diplomatischer Kunst,
wie Metternich, dem seine stets gleich bleibende, kalte Selbstbeherrschung aller¬
dings ein großes Übergewicht über Alexanders unruhige Natur gab, diese ver¬
worrenen und darum unfruchtbaren Neigungen des Zaren in seine Netze zu
fangen, ihn von seinen liberalen Verirrungen zu Heilen, aus dem Schirmvogt der


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[0206] Die Heilige Allianz. ihn — er hat es später dem Staatskanzler Hardenberg selbst gestanden — vor¬ wiegend die eine Sorge, nicht verhindern zu können, daß das notwendige Er¬ gebnis von der Zertrümmerung des französischen Kolosses eine ungeheure Macht- Vergrößerung Rußlands werde. Diese Furcht brachte im Jahre 1.817 Metternich dahin, Preußen insgeheim ein Schutz- und Trutzbünduis anzubieten, welches Alexanders orientalischen Plänen einen Zaum überwerfen sollte. Golvwkin hatte demnach vollkommen Recht, wenn er die Meinung äußerte, daß die Heilige Allianz, dank den Intriguen Österreichs, der Gleichgültigkeit Englands und der Schwäche Preußens, gar nicht vorhanden sei. War schon das ans dem Wiener Kongreß aufgerichtete System nicht eine Schöpfung der Eintracht, sondern ein als Notbehelf entstandener Kompromiß, den der gegenseitige Argwohn der ma߬ gebenden Gewalten geschlossen hatte, so brachte auch die Heilige Allianz die fehlende Eintracht nicht hinein. Und doch ist dieser wesenlose Schatten von den Zeitgenossen als eine furcht¬ bare Macht angestaunt, Jahrzehnte lang als der böse Alp gehaßt worden, der jede Geistesfreiheit, jeden politischen Fortschritt erdrückte und erstickte. Wie er¬ klärt sich dieser Widerspruch? Wenn die Heilige Allianz zu einem Inbegriff von allem, was Absolutismus und Reaktion heißt, geworden ist, so trägt ihr Stifter davon nicht die unmittel- bare Schuld. Alexander schwärmte für die Grundsätze des Liberalismus; die Polen verdankten ihm eine Konstitution, auch den Russen eine ähnliche verleihen zu können, war seine Hoffnung. Aber freilich ging dieser kaiserliche Liberalismus seine eignen Wege. Von der Nebelhaftigkeit desselben erzählt Metternich ein bezeichnendes Beispiel. Während seines Aufenthaltes in England verlangte der Kaiser eines Tages von Lord Grey, er solle ihm einen Aufsatz über die Bildung einer Opposition in Rußland vorlegen. „Gedenkt denn der Kaiser, äußerte der Lord, dem dieser Auftrag natürlich ganz unverständlich war, zu Metternich, bei sich ein Parlament einzuführen? In diesem Falle kann er im voraus der Sorge um eine Opposition überhoben sein, sie wird ihm gewiß nicht fehlen." Aber nicht bloß Rußland zu beglücken glaubte sich Alexander von der Vor¬ sehung ausersehen. sondern auch bei den übrigen Regierungen Europas seinen zugleich autokratischen und liberalen Ideen zum Triumphe zu verhelfen. Er stellte sich eine Art göttlicher Beauftragung vor, kraft deren die mit Allmacht bekleideten, aber gern eine heilsame Kontrole annehmenden Herrscher das Recht und die Pflicht hätten, stufenweise ihren Völkern genan die Dosis von Freiheit zu gewähren, deren sie dieselben in ihrer souveränen Weisheit empfänglich halten würden. Es gehört nun zu den größten Meisterstücken diplomatischer Kunst, wie Metternich, dem seine stets gleich bleibende, kalte Selbstbeherrschung aller¬ dings ein großes Übergewicht über Alexanders unruhige Natur gab, diese ver¬ worrenen und darum unfruchtbaren Neigungen des Zaren in seine Netze zu fangen, ihn von seinen liberalen Verirrungen zu Heilen, aus dem Schirmvogt der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/206>, abgerufen am 04.07.2024.