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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilige Allianz.

Etikettenrücksicht, keineswegs aus innerer Zustimmung. Am wenigsten war es
dem Sultan zu verdenken, wenn ihm dieser Bund, der seinen christlichen Cha¬
rakter so emphatisch hervorkehrte, ein sehr unbehagliches Gefühl verursachte.
Allein obgleich Alexander niemals vergessen hat, daß der Name, deu er trug,
ihm von seiner Großmutter um des Orients willen gegeben worden war, so
standen für deu Augenblick doch die orientalischen Plane bei ihm erst in zweiter
Linie und seine Versicherungen verscheuchten bald den nicht bloß in Stambul
erwachten Verdacht, als ob die Allianz nnr Vorspiel eines neuen Kreuzzugs
sein solle.

Aber selbst jene brüderliche Eintracht der drei Monarchen, von der der
Vertrag des 26. September so erbaulich sprach, hat in Wahrheit nicht einen
Tag bestanden, von russischer Seite so wenig wie von der Österreichs. Preußen
hat immer mehr nnr deu passiven Teilnehmer abgegeben. War unter Alexanders
nächsten Ratgebern der unbedeutende Nesselrode noch der am meisten österreichisch
gesinnte, so betrachteten dagegen Capodistrias und Pozzo ti Borgo alles, was
von Wien kam, mit dem äußersten Mißtrauen. > Die Berichte des russischen Ge¬
sandten in Wien, des Grafen Stnckelberg, atmen die äußerste Feindseligkeit gegen
die dem üußeru Scheine uach so eng befreundete Macht. Er beschuldigt das
abgefeimte österreichische Kabinet, daß es, seiner Schwäche sich Wohl bewußt,
Rußland, vor dem es sich fürchte, überall Feinde zu erwecken suche; Metternich
habe die Kunst verstanden, sich aus dem diplomatischen Korps in Wien ein
wahres Serail zu macheu, er aber werde sich niemals vor diesem Dalailama
beugen. Und Stackelbergs Nachfolger Gvlowkin gab Alexander beim Abschied
das bedeutsame Wort mit auf den Weg: "Der Traktat vom 3. Jcmnnr 1815°")
ist uns immer vor Augen." Metternich seinerseits hatte schon während des Auf¬
enthalts in Paris für die Allianz nichts als Spott und Hohn, und der Ver¬
traute seiner Gedanken. Gentz, schrieb wenige Monate später (Januar 1816):
"Die sogenannte Heilige Allianz ist eine politische Nullität und wird nie zu
einem ernstlichen Resultate führen; sie ist eine im Geiste übel angebrachter De¬
votion oder einfacher Eitelkeit erfundene Theaterdekoration, für Alexander nichts
als ein bequemes und harmloses Werkzeug, um auf die allgemeinen Angelegen¬
heiten den Einfluß zu übe", der ein Hauptziel seines Ehrgeizes ist, ein Werk¬
zeug, dessen er sich mit vielem Geschick bedient, das er aber an demselben Tage
zerbrechen wird, an welchem er glauben wird, es durch etwas wirksameres er¬
setzen zu können." Allein bei diesem mitleidigen Achselzucken des nüchternen
Staatsmannes über eine unpraktische Schwärmerei blieb es nicht; was Stackel-
berg über die Stimmung in Wien berichtete, war buchstäbliche Wahrheit. Seit
dem Augenblicke, wo die napoleonische Macht ins Warten gekommen our, drückte



*) Der hauptsächlich durch Tulleyraud nuf dem Wiener Kongreß zustande gebrachte Ge-
heimbund Österreichs, Englands und Frankreichs gegen Rußland und Preußen.
Die Heilige Allianz.

Etikettenrücksicht, keineswegs aus innerer Zustimmung. Am wenigsten war es
dem Sultan zu verdenken, wenn ihm dieser Bund, der seinen christlichen Cha¬
rakter so emphatisch hervorkehrte, ein sehr unbehagliches Gefühl verursachte.
Allein obgleich Alexander niemals vergessen hat, daß der Name, deu er trug,
ihm von seiner Großmutter um des Orients willen gegeben worden war, so
standen für deu Augenblick doch die orientalischen Plane bei ihm erst in zweiter
Linie und seine Versicherungen verscheuchten bald den nicht bloß in Stambul
erwachten Verdacht, als ob die Allianz nnr Vorspiel eines neuen Kreuzzugs
sein solle.

Aber selbst jene brüderliche Eintracht der drei Monarchen, von der der
Vertrag des 26. September so erbaulich sprach, hat in Wahrheit nicht einen
Tag bestanden, von russischer Seite so wenig wie von der Österreichs. Preußen
hat immer mehr nnr deu passiven Teilnehmer abgegeben. War unter Alexanders
nächsten Ratgebern der unbedeutende Nesselrode noch der am meisten österreichisch
gesinnte, so betrachteten dagegen Capodistrias und Pozzo ti Borgo alles, was
von Wien kam, mit dem äußersten Mißtrauen. > Die Berichte des russischen Ge¬
sandten in Wien, des Grafen Stnckelberg, atmen die äußerste Feindseligkeit gegen
die dem üußeru Scheine uach so eng befreundete Macht. Er beschuldigt das
abgefeimte österreichische Kabinet, daß es, seiner Schwäche sich Wohl bewußt,
Rußland, vor dem es sich fürchte, überall Feinde zu erwecken suche; Metternich
habe die Kunst verstanden, sich aus dem diplomatischen Korps in Wien ein
wahres Serail zu macheu, er aber werde sich niemals vor diesem Dalailama
beugen. Und Stackelbergs Nachfolger Gvlowkin gab Alexander beim Abschied
das bedeutsame Wort mit auf den Weg: „Der Traktat vom 3. Jcmnnr 1815°")
ist uns immer vor Augen." Metternich seinerseits hatte schon während des Auf¬
enthalts in Paris für die Allianz nichts als Spott und Hohn, und der Ver¬
traute seiner Gedanken. Gentz, schrieb wenige Monate später (Januar 1816):
„Die sogenannte Heilige Allianz ist eine politische Nullität und wird nie zu
einem ernstlichen Resultate führen; sie ist eine im Geiste übel angebrachter De¬
votion oder einfacher Eitelkeit erfundene Theaterdekoration, für Alexander nichts
als ein bequemes und harmloses Werkzeug, um auf die allgemeinen Angelegen¬
heiten den Einfluß zu übe», der ein Hauptziel seines Ehrgeizes ist, ein Werk¬
zeug, dessen er sich mit vielem Geschick bedient, das er aber an demselben Tage
zerbrechen wird, an welchem er glauben wird, es durch etwas wirksameres er¬
setzen zu können." Allein bei diesem mitleidigen Achselzucken des nüchternen
Staatsmannes über eine unpraktische Schwärmerei blieb es nicht; was Stackel-
berg über die Stimmung in Wien berichtete, war buchstäbliche Wahrheit. Seit
dem Augenblicke, wo die napoleonische Macht ins Warten gekommen our, drückte



*) Der hauptsächlich durch Tulleyraud nuf dem Wiener Kongreß zustande gebrachte Ge-
heimbund Österreichs, Englands und Frankreichs gegen Rußland und Preußen.
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[0205] Die Heilige Allianz. Etikettenrücksicht, keineswegs aus innerer Zustimmung. Am wenigsten war es dem Sultan zu verdenken, wenn ihm dieser Bund, der seinen christlichen Cha¬ rakter so emphatisch hervorkehrte, ein sehr unbehagliches Gefühl verursachte. Allein obgleich Alexander niemals vergessen hat, daß der Name, deu er trug, ihm von seiner Großmutter um des Orients willen gegeben worden war, so standen für deu Augenblick doch die orientalischen Plane bei ihm erst in zweiter Linie und seine Versicherungen verscheuchten bald den nicht bloß in Stambul erwachten Verdacht, als ob die Allianz nnr Vorspiel eines neuen Kreuzzugs sein solle. Aber selbst jene brüderliche Eintracht der drei Monarchen, von der der Vertrag des 26. September so erbaulich sprach, hat in Wahrheit nicht einen Tag bestanden, von russischer Seite so wenig wie von der Österreichs. Preußen hat immer mehr nnr deu passiven Teilnehmer abgegeben. War unter Alexanders nächsten Ratgebern der unbedeutende Nesselrode noch der am meisten österreichisch gesinnte, so betrachteten dagegen Capodistrias und Pozzo ti Borgo alles, was von Wien kam, mit dem äußersten Mißtrauen. > Die Berichte des russischen Ge¬ sandten in Wien, des Grafen Stnckelberg, atmen die äußerste Feindseligkeit gegen die dem üußeru Scheine uach so eng befreundete Macht. Er beschuldigt das abgefeimte österreichische Kabinet, daß es, seiner Schwäche sich Wohl bewußt, Rußland, vor dem es sich fürchte, überall Feinde zu erwecken suche; Metternich habe die Kunst verstanden, sich aus dem diplomatischen Korps in Wien ein wahres Serail zu macheu, er aber werde sich niemals vor diesem Dalailama beugen. Und Stackelbergs Nachfolger Gvlowkin gab Alexander beim Abschied das bedeutsame Wort mit auf den Weg: „Der Traktat vom 3. Jcmnnr 1815°") ist uns immer vor Augen." Metternich seinerseits hatte schon während des Auf¬ enthalts in Paris für die Allianz nichts als Spott und Hohn, und der Ver¬ traute seiner Gedanken. Gentz, schrieb wenige Monate später (Januar 1816): „Die sogenannte Heilige Allianz ist eine politische Nullität und wird nie zu einem ernstlichen Resultate führen; sie ist eine im Geiste übel angebrachter De¬ votion oder einfacher Eitelkeit erfundene Theaterdekoration, für Alexander nichts als ein bequemes und harmloses Werkzeug, um auf die allgemeinen Angelegen¬ heiten den Einfluß zu übe», der ein Hauptziel seines Ehrgeizes ist, ein Werk¬ zeug, dessen er sich mit vielem Geschick bedient, das er aber an demselben Tage zerbrechen wird, an welchem er glauben wird, es durch etwas wirksameres er¬ setzen zu können." Allein bei diesem mitleidigen Achselzucken des nüchternen Staatsmannes über eine unpraktische Schwärmerei blieb es nicht; was Stackel- berg über die Stimmung in Wien berichtete, war buchstäbliche Wahrheit. Seit dem Augenblicke, wo die napoleonische Macht ins Warten gekommen our, drückte *) Der hauptsächlich durch Tulleyraud nuf dem Wiener Kongreß zustande gebrachte Ge- heimbund Österreichs, Englands und Frankreichs gegen Rußland und Preußen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/205>, abgerufen am 04.07.2024.