Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Mitteilung dieses wunderlichen Schriftstückes, welches aus dein Christen¬
tum eine Intrigue machte, versetzte die beiden andern Souveräne in nicht geringe
Verlegenheit. Schien doch ein solcher ohne Mitwirkung irgend eines Ministers
vollzogene Stnatscckt eine kaum erträgliche Anomalie. Am wenigsten Schwierig¬
keit machte der König von Preußen. So sehr es der verschlossenen Art Friedrich
Wilhelms III. widersprach, das, was sein Innerstes bewegte, pathetisch, wie es
hier geschah, zur Schan zu stellen, so wünschte er doch nicht minder, der per¬
sönlichen Freundschaft, die ihn mit Alexander verband, Rechnung zu tragen als
dem Interesse seines von Neidern und Gegnern umdrängten Staates, dessen
tiefe Erschöpfung den Anschluß an Rußland notwendigerweise zum Leitstern
seiner Politik machte. Noch viel ferner lag der Jdeenkreis, in welchem sich
Alexanders Plan bewegte, der zähen, jeder schwungvolleren Auffassung unzu-
gänglichen, immer nur dem kleinlichsten Detail zustrebenden Trockenheit, in der
des Kaisers Franz von Österreich ganzes Wesen aufging. Indeß legte Alexander
so großen Eifer an den Tag, daß auch er ihm den Gefallen that, und am
26. September 1315 wurde die Heilige Allianz von den drei Monarchen unter¬
zeichnet.

Der ganze Hergang wäre nicht denkbar, wenn in dieser Erklärung nicht
doch etwas von der Stimmung der Zeit, von dem Gefühle der Gemeinsamkeit,
wie es durch den Kriegsbund gegen Napoleon in Fürsten und Völkern erwacht, von
dem Glauben an die Lenkung menschlicher Geschicke durch eine höhere Macht, wie
er durch die jüngsten Erfahrungen so erschütternd eingeprägt worden war, von
der Friedenssehnsucht, die Hoch und Niedrig erfüllte, seinen Ausdruck gefunden
hätte. Leichtgläubiger Kurzsichtigkeit mochte sie wohl als der Anbruch eines
neuen glückverheißenden Zeitalters erscheinen, und Varnhagen von Ense hat es
noch 1843 fertig gebracht, die Heilige Allianz als "das für immer ehrenvollste
Denkmal, wo Sieg und Macht den reinsten Zwecken huldigten," zu preisen.
Von den Staatsmännern blieb wohl kaum einem verborgen, welch ein Unding
dieser Bund sei, der die Grundsätze der individuellen Moral auf die Völker und
Staaten übertrug, ohne Rücksicht darauf, daß diese nicht bloß ethischen, sondern
auch elementaren Gesetzen gehorchen. Englands Beitritt lehnte Wellington rund¬
weg ab, teils der altenglischen Praxis gemäß, nie allgemeine Verpflichtungen
ohne konkreten Gehalt einzugehen, die leicht andre Verwicklungen nach sich ziehen
können, teils weil im voraus feststand, daß das Parlament einem dem öffent¬
lichen Rechte Englands so ganz widersprechenden Vertrage niemals seine Zu¬
stimmung erteilen würde; ähnlich der Papst, hinter dem Bunde zwischen einem
griechisch-katholischen und einem römisch-katholischen Kaiser und einem protestan¬
tischen Könige unionistische Ideen witternd, und "weil er von jeher im Besitze
der christlichen Wahrheit gewesen und es deshalb keiner neuen Darlegung der¬
selben bedürfe." Wenn sämmtliche übrige christliche Souveräne Europas nach
und uach beitraten, so geschah es meist uur aus einer Art von Courtoisie und


Die Mitteilung dieses wunderlichen Schriftstückes, welches aus dein Christen¬
tum eine Intrigue machte, versetzte die beiden andern Souveräne in nicht geringe
Verlegenheit. Schien doch ein solcher ohne Mitwirkung irgend eines Ministers
vollzogene Stnatscckt eine kaum erträgliche Anomalie. Am wenigsten Schwierig¬
keit machte der König von Preußen. So sehr es der verschlossenen Art Friedrich
Wilhelms III. widersprach, das, was sein Innerstes bewegte, pathetisch, wie es
hier geschah, zur Schan zu stellen, so wünschte er doch nicht minder, der per¬
sönlichen Freundschaft, die ihn mit Alexander verband, Rechnung zu tragen als
dem Interesse seines von Neidern und Gegnern umdrängten Staates, dessen
tiefe Erschöpfung den Anschluß an Rußland notwendigerweise zum Leitstern
seiner Politik machte. Noch viel ferner lag der Jdeenkreis, in welchem sich
Alexanders Plan bewegte, der zähen, jeder schwungvolleren Auffassung unzu-
gänglichen, immer nur dem kleinlichsten Detail zustrebenden Trockenheit, in der
des Kaisers Franz von Österreich ganzes Wesen aufging. Indeß legte Alexander
so großen Eifer an den Tag, daß auch er ihm den Gefallen that, und am
26. September 1315 wurde die Heilige Allianz von den drei Monarchen unter¬
zeichnet.

Der ganze Hergang wäre nicht denkbar, wenn in dieser Erklärung nicht
doch etwas von der Stimmung der Zeit, von dem Gefühle der Gemeinsamkeit,
wie es durch den Kriegsbund gegen Napoleon in Fürsten und Völkern erwacht, von
dem Glauben an die Lenkung menschlicher Geschicke durch eine höhere Macht, wie
er durch die jüngsten Erfahrungen so erschütternd eingeprägt worden war, von
der Friedenssehnsucht, die Hoch und Niedrig erfüllte, seinen Ausdruck gefunden
hätte. Leichtgläubiger Kurzsichtigkeit mochte sie wohl als der Anbruch eines
neuen glückverheißenden Zeitalters erscheinen, und Varnhagen von Ense hat es
noch 1843 fertig gebracht, die Heilige Allianz als „das für immer ehrenvollste
Denkmal, wo Sieg und Macht den reinsten Zwecken huldigten," zu preisen.
Von den Staatsmännern blieb wohl kaum einem verborgen, welch ein Unding
dieser Bund sei, der die Grundsätze der individuellen Moral auf die Völker und
Staaten übertrug, ohne Rücksicht darauf, daß diese nicht bloß ethischen, sondern
auch elementaren Gesetzen gehorchen. Englands Beitritt lehnte Wellington rund¬
weg ab, teils der altenglischen Praxis gemäß, nie allgemeine Verpflichtungen
ohne konkreten Gehalt einzugehen, die leicht andre Verwicklungen nach sich ziehen
können, teils weil im voraus feststand, daß das Parlament einem dem öffent¬
lichen Rechte Englands so ganz widersprechenden Vertrage niemals seine Zu¬
stimmung erteilen würde; ähnlich der Papst, hinter dem Bunde zwischen einem
griechisch-katholischen und einem römisch-katholischen Kaiser und einem protestan¬
tischen Könige unionistische Ideen witternd, und „weil er von jeher im Besitze
der christlichen Wahrheit gewesen und es deshalb keiner neuen Darlegung der¬
selben bedürfe." Wenn sämmtliche übrige christliche Souveräne Europas nach
und uach beitraten, so geschah es meist uur aus einer Art von Courtoisie und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193545"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_651"> Die Mitteilung dieses wunderlichen Schriftstückes, welches aus dein Christen¬<lb/>
tum eine Intrigue machte, versetzte die beiden andern Souveräne in nicht geringe<lb/>
Verlegenheit. Schien doch ein solcher ohne Mitwirkung irgend eines Ministers<lb/>
vollzogene Stnatscckt eine kaum erträgliche Anomalie. Am wenigsten Schwierig¬<lb/>
keit machte der König von Preußen. So sehr es der verschlossenen Art Friedrich<lb/>
Wilhelms III. widersprach, das, was sein Innerstes bewegte, pathetisch, wie es<lb/>
hier geschah, zur Schan zu stellen, so wünschte er doch nicht minder, der per¬<lb/>
sönlichen Freundschaft, die ihn mit Alexander verband, Rechnung zu tragen als<lb/>
dem Interesse seines von Neidern und Gegnern umdrängten Staates, dessen<lb/>
tiefe Erschöpfung den Anschluß an Rußland notwendigerweise zum Leitstern<lb/>
seiner Politik machte. Noch viel ferner lag der Jdeenkreis, in welchem sich<lb/>
Alexanders Plan bewegte, der zähen, jeder schwungvolleren Auffassung unzu-<lb/>
gänglichen, immer nur dem kleinlichsten Detail zustrebenden Trockenheit, in der<lb/>
des Kaisers Franz von Österreich ganzes Wesen aufging. Indeß legte Alexander<lb/>
so großen Eifer an den Tag, daß auch er ihm den Gefallen that, und am<lb/>
26. September 1315 wurde die Heilige Allianz von den drei Monarchen unter¬<lb/>
zeichnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652" next="#ID_653"> Der ganze Hergang wäre nicht denkbar, wenn in dieser Erklärung nicht<lb/>
doch etwas von der Stimmung der Zeit, von dem Gefühle der Gemeinsamkeit,<lb/>
wie es durch den Kriegsbund gegen Napoleon in Fürsten und Völkern erwacht, von<lb/>
dem Glauben an die Lenkung menschlicher Geschicke durch eine höhere Macht, wie<lb/>
er durch die jüngsten Erfahrungen so erschütternd eingeprägt worden war, von<lb/>
der Friedenssehnsucht, die Hoch und Niedrig erfüllte, seinen Ausdruck gefunden<lb/>
hätte. Leichtgläubiger Kurzsichtigkeit mochte sie wohl als der Anbruch eines<lb/>
neuen glückverheißenden Zeitalters erscheinen, und Varnhagen von Ense hat es<lb/>
noch 1843 fertig gebracht, die Heilige Allianz als &#x201E;das für immer ehrenvollste<lb/>
Denkmal, wo Sieg und Macht den reinsten Zwecken huldigten," zu preisen.<lb/>
Von den Staatsmännern blieb wohl kaum einem verborgen, welch ein Unding<lb/>
dieser Bund sei, der die Grundsätze der individuellen Moral auf die Völker und<lb/>
Staaten übertrug, ohne Rücksicht darauf, daß diese nicht bloß ethischen, sondern<lb/>
auch elementaren Gesetzen gehorchen. Englands Beitritt lehnte Wellington rund¬<lb/>
weg ab, teils der altenglischen Praxis gemäß, nie allgemeine Verpflichtungen<lb/>
ohne konkreten Gehalt einzugehen, die leicht andre Verwicklungen nach sich ziehen<lb/>
können, teils weil im voraus feststand, daß das Parlament einem dem öffent¬<lb/>
lichen Rechte Englands so ganz widersprechenden Vertrage niemals seine Zu¬<lb/>
stimmung erteilen würde; ähnlich der Papst, hinter dem Bunde zwischen einem<lb/>
griechisch-katholischen und einem römisch-katholischen Kaiser und einem protestan¬<lb/>
tischen Könige unionistische Ideen witternd, und &#x201E;weil er von jeher im Besitze<lb/>
der christlichen Wahrheit gewesen und es deshalb keiner neuen Darlegung der¬<lb/>
selben bedürfe." Wenn sämmtliche übrige christliche Souveräne Europas nach<lb/>
und uach beitraten, so geschah es meist uur aus einer Art von Courtoisie und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0204] Die Mitteilung dieses wunderlichen Schriftstückes, welches aus dein Christen¬ tum eine Intrigue machte, versetzte die beiden andern Souveräne in nicht geringe Verlegenheit. Schien doch ein solcher ohne Mitwirkung irgend eines Ministers vollzogene Stnatscckt eine kaum erträgliche Anomalie. Am wenigsten Schwierig¬ keit machte der König von Preußen. So sehr es der verschlossenen Art Friedrich Wilhelms III. widersprach, das, was sein Innerstes bewegte, pathetisch, wie es hier geschah, zur Schan zu stellen, so wünschte er doch nicht minder, der per¬ sönlichen Freundschaft, die ihn mit Alexander verband, Rechnung zu tragen als dem Interesse seines von Neidern und Gegnern umdrängten Staates, dessen tiefe Erschöpfung den Anschluß an Rußland notwendigerweise zum Leitstern seiner Politik machte. Noch viel ferner lag der Jdeenkreis, in welchem sich Alexanders Plan bewegte, der zähen, jeder schwungvolleren Auffassung unzu- gänglichen, immer nur dem kleinlichsten Detail zustrebenden Trockenheit, in der des Kaisers Franz von Österreich ganzes Wesen aufging. Indeß legte Alexander so großen Eifer an den Tag, daß auch er ihm den Gefallen that, und am 26. September 1315 wurde die Heilige Allianz von den drei Monarchen unter¬ zeichnet. Der ganze Hergang wäre nicht denkbar, wenn in dieser Erklärung nicht doch etwas von der Stimmung der Zeit, von dem Gefühle der Gemeinsamkeit, wie es durch den Kriegsbund gegen Napoleon in Fürsten und Völkern erwacht, von dem Glauben an die Lenkung menschlicher Geschicke durch eine höhere Macht, wie er durch die jüngsten Erfahrungen so erschütternd eingeprägt worden war, von der Friedenssehnsucht, die Hoch und Niedrig erfüllte, seinen Ausdruck gefunden hätte. Leichtgläubiger Kurzsichtigkeit mochte sie wohl als der Anbruch eines neuen glückverheißenden Zeitalters erscheinen, und Varnhagen von Ense hat es noch 1843 fertig gebracht, die Heilige Allianz als „das für immer ehrenvollste Denkmal, wo Sieg und Macht den reinsten Zwecken huldigten," zu preisen. Von den Staatsmännern blieb wohl kaum einem verborgen, welch ein Unding dieser Bund sei, der die Grundsätze der individuellen Moral auf die Völker und Staaten übertrug, ohne Rücksicht darauf, daß diese nicht bloß ethischen, sondern auch elementaren Gesetzen gehorchen. Englands Beitritt lehnte Wellington rund¬ weg ab, teils der altenglischen Praxis gemäß, nie allgemeine Verpflichtungen ohne konkreten Gehalt einzugehen, die leicht andre Verwicklungen nach sich ziehen können, teils weil im voraus feststand, daß das Parlament einem dem öffent¬ lichen Rechte Englands so ganz widersprechenden Vertrage niemals seine Zu¬ stimmung erteilen würde; ähnlich der Papst, hinter dem Bunde zwischen einem griechisch-katholischen und einem römisch-katholischen Kaiser und einem protestan¬ tischen Könige unionistische Ideen witternd, und „weil er von jeher im Besitze der christlichen Wahrheit gewesen und es deshalb keiner neuen Darlegung der¬ selben bedürfe." Wenn sämmtliche übrige christliche Souveräne Europas nach und uach beitraten, so geschah es meist uur aus einer Art von Courtoisie und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/204
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/204>, abgerufen am 04.07.2024.