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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilige Allianz.

druck auf ihn, daß er im folgenden Jahre sie dringend nach Paris einlud. Hier
erörterte er in vertrauten Unterredungen mit ihr die Geheimnisse der Dogmatik
und ließ sich von ihr Anleitung zu Buß- und Betülmngen geben. Die gewohnte
Galanterie schien ganz von ihm gewichen, die schönsten und liebenswürdigsten
Pariserinnen hatten keinen Reiz mehr für sein zerknirschtes Gemüt. In diesem
Verkehr mit der Krüdener war es, wo in Alexanders Seele der Plan der Hei¬
ligen Allianz wenn nicht znerst gefaßt, so doch gezeitigt wurde.

Höchst bezeichnend für sein ganzes Wesen ist nun die Art, wie er diesen
Beweis christlicher Nächstenliebe seinen Verbündeten vorlegte. Es geschah am
Schlüsse der großen Musterung über die russischen Truppen auf der Ebene von
Vertu, die er ausdrücklich zu diesem Zwecke veranstaltet hatte, um den Monarchen
von Osterreich und Preußen recht eindringlich vor Augen zu führen, welche
Machtmittel Rußland bei der bevorstehenden Entscheidung der schwebenden po¬
litischen Fragen in die Wagschale zu werfen habe, und die auch von jenen in
diesem Sinne verstanden wurde. Der Entwurf war von Alexanders eigener
Hand. "Infolge der großen Ereignisse der letzten Jahre, so lautete er, und
insbesondre der Wohlthaten, welche die göttliche Vorsehung den Staaten er¬
wiesen hat, die ihr Vertrauen allein auf sie setzten, haben die drei Monarchen
die Überzeugung von der Notwendigkeit gewonnen, ihre gegenseitigen Beziehungen
auf die erhabenen Wahrheiten zu gründen, welche uns die Religion des gött¬
lichen Heilands lehrt. Sie erklären feierlich, daß der gegenwärtige Akt nur den
Zweck hat, im Angesicht der ganzen Welt ihren unerschütterlichen Entschluß zu
bekunden, zur Richtschnur ihres Verhaltens im Innern ihrer Staaten wie nach
außen nur die Vorschriften dieser heiligen Religion, die Vorschriften der Ge¬
rechtigkeit, Liebe und Friedfertigkeit zu nehmen. In Gemäßheit der Heilige"
Schrift, welche allen Menschen befiehlt, sich als Brüder zu betrachten, werden
sie vereinigt bleiben durch die Baude einer wahren und unauflöslichen Brüder¬
lichkeit, sich als Landsleute ansehen und sich bei jeder Gelegenheit Hilfe und
Beistand leisten, sie werden sich ihren Unterthanen und Armen gegenüber als
Familienväter betrachten und dieselben im Geiste der Brüderlichkeit leiten, um
Religion, Gerechtigkeit und Frieden z" beschützen. Demnach betrachten sie sich
nur als die Bevollmächtigten der Vorsehung, um drei Zweige einer und derselben
Familie zu regieren, damit bekennend, daß ein christliches Volk in Wahrheit keinen
andern Souverän hat als den, dem allein die Macht gehört, weil in ihm allein
der Schatz der Liebe, der Erkenntnis und der Weisheit liegt. Ihre Majestäten
empfehlen daher ihren Völkern mit der zärtlichsten Sorgfalt als das einzige
Mittel, dieses Friedens teilhaftig zu werden, sich täglich mehr zu befestigen
in den Grundsätzen und in der Erfüllung der Pflichten, welche der göttliche
Heiland den Menschen gelehrt hat. Alle Mächte, welche sich zu diesen Grund¬
sätzen bekennen, werden mit Freudell in diese Heilige Allianz aufgenommen
werden."


Die Heilige Allianz.

druck auf ihn, daß er im folgenden Jahre sie dringend nach Paris einlud. Hier
erörterte er in vertrauten Unterredungen mit ihr die Geheimnisse der Dogmatik
und ließ sich von ihr Anleitung zu Buß- und Betülmngen geben. Die gewohnte
Galanterie schien ganz von ihm gewichen, die schönsten und liebenswürdigsten
Pariserinnen hatten keinen Reiz mehr für sein zerknirschtes Gemüt. In diesem
Verkehr mit der Krüdener war es, wo in Alexanders Seele der Plan der Hei¬
ligen Allianz wenn nicht znerst gefaßt, so doch gezeitigt wurde.

Höchst bezeichnend für sein ganzes Wesen ist nun die Art, wie er diesen
Beweis christlicher Nächstenliebe seinen Verbündeten vorlegte. Es geschah am
Schlüsse der großen Musterung über die russischen Truppen auf der Ebene von
Vertu, die er ausdrücklich zu diesem Zwecke veranstaltet hatte, um den Monarchen
von Osterreich und Preußen recht eindringlich vor Augen zu führen, welche
Machtmittel Rußland bei der bevorstehenden Entscheidung der schwebenden po¬
litischen Fragen in die Wagschale zu werfen habe, und die auch von jenen in
diesem Sinne verstanden wurde. Der Entwurf war von Alexanders eigener
Hand. „Infolge der großen Ereignisse der letzten Jahre, so lautete er, und
insbesondre der Wohlthaten, welche die göttliche Vorsehung den Staaten er¬
wiesen hat, die ihr Vertrauen allein auf sie setzten, haben die drei Monarchen
die Überzeugung von der Notwendigkeit gewonnen, ihre gegenseitigen Beziehungen
auf die erhabenen Wahrheiten zu gründen, welche uns die Religion des gött¬
lichen Heilands lehrt. Sie erklären feierlich, daß der gegenwärtige Akt nur den
Zweck hat, im Angesicht der ganzen Welt ihren unerschütterlichen Entschluß zu
bekunden, zur Richtschnur ihres Verhaltens im Innern ihrer Staaten wie nach
außen nur die Vorschriften dieser heiligen Religion, die Vorschriften der Ge¬
rechtigkeit, Liebe und Friedfertigkeit zu nehmen. In Gemäßheit der Heilige»
Schrift, welche allen Menschen befiehlt, sich als Brüder zu betrachten, werden
sie vereinigt bleiben durch die Baude einer wahren und unauflöslichen Brüder¬
lichkeit, sich als Landsleute ansehen und sich bei jeder Gelegenheit Hilfe und
Beistand leisten, sie werden sich ihren Unterthanen und Armen gegenüber als
Familienväter betrachten und dieselben im Geiste der Brüderlichkeit leiten, um
Religion, Gerechtigkeit und Frieden z» beschützen. Demnach betrachten sie sich
nur als die Bevollmächtigten der Vorsehung, um drei Zweige einer und derselben
Familie zu regieren, damit bekennend, daß ein christliches Volk in Wahrheit keinen
andern Souverän hat als den, dem allein die Macht gehört, weil in ihm allein
der Schatz der Liebe, der Erkenntnis und der Weisheit liegt. Ihre Majestäten
empfehlen daher ihren Völkern mit der zärtlichsten Sorgfalt als das einzige
Mittel, dieses Friedens teilhaftig zu werden, sich täglich mehr zu befestigen
in den Grundsätzen und in der Erfüllung der Pflichten, welche der göttliche
Heiland den Menschen gelehrt hat. Alle Mächte, welche sich zu diesen Grund¬
sätzen bekennen, werden mit Freudell in diese Heilige Allianz aufgenommen
werden."


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[0203] Die Heilige Allianz. druck auf ihn, daß er im folgenden Jahre sie dringend nach Paris einlud. Hier erörterte er in vertrauten Unterredungen mit ihr die Geheimnisse der Dogmatik und ließ sich von ihr Anleitung zu Buß- und Betülmngen geben. Die gewohnte Galanterie schien ganz von ihm gewichen, die schönsten und liebenswürdigsten Pariserinnen hatten keinen Reiz mehr für sein zerknirschtes Gemüt. In diesem Verkehr mit der Krüdener war es, wo in Alexanders Seele der Plan der Hei¬ ligen Allianz wenn nicht znerst gefaßt, so doch gezeitigt wurde. Höchst bezeichnend für sein ganzes Wesen ist nun die Art, wie er diesen Beweis christlicher Nächstenliebe seinen Verbündeten vorlegte. Es geschah am Schlüsse der großen Musterung über die russischen Truppen auf der Ebene von Vertu, die er ausdrücklich zu diesem Zwecke veranstaltet hatte, um den Monarchen von Osterreich und Preußen recht eindringlich vor Augen zu führen, welche Machtmittel Rußland bei der bevorstehenden Entscheidung der schwebenden po¬ litischen Fragen in die Wagschale zu werfen habe, und die auch von jenen in diesem Sinne verstanden wurde. Der Entwurf war von Alexanders eigener Hand. „Infolge der großen Ereignisse der letzten Jahre, so lautete er, und insbesondre der Wohlthaten, welche die göttliche Vorsehung den Staaten er¬ wiesen hat, die ihr Vertrauen allein auf sie setzten, haben die drei Monarchen die Überzeugung von der Notwendigkeit gewonnen, ihre gegenseitigen Beziehungen auf die erhabenen Wahrheiten zu gründen, welche uns die Religion des gött¬ lichen Heilands lehrt. Sie erklären feierlich, daß der gegenwärtige Akt nur den Zweck hat, im Angesicht der ganzen Welt ihren unerschütterlichen Entschluß zu bekunden, zur Richtschnur ihres Verhaltens im Innern ihrer Staaten wie nach außen nur die Vorschriften dieser heiligen Religion, die Vorschriften der Ge¬ rechtigkeit, Liebe und Friedfertigkeit zu nehmen. In Gemäßheit der Heilige» Schrift, welche allen Menschen befiehlt, sich als Brüder zu betrachten, werden sie vereinigt bleiben durch die Baude einer wahren und unauflöslichen Brüder¬ lichkeit, sich als Landsleute ansehen und sich bei jeder Gelegenheit Hilfe und Beistand leisten, sie werden sich ihren Unterthanen und Armen gegenüber als Familienväter betrachten und dieselben im Geiste der Brüderlichkeit leiten, um Religion, Gerechtigkeit und Frieden z» beschützen. Demnach betrachten sie sich nur als die Bevollmächtigten der Vorsehung, um drei Zweige einer und derselben Familie zu regieren, damit bekennend, daß ein christliches Volk in Wahrheit keinen andern Souverän hat als den, dem allein die Macht gehört, weil in ihm allein der Schatz der Liebe, der Erkenntnis und der Weisheit liegt. Ihre Majestäten empfehlen daher ihren Völkern mit der zärtlichsten Sorgfalt als das einzige Mittel, dieses Friedens teilhaftig zu werden, sich täglich mehr zu befestigen in den Grundsätzen und in der Erfüllung der Pflichten, welche der göttliche Heiland den Menschen gelehrt hat. Alle Mächte, welche sich zu diesen Grund¬ sätzen bekennen, werden mit Freudell in diese Heilige Allianz aufgenommen werden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/203>, abgerufen am 24.07.2024.