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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Heilige Allianz.

Obgleich diese allgemeine Friedensverbürgung in Verbindung mit den übrigen
seit 1813 von den Alliirten gegen Napoleon geschlossenen Verträgen, insbesondre
desjenigen von Chaumont, den eigentlichen Schlußstein des im Jahre 1815 auf¬
gerichteten enropäischen Systems bildet, genügte sie doch dem mächtigsten Teil¬
nehmer der großen Koalition, dem Kaiser Alexander, noch nicht. Ohne Frage
nahm damals Rußland weitaus die erste Stelle unter den Großmächten ein.
"Dieses auf den Grenzen Europas und Asiens gelegene Reich, schildert es de
Bonald, lastet auf allen beiden zugleich, seit der Römerzeit hat keine Macht eine
größere Expansionskraft gezeigt. Das ist so bei jedem Staate, wo die Regie¬
rung aufgeklärt und das Volk barbarisch ist, und welcher die außerordentliche
Geschicklichkeit des Lenkers mit einer außerordentlichen Gelehrigkeit des Instru¬
ments vereinigt."

Beruhte dieses hohe Ansehen Rußlands vornehmlich auf der noch frischen
Erinnerung an den Untergang, welchen Napoleons große Armee in den Eis¬
gefilden des ungeheuern Reiches gefunden hatte, so wurde es doch auch nicht
wenig gehoben durch die Persönlichkeit seines Beherrschers, der, wie wenig dies auch
den Thatsachen entsprach, sich doch von aller Welt gepriesen und gefürchtet sah
als der Engel, dessen Schwert deu korsischen Satan gefällt hatte. Widersprüche
der seltsamsten Art fanden sich in dem Charakter dieses Fürsten zu einer Ein¬
heit verbunden: neben der Anlage zur Schwermut, welche die quälende Erinne¬
rung an die Art seiner Thronbesteigung rege hielt, ein starker Hang zu sinn¬
licher Ausschweifung, neben der Liebenswürdigkeit, die Enropa bezauberte, eine
lauernde Berechnung des eignen Vorteils, neben der Launenhaftigkeit des Des¬
poten die Schwärmerei für Völkerglück und Menschenwohl im Sinne der Hn-
manitätsphilosvphie, ueben der demütigen Unterwerfung unter deu göttlichen
Ratschluß eine Eitelkeit, der es Bedürfnis war, sich an dem Übermaß gespen¬
deter Huldigungen zu berauschen, ueben dem höchsten Vertrauen in die eigene
Einsicht die Leichtbestimmbarkeit durch fremden Einfluß. Eine sonderbare Mischung
von männlichen Vorzügen und weiblichen Schwächen hat ihn Metternich genannt.
Zwei stark mit einander tontrastirende Mächte, der Mysiizismns und der Libe¬
ralismus, machten sich für deu Augenblick die Herrschaft über seinen Geist
streitig, um schließlich in ihm zu dein Wahne zu verschmelzen, daß er ein aus-
erwnhltes Werkzeug der Vorsehung, ja eine Art verkörperter Vorsehung selbst sei,
berufen, Ordnung auf Erde" zu stiften und zu erhalten und allem Gute" unter
den Menschen die Bah" nnznweisen.

Besondre Nahrung erhielt, wie bekannt, jene mystische Anlage Alexanders
durch seine Begegnung mit Frau vou Krüdener, der Wittwe eiues russische"
Diplomaten. Als ihr der Kaiser zuerst im Jahre 1814 in der Schweiz be¬
gegnete, bereits über die Jahre der Schönheit, die sie freilich nie besessen, hinaus,
machte diese Frau doch durch Geist und Kenntnisse, mehr noch dnrch ihr bizarres
Wesen, durch eine wahre oder uur erkünstelte Überspanntheit einen solchen Ein-


Die Heilige Allianz.

Obgleich diese allgemeine Friedensverbürgung in Verbindung mit den übrigen
seit 1813 von den Alliirten gegen Napoleon geschlossenen Verträgen, insbesondre
desjenigen von Chaumont, den eigentlichen Schlußstein des im Jahre 1815 auf¬
gerichteten enropäischen Systems bildet, genügte sie doch dem mächtigsten Teil¬
nehmer der großen Koalition, dem Kaiser Alexander, noch nicht. Ohne Frage
nahm damals Rußland weitaus die erste Stelle unter den Großmächten ein.
„Dieses auf den Grenzen Europas und Asiens gelegene Reich, schildert es de
Bonald, lastet auf allen beiden zugleich, seit der Römerzeit hat keine Macht eine
größere Expansionskraft gezeigt. Das ist so bei jedem Staate, wo die Regie¬
rung aufgeklärt und das Volk barbarisch ist, und welcher die außerordentliche
Geschicklichkeit des Lenkers mit einer außerordentlichen Gelehrigkeit des Instru¬
ments vereinigt."

Beruhte dieses hohe Ansehen Rußlands vornehmlich auf der noch frischen
Erinnerung an den Untergang, welchen Napoleons große Armee in den Eis¬
gefilden des ungeheuern Reiches gefunden hatte, so wurde es doch auch nicht
wenig gehoben durch die Persönlichkeit seines Beherrschers, der, wie wenig dies auch
den Thatsachen entsprach, sich doch von aller Welt gepriesen und gefürchtet sah
als der Engel, dessen Schwert deu korsischen Satan gefällt hatte. Widersprüche
der seltsamsten Art fanden sich in dem Charakter dieses Fürsten zu einer Ein¬
heit verbunden: neben der Anlage zur Schwermut, welche die quälende Erinne¬
rung an die Art seiner Thronbesteigung rege hielt, ein starker Hang zu sinn¬
licher Ausschweifung, neben der Liebenswürdigkeit, die Enropa bezauberte, eine
lauernde Berechnung des eignen Vorteils, neben der Launenhaftigkeit des Des¬
poten die Schwärmerei für Völkerglück und Menschenwohl im Sinne der Hn-
manitätsphilosvphie, ueben der demütigen Unterwerfung unter deu göttlichen
Ratschluß eine Eitelkeit, der es Bedürfnis war, sich an dem Übermaß gespen¬
deter Huldigungen zu berauschen, ueben dem höchsten Vertrauen in die eigene
Einsicht die Leichtbestimmbarkeit durch fremden Einfluß. Eine sonderbare Mischung
von männlichen Vorzügen und weiblichen Schwächen hat ihn Metternich genannt.
Zwei stark mit einander tontrastirende Mächte, der Mysiizismns und der Libe¬
ralismus, machten sich für deu Augenblick die Herrschaft über seinen Geist
streitig, um schließlich in ihm zu dein Wahne zu verschmelzen, daß er ein aus-
erwnhltes Werkzeug der Vorsehung, ja eine Art verkörperter Vorsehung selbst sei,
berufen, Ordnung auf Erde» zu stiften und zu erhalten und allem Gute» unter
den Menschen die Bah» nnznweisen.

Besondre Nahrung erhielt, wie bekannt, jene mystische Anlage Alexanders
durch seine Begegnung mit Frau vou Krüdener, der Wittwe eiues russische»
Diplomaten. Als ihr der Kaiser zuerst im Jahre 1814 in der Schweiz be¬
gegnete, bereits über die Jahre der Schönheit, die sie freilich nie besessen, hinaus,
machte diese Frau doch durch Geist und Kenntnisse, mehr noch dnrch ihr bizarres
Wesen, durch eine wahre oder uur erkünstelte Überspanntheit einen solchen Ein-


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[0202] Die Heilige Allianz. Obgleich diese allgemeine Friedensverbürgung in Verbindung mit den übrigen seit 1813 von den Alliirten gegen Napoleon geschlossenen Verträgen, insbesondre desjenigen von Chaumont, den eigentlichen Schlußstein des im Jahre 1815 auf¬ gerichteten enropäischen Systems bildet, genügte sie doch dem mächtigsten Teil¬ nehmer der großen Koalition, dem Kaiser Alexander, noch nicht. Ohne Frage nahm damals Rußland weitaus die erste Stelle unter den Großmächten ein. „Dieses auf den Grenzen Europas und Asiens gelegene Reich, schildert es de Bonald, lastet auf allen beiden zugleich, seit der Römerzeit hat keine Macht eine größere Expansionskraft gezeigt. Das ist so bei jedem Staate, wo die Regie¬ rung aufgeklärt und das Volk barbarisch ist, und welcher die außerordentliche Geschicklichkeit des Lenkers mit einer außerordentlichen Gelehrigkeit des Instru¬ ments vereinigt." Beruhte dieses hohe Ansehen Rußlands vornehmlich auf der noch frischen Erinnerung an den Untergang, welchen Napoleons große Armee in den Eis¬ gefilden des ungeheuern Reiches gefunden hatte, so wurde es doch auch nicht wenig gehoben durch die Persönlichkeit seines Beherrschers, der, wie wenig dies auch den Thatsachen entsprach, sich doch von aller Welt gepriesen und gefürchtet sah als der Engel, dessen Schwert deu korsischen Satan gefällt hatte. Widersprüche der seltsamsten Art fanden sich in dem Charakter dieses Fürsten zu einer Ein¬ heit verbunden: neben der Anlage zur Schwermut, welche die quälende Erinne¬ rung an die Art seiner Thronbesteigung rege hielt, ein starker Hang zu sinn¬ licher Ausschweifung, neben der Liebenswürdigkeit, die Enropa bezauberte, eine lauernde Berechnung des eignen Vorteils, neben der Launenhaftigkeit des Des¬ poten die Schwärmerei für Völkerglück und Menschenwohl im Sinne der Hn- manitätsphilosvphie, ueben der demütigen Unterwerfung unter deu göttlichen Ratschluß eine Eitelkeit, der es Bedürfnis war, sich an dem Übermaß gespen¬ deter Huldigungen zu berauschen, ueben dem höchsten Vertrauen in die eigene Einsicht die Leichtbestimmbarkeit durch fremden Einfluß. Eine sonderbare Mischung von männlichen Vorzügen und weiblichen Schwächen hat ihn Metternich genannt. Zwei stark mit einander tontrastirende Mächte, der Mysiizismns und der Libe¬ ralismus, machten sich für deu Augenblick die Herrschaft über seinen Geist streitig, um schließlich in ihm zu dein Wahne zu verschmelzen, daß er ein aus- erwnhltes Werkzeug der Vorsehung, ja eine Art verkörperter Vorsehung selbst sei, berufen, Ordnung auf Erde» zu stiften und zu erhalten und allem Gute» unter den Menschen die Bah» nnznweisen. Besondre Nahrung erhielt, wie bekannt, jene mystische Anlage Alexanders durch seine Begegnung mit Frau vou Krüdener, der Wittwe eiues russische» Diplomaten. Als ihr der Kaiser zuerst im Jahre 1814 in der Schweiz be¬ gegnete, bereits über die Jahre der Schönheit, die sie freilich nie besessen, hinaus, machte diese Frau doch durch Geist und Kenntnisse, mehr noch dnrch ihr bizarres Wesen, durch eine wahre oder uur erkünstelte Überspanntheit einen solchen Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/202>, abgerufen am 25.08.2024.