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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Entwurf von Thiersch weist also wenigstens die Marke der Genialität
auf. Was ihn trotzdem zum Falle gebracht hat, indem nämlich nicht er, sondern
der des Architekten Paul Wallot in Frankfurt am Main, der ebenfalls einen
ersten Preis erhalten, für die Ausführung bestimmt worden ist, läßt sich uicht
mit Sicherheit aussprechen, weil nichts Positives über die Beratungen der Jury
in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Was man sich erzählt, tritt mir in Form
vou Gerüchten auf, für welche wir keine Bürgschaft übernehmen wollen. Mau
sagt, das; die Projekte von Ende und Bocckmann und von Kayser und v. Gro߬
heim eine Zeit lang in erster Linie gestanden Hütten und daß erst nach langer
Debatte eine Einigung erzielt worden sei, auf Grund deren Wallvt von 21 Stimmen
19 erhalten hat. Die Vorgänge im Schooße der Jnrh scheinen also ähnliche
gewesen zu sein wie bei der ersten Konkurrenz im Jahre 1872: da es uicht
gelingen wollte, scharf ausgeprägte Persönlichkeiten gegen gewisse Bestrebungen
und Neigungen durchzubringen, so ging schließlich ein Kompromißkandidat als
Sieger hervor, mit welchem vielleicht den einen eine Konzession gemacht wurde,
während er deu andern gleichgiltig oder doch ungefährlich erschien. Man darf
dabei nicht außer Acht lassen, daß in einer solchen Jury, auch wenn sie aus
Nichtsachmännern und Fachmännern besteht, letztere immer den Ausschlag geben,
sobald irgend eine Garantie geboten wird, daß die praktischen Bedürfnisse der
parlamentarischen Körperschaft volle Berücksichtigung finden. Die Neichstags-
debatten über Fragen der Kunst haben leider nnr zu sehr bewiesen, daß die
Interessen derselben in den Kreisen unserer Neichsboten nicht die wünschens¬
werte Vertretung finden. Diese Klage ist so allgemein, daß sie kaum noch einer
Wiederholung bedarf. Man würde sie auch schärfer formuliren, wenn man nicht
zugleich das Bewußtsein Hütte, daß auch in den breitern Schichten des Volkes
das Verständnis für Kuuftfragen ein erschreckend geringes ist. Während in Frank¬
reich die Kunst als ein notwendiges Lebensbediirfnis betrachtet wird, herrscht in
Deutschland nicht nur eine große Gleichgiltigkeit gegen dieselbe, sondern ihre
Anforderungen werden geradezu als Luxus bekämpft, und mau muß leider sagen,
daß die Abneigung gegen dieselbe bis in die höchsten Verwaltungskreise hinauf-
reicht, in Kreise, die sonst von nichts weniger als engherzigen Anschauungen be¬
herrscht werden.

Es ist bezeichnend, daß ein Mann von so einseitigen Kenntnissen und
Neigungen wie Angust Reichensperger in parlamentarischen Kreisen als unan¬
fechtbare und auch wirklich uuaugefochteue Autorität in Kunstangelegenheiten
gilt. Er ist der einzige, welcher alljährlich bei der Beratung des Budgets des
Kultusministeriums im preußischen Abgeordnetenhause daS Wort ergreift, um
einige Sarkasmen gegen die Regierung zu schleudern. Die Regierungsvertreter,
die es für ihre Pflicht halten, ihm zu antworten, spielen neben dem ergrauten
Parlamentarier, dem allzeit schlagfertigen nud witzigen Redner, meist eine trau¬
rige Rolle. In seiner engeren Heimat hat Reichensperger für die Erhaltung


Der Entwurf von Thiersch weist also wenigstens die Marke der Genialität
auf. Was ihn trotzdem zum Falle gebracht hat, indem nämlich nicht er, sondern
der des Architekten Paul Wallot in Frankfurt am Main, der ebenfalls einen
ersten Preis erhalten, für die Ausführung bestimmt worden ist, läßt sich uicht
mit Sicherheit aussprechen, weil nichts Positives über die Beratungen der Jury
in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Was man sich erzählt, tritt mir in Form
vou Gerüchten auf, für welche wir keine Bürgschaft übernehmen wollen. Mau
sagt, das; die Projekte von Ende und Bocckmann und von Kayser und v. Gro߬
heim eine Zeit lang in erster Linie gestanden Hütten und daß erst nach langer
Debatte eine Einigung erzielt worden sei, auf Grund deren Wallvt von 21 Stimmen
19 erhalten hat. Die Vorgänge im Schooße der Jnrh scheinen also ähnliche
gewesen zu sein wie bei der ersten Konkurrenz im Jahre 1872: da es uicht
gelingen wollte, scharf ausgeprägte Persönlichkeiten gegen gewisse Bestrebungen
und Neigungen durchzubringen, so ging schließlich ein Kompromißkandidat als
Sieger hervor, mit welchem vielleicht den einen eine Konzession gemacht wurde,
während er deu andern gleichgiltig oder doch ungefährlich erschien. Man darf
dabei nicht außer Acht lassen, daß in einer solchen Jury, auch wenn sie aus
Nichtsachmännern und Fachmännern besteht, letztere immer den Ausschlag geben,
sobald irgend eine Garantie geboten wird, daß die praktischen Bedürfnisse der
parlamentarischen Körperschaft volle Berücksichtigung finden. Die Neichstags-
debatten über Fragen der Kunst haben leider nnr zu sehr bewiesen, daß die
Interessen derselben in den Kreisen unserer Neichsboten nicht die wünschens¬
werte Vertretung finden. Diese Klage ist so allgemein, daß sie kaum noch einer
Wiederholung bedarf. Man würde sie auch schärfer formuliren, wenn man nicht
zugleich das Bewußtsein Hütte, daß auch in den breitern Schichten des Volkes
das Verständnis für Kuuftfragen ein erschreckend geringes ist. Während in Frank¬
reich die Kunst als ein notwendiges Lebensbediirfnis betrachtet wird, herrscht in
Deutschland nicht nur eine große Gleichgiltigkeit gegen dieselbe, sondern ihre
Anforderungen werden geradezu als Luxus bekämpft, und mau muß leider sagen,
daß die Abneigung gegen dieselbe bis in die höchsten Verwaltungskreise hinauf-
reicht, in Kreise, die sonst von nichts weniger als engherzigen Anschauungen be¬
herrscht werden.

Es ist bezeichnend, daß ein Mann von so einseitigen Kenntnissen und
Neigungen wie Angust Reichensperger in parlamentarischen Kreisen als unan¬
fechtbare und auch wirklich uuaugefochteue Autorität in Kunstangelegenheiten
gilt. Er ist der einzige, welcher alljährlich bei der Beratung des Budgets des
Kultusministeriums im preußischen Abgeordnetenhause daS Wort ergreift, um
einige Sarkasmen gegen die Regierung zu schleudern. Die Regierungsvertreter,
die es für ihre Pflicht halten, ihm zu antworten, spielen neben dem ergrauten
Parlamentarier, dem allzeit schlagfertigen nud witzigen Redner, meist eine trau¬
rige Rolle. In seiner engeren Heimat hat Reichensperger für die Erhaltung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/182>, abgerufen am 03.07.2024.