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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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junge Architekten davongetragen, deren Namen in weiteren Kreisen so gut wie
unbekannt waren. Weder die Jugend noch die bisherige Ruhmlosigkeit sind
Fehler, da es die Eigenschaft des Genius sein soll, urplötzlich in die Erscheinung
zu treten. Der Entwurf von Friedrich Thiersch, dem Professor der Architektur
an der Münchener Kunstakademie, tragt unverkennbar diesen Stempel des Genius.
Das zuerst in die Augen fallende und daher charakteristische Merkmal dieses
Entwurfes besteht in der gewaltigen Kuppel, welche sich, von einer freien Säulen-
stellung getragen, ähnlich der an der Paulskirche zu London, über dem Zentrum
der ganzen Anlage auf einem viereckigen Unterbau bis zu einer Höhe von achtzig
Metern, also die Siegessäule noch um zwanzig Meter überragend, erhebt. Eine
so mächtige Höhenentwicklung war um so dringender geboten, als einerseits die
gewaltigen Dimensionen des Königsplatzes zu einer solchen herausforderten, falls
das Gebäude eine auch nur halbwegs monumentale Wirkung erzielen sollte,
andrerseits die enge Begrenzung des Banplatzes den Konkurrenten nicht gestattete,
diese Wirkung durch größere Verhältnisse in der Horizvntalanlage herbeizuführen.
Es soll nicht gelungen sein, an allerhöchster Stelle die Bedenken gegen eine Er¬
weiterung des Banplatzes zu beseitigen. Der Kaiser hält mit rühmenswerter
Pietät an der Lieblingsschöpfung seines Vaters, dein Tiergarten, fest und war
deshalb nicht zu bewegen, eine Verbreiterung des Bauplatzes nach Süden zu
bewilligen, der ein Stück des Tiergartens hatte zum Opfer fallen müssen. Mögen
die Herren Architekten sehen, wie sie fertig werden! In der That hat diese Be¬
schränkung den Konkurrenten die größten Schwierigkeiten bereitet, ohne daß sich
jedoch nach dem Worte des Dichters in dieser Beschränkung erst der Meister
gezeigt hätte. Das "Zentralblatt der Bnnverwaltnng," welches im Ministerium
für öffentliche Arbeiten herausgegeben wird, also die Ansichten der Regiernngs-
kreise wiederspiegelt, erklärt unumwunden, daß bei der Beschaffenheit des Ban¬
platzes eine unangreifbare, anch akademisch völlig "klar durchgebildete Lösung
des Grundrisses ausgeschlossen" erscheine, nud wirklich hat auch einer der vor¬
nehmsten und genialsten Architekten der Gegenwart, Ritter von Ferstel in Wien,
seine Aufgabe uicht anders lösen zu können geglaubt, als indem er den Bauplatz
um nenn Meter überschritt. Nur dadurch meinte er ein vollkommen harmonisches
Verhältnis zwischen der Hohen- und Breiteneutwicklnug herstellen zu tonnen,
und diese Absicht ist ihm in einer Weise gelungen, daß man nnr bedauern kaun,
daß jene Überschreitung der Programmbestiuunuugen seinen Entwurf von der
Konkurrenz um die Preise vou vornherein ausgeschlossen hat. Ans den zwei-
tausend Mark, für welche sein Entwurf angekauft worden ist, wird er sich ver¬
mutlich wenig machen. Wäre sein Entwurf aber zur engeren Konkurrenz gekommen,
so würde damit dem gegenwärtigen Sieger Thiersch ein gefährlicher Gegner
erwachsen sein. Die Ferstelsche Kuppel ist noch schöner und edler gestaltet und
steht in engster Harmonie mit der prächtigen Fayade. Der Entwurf trägt nicht
mit Unrecht das stolze Motto: "Bramante."


junge Architekten davongetragen, deren Namen in weiteren Kreisen so gut wie
unbekannt waren. Weder die Jugend noch die bisherige Ruhmlosigkeit sind
Fehler, da es die Eigenschaft des Genius sein soll, urplötzlich in die Erscheinung
zu treten. Der Entwurf von Friedrich Thiersch, dem Professor der Architektur
an der Münchener Kunstakademie, tragt unverkennbar diesen Stempel des Genius.
Das zuerst in die Augen fallende und daher charakteristische Merkmal dieses
Entwurfes besteht in der gewaltigen Kuppel, welche sich, von einer freien Säulen-
stellung getragen, ähnlich der an der Paulskirche zu London, über dem Zentrum
der ganzen Anlage auf einem viereckigen Unterbau bis zu einer Höhe von achtzig
Metern, also die Siegessäule noch um zwanzig Meter überragend, erhebt. Eine
so mächtige Höhenentwicklung war um so dringender geboten, als einerseits die
gewaltigen Dimensionen des Königsplatzes zu einer solchen herausforderten, falls
das Gebäude eine auch nur halbwegs monumentale Wirkung erzielen sollte,
andrerseits die enge Begrenzung des Banplatzes den Konkurrenten nicht gestattete,
diese Wirkung durch größere Verhältnisse in der Horizvntalanlage herbeizuführen.
Es soll nicht gelungen sein, an allerhöchster Stelle die Bedenken gegen eine Er¬
weiterung des Banplatzes zu beseitigen. Der Kaiser hält mit rühmenswerter
Pietät an der Lieblingsschöpfung seines Vaters, dein Tiergarten, fest und war
deshalb nicht zu bewegen, eine Verbreiterung des Bauplatzes nach Süden zu
bewilligen, der ein Stück des Tiergartens hatte zum Opfer fallen müssen. Mögen
die Herren Architekten sehen, wie sie fertig werden! In der That hat diese Be¬
schränkung den Konkurrenten die größten Schwierigkeiten bereitet, ohne daß sich
jedoch nach dem Worte des Dichters in dieser Beschränkung erst der Meister
gezeigt hätte. Das „Zentralblatt der Bnnverwaltnng," welches im Ministerium
für öffentliche Arbeiten herausgegeben wird, also die Ansichten der Regiernngs-
kreise wiederspiegelt, erklärt unumwunden, daß bei der Beschaffenheit des Ban¬
platzes eine unangreifbare, anch akademisch völlig „klar durchgebildete Lösung
des Grundrisses ausgeschlossen" erscheine, nud wirklich hat auch einer der vor¬
nehmsten und genialsten Architekten der Gegenwart, Ritter von Ferstel in Wien,
seine Aufgabe uicht anders lösen zu können geglaubt, als indem er den Bauplatz
um nenn Meter überschritt. Nur dadurch meinte er ein vollkommen harmonisches
Verhältnis zwischen der Hohen- und Breiteneutwicklnug herstellen zu tonnen,
und diese Absicht ist ihm in einer Weise gelungen, daß man nnr bedauern kaun,
daß jene Überschreitung der Programmbestiuunuugen seinen Entwurf von der
Konkurrenz um die Preise vou vornherein ausgeschlossen hat. Ans den zwei-
tausend Mark, für welche sein Entwurf angekauft worden ist, wird er sich ver¬
mutlich wenig machen. Wäre sein Entwurf aber zur engeren Konkurrenz gekommen,
so würde damit dem gegenwärtigen Sieger Thiersch ein gefährlicher Gegner
erwachsen sein. Die Ferstelsche Kuppel ist noch schöner und edler gestaltet und
steht in engster Harmonie mit der prächtigen Fayade. Der Entwurf trägt nicht
mit Unrecht das stolze Motto: „Bramante."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/181>, abgerufen am 01.07.2024.