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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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that. Mehemed Alis Reformatorensinn und Energie hielt nicht nur den weitern
Rückgang der Stadt vor Vollendung des letztgenannten Werkes auf, sondern
bewirkte das Gegenteil: es entstanden die Bedingungen zu neuem Aufschwunge,
namentlich dnrch Verbesserung der Häfen und Anlegung von Kanälen, unter denen
der große Mahmndijekanal die erste Stelle einnimmt. Dieser brachte der Stadt
die Wasserverbindung mit dem Rvsettearm des Nils und Oberägypten sowie einem
Teile des Deltas, gab ihr süßes Wasser und befruchtete von neuem ihre uu-
kultivirbar gewordene Umgebung. 1819 ging Mehemed Ali an dieses Werk,
das in wenigen Jahren, allerdings unter großer Härte gegen die zu den be¬
treffenden Arbeiten zusammengeschleppten 250 000 Fellahin und mit ungeheurem
Verlust an Leben, vollendet wurde. Dmiu wurde das gesammte Kanalsystem
Unterägyptens uuter der Leitung französischer Ingenieure verbessert. Auch mehrere
der spätern Vizekönige sorgten mehr oder minder eifrig für die Hebung der
Stadt, die besonders infolge des Umstandes, daß im Hinblick auf den ameri¬
kanischen Bürgerkrieg in Ägypten weit mehr Baumwolle als bis dahin gebaut
und dann fast uur über diesen Hafen exportirt wurde, außerordentlich schnell
aufblühte und bald durch vier regelmäßige Dampferliuieu und zwei Telegraphcn-
tabel mit Europa sowie durch ein Netz von Schienenwegen und elektrischen
Drähten mit dem übrigen Ägypten verbunden war. Jetzt hat Alexandrien über
zweimalhunderttausend Einwohner, und sein Handelsverkehr ist sehr bedeutend.
Nahe an 3000 Segel- und Dampfschiffe laufen jährlich in seine Häfen ein,
und die von diesen ausgeführten Waaren, hauptsächlich in Baumwolle bestehend,
dann in Getreide und Hülsenfrüchten, Zucker, Flachs, Wolle, Droguen, Perl
mutter vom Roten Meer, Elfenbein und Straußenfedern ans dem Sudan, haben
einen Wert von durchschnittlich 250 Millionen Mark. Die Stadt hat seit 1868
Gasbeleuchtung und schon seit zweiundzwanzig Jahren eine vorzüglich eingerichtete
Wasserleitung. Sie besitzt vier stattliche Hospitäler, eins für Ägypter, eins für
Europäer, deren bisher hier gegen 50 000 lebten, ein griechisches und ein Diako¬
nissenhans. Alexandrien ist der Endpunkt von drei Eisenbahnen, von denen die eine
in sechs Stunden nach Kairo, die andre größere uach Rosette führt, und hat zwei
Häfen, einen kleinen im Osten und einen sehr ausgedehnten im Westen der Stadt, wo
sie aus einem niedrigen Vorgebirge ins Meer hinaufstrebt. In den letzteren,
der durch einen Wellenbrecher oder Molo von gewaltigen Steinblöcken von der
See zum Teil abgeschlossen ist, mündet der Mahinndijekanal, der im Süden
Alexnndriens eine Strecke der Eisenbahn nach Kairo parallel länft, die ihrer¬
seits anderthalb Meilen weit dem Ufer des großen Sumpfsecs Marine folgt.
Der letztere war im Altertum ein Süßwasserbecken, das vom Nil gefüllt wurde.
In der Türkenzelt trocknete er zum großen Teil aus, und es entstanden über
hundert Dörfer aus seinem Boden. 1801 aber durchstachen die Engländer die
schmale Nehrung, die ihn von der See trennt, jene Ortschaften gingen zu Grunde,
und das Becken des Sees füllte sich mit Salzwasser, das, nachdem Mehemed


that. Mehemed Alis Reformatorensinn und Energie hielt nicht nur den weitern
Rückgang der Stadt vor Vollendung des letztgenannten Werkes auf, sondern
bewirkte das Gegenteil: es entstanden die Bedingungen zu neuem Aufschwunge,
namentlich dnrch Verbesserung der Häfen und Anlegung von Kanälen, unter denen
der große Mahmndijekanal die erste Stelle einnimmt. Dieser brachte der Stadt
die Wasserverbindung mit dem Rvsettearm des Nils und Oberägypten sowie einem
Teile des Deltas, gab ihr süßes Wasser und befruchtete von neuem ihre uu-
kultivirbar gewordene Umgebung. 1819 ging Mehemed Ali an dieses Werk,
das in wenigen Jahren, allerdings unter großer Härte gegen die zu den be¬
treffenden Arbeiten zusammengeschleppten 250 000 Fellahin und mit ungeheurem
Verlust an Leben, vollendet wurde. Dmiu wurde das gesammte Kanalsystem
Unterägyptens uuter der Leitung französischer Ingenieure verbessert. Auch mehrere
der spätern Vizekönige sorgten mehr oder minder eifrig für die Hebung der
Stadt, die besonders infolge des Umstandes, daß im Hinblick auf den ameri¬
kanischen Bürgerkrieg in Ägypten weit mehr Baumwolle als bis dahin gebaut
und dann fast uur über diesen Hafen exportirt wurde, außerordentlich schnell
aufblühte und bald durch vier regelmäßige Dampferliuieu und zwei Telegraphcn-
tabel mit Europa sowie durch ein Netz von Schienenwegen und elektrischen
Drähten mit dem übrigen Ägypten verbunden war. Jetzt hat Alexandrien über
zweimalhunderttausend Einwohner, und sein Handelsverkehr ist sehr bedeutend.
Nahe an 3000 Segel- und Dampfschiffe laufen jährlich in seine Häfen ein,
und die von diesen ausgeführten Waaren, hauptsächlich in Baumwolle bestehend,
dann in Getreide und Hülsenfrüchten, Zucker, Flachs, Wolle, Droguen, Perl
mutter vom Roten Meer, Elfenbein und Straußenfedern ans dem Sudan, haben
einen Wert von durchschnittlich 250 Millionen Mark. Die Stadt hat seit 1868
Gasbeleuchtung und schon seit zweiundzwanzig Jahren eine vorzüglich eingerichtete
Wasserleitung. Sie besitzt vier stattliche Hospitäler, eins für Ägypter, eins für
Europäer, deren bisher hier gegen 50 000 lebten, ein griechisches und ein Diako¬
nissenhans. Alexandrien ist der Endpunkt von drei Eisenbahnen, von denen die eine
in sechs Stunden nach Kairo, die andre größere uach Rosette führt, und hat zwei
Häfen, einen kleinen im Osten und einen sehr ausgedehnten im Westen der Stadt, wo
sie aus einem niedrigen Vorgebirge ins Meer hinaufstrebt. In den letzteren,
der durch einen Wellenbrecher oder Molo von gewaltigen Steinblöcken von der
See zum Teil abgeschlossen ist, mündet der Mahinndijekanal, der im Süden
Alexnndriens eine Strecke der Eisenbahn nach Kairo parallel länft, die ihrer¬
seits anderthalb Meilen weit dem Ufer des großen Sumpfsecs Marine folgt.
Der letztere war im Altertum ein Süßwasserbecken, das vom Nil gefüllt wurde.
In der Türkenzelt trocknete er zum großen Teil aus, und es entstanden über
hundert Dörfer aus seinem Boden. 1801 aber durchstachen die Engländer die
schmale Nehrung, die ihn von der See trennt, jene Ortschaften gingen zu Grunde,
und das Becken des Sees füllte sich mit Salzwasser, das, nachdem Mehemed


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/167>, abgerufen am 24.08.2024.