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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Glossen eines Deutschen im Auslande.

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e eigentümliche Illustration zu der Poetennnsicht, daß der große
Ruine den in Staub zerfallenen Leib überdanre, habe ich dieser
Tage in einem 1872 erschienenen Buche eines Berliner Gelehrten
gefunden. Da wird Madame Tallien erwähnt und dem Namen
folgende erläuternde Numerkuug beigefügt: "Eine beliebte, wegen
ihrer Schönheit berühmte Schauspielerin." Mit der Schönheit, Beliebtheit und
Berühmtheit hat es bekanntlich seine Richtigkeit, und Schauspielerin ist wohl
die Fürstin von Chimay much soviel genesen wie die meisten Fromm, die in
der großen Welt eine Rolle spielen. Jene Notiz aber macht sie zu einer Ko¬
mödiantin von Profession und noch dcizn zu einer, deren Kunst in ihrer Schön¬
heit bestanden habe. Daß sie dereinst in die politische Geschichte eingegriffen
hat, wegen ihres Anteils an: Sturze Robespierres als "Nvtredame du Thermidor"
gefeiert worden, Jahre lang, bis ihre Freundin Josephine Gemahlin des ersten
Konsuls wurde, die in allen Dingen der Mode, much der literarischen und künst¬
lerischen, tonangebende Fran in Frankreich gewesen ist -- von alledem kein
Wort vierzig Jahre nach ihrem Tode! Und wie die merkwürdige Frnn, so ist
augenscheinlich mich ihr zweiter Mann, dessen Namen sie in der Geschichte führt,
vergessen, um den es ganz besonders schade ist. Der Advokatenschreibcr Tcillien,
Schreckensmnnn, Präsident des Konvents, des Wohlfahrtsausschusses, Überwinder
des tugendhaften Maximilien, als dieser ihm selbst um deu Kragen wollte -- und
in dein Moment, da die Zeit der Klub- und Kvnventredncr und Wüteriche ihr
Ende erreicht hatte, sofort als unbedeutender Patron erkannt, als unnützes
Möbel hin- und hergeschoben, als Pensionär Napoleons seine Tage beschließend:
verlohnt es sich, einer der besten, der edelsten Männer, ein Frciheitsheld, Tyrannen-
"ud Aristolratenvernichter zu sein, wenn der große Name so schnell ans dein
Gedächtnis der undankbaren Menschheit verschwindet?


(Ärmzboten III. 1882. I!>


Glossen eines Deutschen im Auslande.

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e eigentümliche Illustration zu der Poetennnsicht, daß der große
Ruine den in Staub zerfallenen Leib überdanre, habe ich dieser
Tage in einem 1872 erschienenen Buche eines Berliner Gelehrten
gefunden. Da wird Madame Tallien erwähnt und dem Namen
folgende erläuternde Numerkuug beigefügt: „Eine beliebte, wegen
ihrer Schönheit berühmte Schauspielerin." Mit der Schönheit, Beliebtheit und
Berühmtheit hat es bekanntlich seine Richtigkeit, und Schauspielerin ist wohl
die Fürstin von Chimay much soviel genesen wie die meisten Fromm, die in
der großen Welt eine Rolle spielen. Jene Notiz aber macht sie zu einer Ko¬
mödiantin von Profession und noch dcizn zu einer, deren Kunst in ihrer Schön¬
heit bestanden habe. Daß sie dereinst in die politische Geschichte eingegriffen
hat, wegen ihres Anteils an: Sturze Robespierres als „Nvtredame du Thermidor"
gefeiert worden, Jahre lang, bis ihre Freundin Josephine Gemahlin des ersten
Konsuls wurde, die in allen Dingen der Mode, much der literarischen und künst¬
lerischen, tonangebende Fran in Frankreich gewesen ist — von alledem kein
Wort vierzig Jahre nach ihrem Tode! Und wie die merkwürdige Frnn, so ist
augenscheinlich mich ihr zweiter Mann, dessen Namen sie in der Geschichte führt,
vergessen, um den es ganz besonders schade ist. Der Advokatenschreibcr Tcillien,
Schreckensmnnn, Präsident des Konvents, des Wohlfahrtsausschusses, Überwinder
des tugendhaften Maximilien, als dieser ihm selbst um deu Kragen wollte — und
in dein Moment, da die Zeit der Klub- und Kvnventredncr und Wüteriche ihr
Ende erreicht hatte, sofort als unbedeutender Patron erkannt, als unnützes
Möbel hin- und hergeschoben, als Pensionär Napoleons seine Tage beschließend:
verlohnt es sich, einer der besten, der edelsten Männer, ein Frciheitsheld, Tyrannen-
»ud Aristolratenvernichter zu sein, wenn der große Name so schnell ans dein
Gedächtnis der undankbaren Menschheit verschwindet?


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[0153] [Abbildung] Glossen eines Deutschen im Auslande. m e eigentümliche Illustration zu der Poetennnsicht, daß der große Ruine den in Staub zerfallenen Leib überdanre, habe ich dieser Tage in einem 1872 erschienenen Buche eines Berliner Gelehrten gefunden. Da wird Madame Tallien erwähnt und dem Namen folgende erläuternde Numerkuug beigefügt: „Eine beliebte, wegen ihrer Schönheit berühmte Schauspielerin." Mit der Schönheit, Beliebtheit und Berühmtheit hat es bekanntlich seine Richtigkeit, und Schauspielerin ist wohl die Fürstin von Chimay much soviel genesen wie die meisten Fromm, die in der großen Welt eine Rolle spielen. Jene Notiz aber macht sie zu einer Ko¬ mödiantin von Profession und noch dcizn zu einer, deren Kunst in ihrer Schön¬ heit bestanden habe. Daß sie dereinst in die politische Geschichte eingegriffen hat, wegen ihres Anteils an: Sturze Robespierres als „Nvtredame du Thermidor" gefeiert worden, Jahre lang, bis ihre Freundin Josephine Gemahlin des ersten Konsuls wurde, die in allen Dingen der Mode, much der literarischen und künst¬ lerischen, tonangebende Fran in Frankreich gewesen ist — von alledem kein Wort vierzig Jahre nach ihrem Tode! Und wie die merkwürdige Frnn, so ist augenscheinlich mich ihr zweiter Mann, dessen Namen sie in der Geschichte führt, vergessen, um den es ganz besonders schade ist. Der Advokatenschreibcr Tcillien, Schreckensmnnn, Präsident des Konvents, des Wohlfahrtsausschusses, Überwinder des tugendhaften Maximilien, als dieser ihm selbst um deu Kragen wollte — und in dein Moment, da die Zeit der Klub- und Kvnventredncr und Wüteriche ihr Ende erreicht hatte, sofort als unbedeutender Patron erkannt, als unnützes Möbel hin- und hergeschoben, als Pensionär Napoleons seine Tage beschließend: verlohnt es sich, einer der besten, der edelsten Männer, ein Frciheitsheld, Tyrannen- »ud Aristolratenvernichter zu sein, wenn der große Name so schnell ans dein Gedächtnis der undankbaren Menschheit verschwindet? (Ärmzboten III. 1882. I!>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/153>, abgerufen am 24.08.2024.