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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Glossen eines Deutschen in: Auslaiide.

Doch es giebt noch betrübenderes. Als neulich in Köln ein Meeting statt¬
fand und die Zeitungen die großartige Demonstration des liberalen Volksgeistes
gebührend beleuchteten, erinnerte ich mich einer andern Kölner Versammlung,
von welcher damals ebensogroßer oder noch größerer Lärm gemacht wurde.
Ein Abgeordneter hatte sie einberufen, damit das preußische Volk zeigen könne,
daß es wie ein Mann hinter der damaligen Opposition stehe und die aben¬
teuerliche, kurzsichtige, verbrecherische u. s. w. Politik des Ministeriums verurteile.
Und so geschah es. Der David, welcher jetzt unermüdlich deu Goliath Vismarck
erlegt und Eugen Richter heißt, hieß damals -- wie? Vergebens strenge ich
mein Erinnerungsvermögen an, um den Namen des Mannes wiederzufinden,
welcher dazumal auf allen Zungen war; Kappelmaier oder ähnlich muß er ge¬
heißen haben, der damals das Mundstück des liberalen dentschen Volksgeistes
war, aber gewiß kann ich es nicht behaupten. Und der Leib jenes Mannes ist
vielleicht noch nicht einmal in Staub zerfallen, vielleicht genießt er noch die
Erinnerung an den großen Tag von Köln, wo er die Vismarck und Roon aus
dem Sattel hob und in den Staub warf, ich aber kann mich nicht mehr auf
seinen Namen besinnen, und niemand will mir behilflich sein!

Es ist gewiß eine beunruhigende Erscheinung, wenn man mit einer soge¬
nannten unsterblichen Blamage nur noch die Blamage, aber keineswegs die Un¬
sterblichkeit erreicht, und große Männer nicht mehr ihre Verlästerer mitnehmen
in die Geschichte. Die heutigen Kappelmaier hätten allerdings das Recht, die
Gleichstellung mit jenen sich zu verbitten. Damals war ja das Wagnis, dein
Herrn von Vismarck den Beruf zum Staatsmann abzusprechen, nicht so groß,
denn die Welt kannte ihn nicht; wer hingegen nach den letzten achtzehn Jahren
Weltgeschichte dasselbe Lied anstimme, muß eine ganz außergewöhnliche Uner-
schrockenheit besitzen. Aber ach, dein Seiltänzer sticht die Nachwelt keine Kränze,
und der Inhaber einer eisernen Stirn erhält wohl dereinst einen Ehrenplatz in
einem anatomischen Museum, doch uicht im Gedenken der Menschheit.

Das ist traurig, und nnr ein schwacher Trost ist es, daß der eigentliche
Grund dafür in der Nberproduktiou der Gegenwart an großen Männern liegt.
Wie hatte es einstmals ein Thersites oder ein Herostrat oder ein Kleon doch
so kinderleicht, sich berühmt zu machen, dn sie die einzigen ihrer Art waren!
Gute alte Zeit, in der schon eine öffentliche Nbstrafnng genügte, um den be¬
troffenen auf die Nachwelt zu bringen! Heute ist die.Konkurrenz zu groß, er¬
drückend, und ich kann mir denken, daß mancher orthodoxe Freihändler in diesem
einen Punkte eine", mäßigen Schutze gegen Pfuscher und Störer nicht abgeneigt
wäre. Und ein Pfuscher war bei Lichte besehen der alte Thersites,


Der come Schwätzer,
Der sich verstand ans viel und ungebührliche Worte,
lini mit den Königen frech und anstandSwidrui zu hadern,
Wenn die Argiver dadurch zum Lachen er glaubte zu reizen.

Glossen eines Deutschen in: Auslaiide.

Doch es giebt noch betrübenderes. Als neulich in Köln ein Meeting statt¬
fand und die Zeitungen die großartige Demonstration des liberalen Volksgeistes
gebührend beleuchteten, erinnerte ich mich einer andern Kölner Versammlung,
von welcher damals ebensogroßer oder noch größerer Lärm gemacht wurde.
Ein Abgeordneter hatte sie einberufen, damit das preußische Volk zeigen könne,
daß es wie ein Mann hinter der damaligen Opposition stehe und die aben¬
teuerliche, kurzsichtige, verbrecherische u. s. w. Politik des Ministeriums verurteile.
Und so geschah es. Der David, welcher jetzt unermüdlich deu Goliath Vismarck
erlegt und Eugen Richter heißt, hieß damals — wie? Vergebens strenge ich
mein Erinnerungsvermögen an, um den Namen des Mannes wiederzufinden,
welcher dazumal auf allen Zungen war; Kappelmaier oder ähnlich muß er ge¬
heißen haben, der damals das Mundstück des liberalen dentschen Volksgeistes
war, aber gewiß kann ich es nicht behaupten. Und der Leib jenes Mannes ist
vielleicht noch nicht einmal in Staub zerfallen, vielleicht genießt er noch die
Erinnerung an den großen Tag von Köln, wo er die Vismarck und Roon aus
dem Sattel hob und in den Staub warf, ich aber kann mich nicht mehr auf
seinen Namen besinnen, und niemand will mir behilflich sein!

Es ist gewiß eine beunruhigende Erscheinung, wenn man mit einer soge¬
nannten unsterblichen Blamage nur noch die Blamage, aber keineswegs die Un¬
sterblichkeit erreicht, und große Männer nicht mehr ihre Verlästerer mitnehmen
in die Geschichte. Die heutigen Kappelmaier hätten allerdings das Recht, die
Gleichstellung mit jenen sich zu verbitten. Damals war ja das Wagnis, dein
Herrn von Vismarck den Beruf zum Staatsmann abzusprechen, nicht so groß,
denn die Welt kannte ihn nicht; wer hingegen nach den letzten achtzehn Jahren
Weltgeschichte dasselbe Lied anstimme, muß eine ganz außergewöhnliche Uner-
schrockenheit besitzen. Aber ach, dein Seiltänzer sticht die Nachwelt keine Kränze,
und der Inhaber einer eisernen Stirn erhält wohl dereinst einen Ehrenplatz in
einem anatomischen Museum, doch uicht im Gedenken der Menschheit.

Das ist traurig, und nnr ein schwacher Trost ist es, daß der eigentliche
Grund dafür in der Nberproduktiou der Gegenwart an großen Männern liegt.
Wie hatte es einstmals ein Thersites oder ein Herostrat oder ein Kleon doch
so kinderleicht, sich berühmt zu machen, dn sie die einzigen ihrer Art waren!
Gute alte Zeit, in der schon eine öffentliche Nbstrafnng genügte, um den be¬
troffenen auf die Nachwelt zu bringen! Heute ist die.Konkurrenz zu groß, er¬
drückend, und ich kann mir denken, daß mancher orthodoxe Freihändler in diesem
einen Punkte eine», mäßigen Schutze gegen Pfuscher und Störer nicht abgeneigt
wäre. Und ein Pfuscher war bei Lichte besehen der alte Thersites,


Der come Schwätzer,
Der sich verstand ans viel und ungebührliche Worte,
lini mit den Königen frech und anstandSwidrui zu hadern,
Wenn die Argiver dadurch zum Lachen er glaubte zu reizen.

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[0154] Glossen eines Deutschen in: Auslaiide. Doch es giebt noch betrübenderes. Als neulich in Köln ein Meeting statt¬ fand und die Zeitungen die großartige Demonstration des liberalen Volksgeistes gebührend beleuchteten, erinnerte ich mich einer andern Kölner Versammlung, von welcher damals ebensogroßer oder noch größerer Lärm gemacht wurde. Ein Abgeordneter hatte sie einberufen, damit das preußische Volk zeigen könne, daß es wie ein Mann hinter der damaligen Opposition stehe und die aben¬ teuerliche, kurzsichtige, verbrecherische u. s. w. Politik des Ministeriums verurteile. Und so geschah es. Der David, welcher jetzt unermüdlich deu Goliath Vismarck erlegt und Eugen Richter heißt, hieß damals — wie? Vergebens strenge ich mein Erinnerungsvermögen an, um den Namen des Mannes wiederzufinden, welcher dazumal auf allen Zungen war; Kappelmaier oder ähnlich muß er ge¬ heißen haben, der damals das Mundstück des liberalen dentschen Volksgeistes war, aber gewiß kann ich es nicht behaupten. Und der Leib jenes Mannes ist vielleicht noch nicht einmal in Staub zerfallen, vielleicht genießt er noch die Erinnerung an den großen Tag von Köln, wo er die Vismarck und Roon aus dem Sattel hob und in den Staub warf, ich aber kann mich nicht mehr auf seinen Namen besinnen, und niemand will mir behilflich sein! Es ist gewiß eine beunruhigende Erscheinung, wenn man mit einer soge¬ nannten unsterblichen Blamage nur noch die Blamage, aber keineswegs die Un¬ sterblichkeit erreicht, und große Männer nicht mehr ihre Verlästerer mitnehmen in die Geschichte. Die heutigen Kappelmaier hätten allerdings das Recht, die Gleichstellung mit jenen sich zu verbitten. Damals war ja das Wagnis, dein Herrn von Vismarck den Beruf zum Staatsmann abzusprechen, nicht so groß, denn die Welt kannte ihn nicht; wer hingegen nach den letzten achtzehn Jahren Weltgeschichte dasselbe Lied anstimme, muß eine ganz außergewöhnliche Uner- schrockenheit besitzen. Aber ach, dein Seiltänzer sticht die Nachwelt keine Kränze, und der Inhaber einer eisernen Stirn erhält wohl dereinst einen Ehrenplatz in einem anatomischen Museum, doch uicht im Gedenken der Menschheit. Das ist traurig, und nnr ein schwacher Trost ist es, daß der eigentliche Grund dafür in der Nberproduktiou der Gegenwart an großen Männern liegt. Wie hatte es einstmals ein Thersites oder ein Herostrat oder ein Kleon doch so kinderleicht, sich berühmt zu machen, dn sie die einzigen ihrer Art waren! Gute alte Zeit, in der schon eine öffentliche Nbstrafnng genügte, um den be¬ troffenen auf die Nachwelt zu bringen! Heute ist die.Konkurrenz zu groß, er¬ drückend, und ich kann mir denken, daß mancher orthodoxe Freihändler in diesem einen Punkte eine», mäßigen Schutze gegen Pfuscher und Störer nicht abgeneigt wäre. Und ein Pfuscher war bei Lichte besehen der alte Thersites, Der come Schwätzer, Der sich verstand ans viel und ungebührliche Worte, lini mit den Königen frech und anstandSwidrui zu hadern, Wenn die Argiver dadurch zum Lachen er glaubte zu reizen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/154>, abgerufen am 24.08.2024.