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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträ'ger.

Es näherte sich schon der Abend, und der Wagen, der ihn zum Bahnhof
bringen sollte, hielt vor der Thür, als Flörchen in seinein Zimmer erschien.

Sie stürzte mit thränenden Augen auf ihn zu und beschwor ihn, ihr zu
verzeihen. Sie hatte vom Fenster ans den Tag über beobachtet, was sich er¬
eignete, und fühlte ihr Gewissen immer lebhafter erregt. Sie erfuhr, daß ein
Duell stattgefunden hatte, und sie war im hohen Maße verwundert darüber, daß
ihr blasser Liebhaber, der niemals ihr gegenüber einen Mut hatte finden können,
der ihr nur natürlich erschienen wäre, daß dieser schüchterne, schwärmerische Ge¬
lehrte nun plötzlich im Lichte eines Helden erschien. Es flößte ihr eine unbe-
grenzte Hochachtung vor Ephraim ein, daß er den vornehmen, eleganten, reizend
schönen und kühnen Hnsarenoffizier über den Haufen geschossen hatte. Als sie
endlich in Ephraims von der Lampe erleuchteten Zimmer die Vorbereitungen
zur Abreise wahrnahm und die schattenhafte Gestalt der Schauspielerin hin und
wieder gehen und an Koffern beschäftigt sah, erwachten Eifersucht und Reue so
heftig in ihr, daß sie sich nicht mehr halten konnte, sondern hinüberlief.

Meine Schuld ist es, daß diese schreckliche Sache passtrt ist. O, ich schlechtes,
leichtsinniges Mädchen! O, Ephraim, ich habe dich immer so sehr geliebt, wie
ich dich auch noch jetzt einzig und allein liebe, und ich frage gar nichts "ach
dem österreichischen Offizier. Es war nur der Leichtsinn eines Augenblicks, und
ich soll ihn nun so hart büßen! Niemals werde ich dich wiedersehen, du wirst
mich hassen und verachten! O verzeihe mir und bleibe hier, dn sollst niemals
wieder einen Grund zur Unzufriedenheit mit mir haben!

So sich selbst anklagend und mit Bitten um Vergebung, mit innigem Flehen
und mit den zärtlichsten Versprechungen bot das schöne Mädchen alles auf, um
deu Geliebten zurückzugewinnen. Aber sie mußte die Erfahrung machen, daß
der Appell an frühere Stunden und an frühere Bande ohne Erfolg blieb und
daß ihre Liebe deu Zauber verloren hatte, den sie ehedem über ihn geübt. Ihre
Macht war dahin, ihre Glut konnte ihn nicht mehr entzünde", eine stärkere Macht
hatte sich seiner bemächtigt, und er schien gestählt zu sein in dem Feuer der
letzten qualvollen Empfindungen.

Er sah die Augen, deren blauer Glanz ihn einst berauscht, nun ohne Be¬
wegung Thränen vergieße" und fühlte nicht mehr die elektrische Kraft des goldigen
Haares und der blühenden, weichen Haut. Wie auf eiuen Traum sah er zurück
auf seine Liebe und seine Erfahrungen in der lieblichen Neckarstadt. Eine tiefe
Traurigkeit edler Art erfüllte ihn, und er sah mit innerem Schauer in ein neues
Laud hinein, wo irdische Gedanken eitel erschienen. In seinem Gedächtnis
tauchte wieder und wieder mit unvertilgbaren Nachdruck der Wunsch des leidenden
Helden auf:


Hades, lieblicher Gott, du Bruder des hohen Kroniden,
Wiege mich, wiege mich freundlich in Schlaf und führe mich gnädig
Rasch ans Schwingen des Todes hinweg aus Qualen und Drangsall

Bakchen und Thyrsosträ'ger.

Es näherte sich schon der Abend, und der Wagen, der ihn zum Bahnhof
bringen sollte, hielt vor der Thür, als Flörchen in seinein Zimmer erschien.

Sie stürzte mit thränenden Augen auf ihn zu und beschwor ihn, ihr zu
verzeihen. Sie hatte vom Fenster ans den Tag über beobachtet, was sich er¬
eignete, und fühlte ihr Gewissen immer lebhafter erregt. Sie erfuhr, daß ein
Duell stattgefunden hatte, und sie war im hohen Maße verwundert darüber, daß
ihr blasser Liebhaber, der niemals ihr gegenüber einen Mut hatte finden können,
der ihr nur natürlich erschienen wäre, daß dieser schüchterne, schwärmerische Ge¬
lehrte nun plötzlich im Lichte eines Helden erschien. Es flößte ihr eine unbe-
grenzte Hochachtung vor Ephraim ein, daß er den vornehmen, eleganten, reizend
schönen und kühnen Hnsarenoffizier über den Haufen geschossen hatte. Als sie
endlich in Ephraims von der Lampe erleuchteten Zimmer die Vorbereitungen
zur Abreise wahrnahm und die schattenhafte Gestalt der Schauspielerin hin und
wieder gehen und an Koffern beschäftigt sah, erwachten Eifersucht und Reue so
heftig in ihr, daß sie sich nicht mehr halten konnte, sondern hinüberlief.

Meine Schuld ist es, daß diese schreckliche Sache passtrt ist. O, ich schlechtes,
leichtsinniges Mädchen! O, Ephraim, ich habe dich immer so sehr geliebt, wie
ich dich auch noch jetzt einzig und allein liebe, und ich frage gar nichts »ach
dem österreichischen Offizier. Es war nur der Leichtsinn eines Augenblicks, und
ich soll ihn nun so hart büßen! Niemals werde ich dich wiedersehen, du wirst
mich hassen und verachten! O verzeihe mir und bleibe hier, dn sollst niemals
wieder einen Grund zur Unzufriedenheit mit mir haben!

So sich selbst anklagend und mit Bitten um Vergebung, mit innigem Flehen
und mit den zärtlichsten Versprechungen bot das schöne Mädchen alles auf, um
deu Geliebten zurückzugewinnen. Aber sie mußte die Erfahrung machen, daß
der Appell an frühere Stunden und an frühere Bande ohne Erfolg blieb und
daß ihre Liebe deu Zauber verloren hatte, den sie ehedem über ihn geübt. Ihre
Macht war dahin, ihre Glut konnte ihn nicht mehr entzünde«, eine stärkere Macht
hatte sich seiner bemächtigt, und er schien gestählt zu sein in dem Feuer der
letzten qualvollen Empfindungen.

Er sah die Augen, deren blauer Glanz ihn einst berauscht, nun ohne Be¬
wegung Thränen vergieße« und fühlte nicht mehr die elektrische Kraft des goldigen
Haares und der blühenden, weichen Haut. Wie auf eiuen Traum sah er zurück
auf seine Liebe und seine Erfahrungen in der lieblichen Neckarstadt. Eine tiefe
Traurigkeit edler Art erfüllte ihn, und er sah mit innerem Schauer in ein neues
Laud hinein, wo irdische Gedanken eitel erschienen. In seinem Gedächtnis
tauchte wieder und wieder mit unvertilgbaren Nachdruck der Wunsch des leidenden
Helden auf:


Hades, lieblicher Gott, du Bruder des hohen Kroniden,
Wiege mich, wiege mich freundlich in Schlaf und führe mich gnädig
Rasch ans Schwingen des Todes hinweg aus Qualen und Drangsall

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[0143] Bakchen und Thyrsosträ'ger. Es näherte sich schon der Abend, und der Wagen, der ihn zum Bahnhof bringen sollte, hielt vor der Thür, als Flörchen in seinein Zimmer erschien. Sie stürzte mit thränenden Augen auf ihn zu und beschwor ihn, ihr zu verzeihen. Sie hatte vom Fenster ans den Tag über beobachtet, was sich er¬ eignete, und fühlte ihr Gewissen immer lebhafter erregt. Sie erfuhr, daß ein Duell stattgefunden hatte, und sie war im hohen Maße verwundert darüber, daß ihr blasser Liebhaber, der niemals ihr gegenüber einen Mut hatte finden können, der ihr nur natürlich erschienen wäre, daß dieser schüchterne, schwärmerische Ge¬ lehrte nun plötzlich im Lichte eines Helden erschien. Es flößte ihr eine unbe- grenzte Hochachtung vor Ephraim ein, daß er den vornehmen, eleganten, reizend schönen und kühnen Hnsarenoffizier über den Haufen geschossen hatte. Als sie endlich in Ephraims von der Lampe erleuchteten Zimmer die Vorbereitungen zur Abreise wahrnahm und die schattenhafte Gestalt der Schauspielerin hin und wieder gehen und an Koffern beschäftigt sah, erwachten Eifersucht und Reue so heftig in ihr, daß sie sich nicht mehr halten konnte, sondern hinüberlief. Meine Schuld ist es, daß diese schreckliche Sache passtrt ist. O, ich schlechtes, leichtsinniges Mädchen! O, Ephraim, ich habe dich immer so sehr geliebt, wie ich dich auch noch jetzt einzig und allein liebe, und ich frage gar nichts »ach dem österreichischen Offizier. Es war nur der Leichtsinn eines Augenblicks, und ich soll ihn nun so hart büßen! Niemals werde ich dich wiedersehen, du wirst mich hassen und verachten! O verzeihe mir und bleibe hier, dn sollst niemals wieder einen Grund zur Unzufriedenheit mit mir haben! So sich selbst anklagend und mit Bitten um Vergebung, mit innigem Flehen und mit den zärtlichsten Versprechungen bot das schöne Mädchen alles auf, um deu Geliebten zurückzugewinnen. Aber sie mußte die Erfahrung machen, daß der Appell an frühere Stunden und an frühere Bande ohne Erfolg blieb und daß ihre Liebe deu Zauber verloren hatte, den sie ehedem über ihn geübt. Ihre Macht war dahin, ihre Glut konnte ihn nicht mehr entzünde«, eine stärkere Macht hatte sich seiner bemächtigt, und er schien gestählt zu sein in dem Feuer der letzten qualvollen Empfindungen. Er sah die Augen, deren blauer Glanz ihn einst berauscht, nun ohne Be¬ wegung Thränen vergieße« und fühlte nicht mehr die elektrische Kraft des goldigen Haares und der blühenden, weichen Haut. Wie auf eiuen Traum sah er zurück auf seine Liebe und seine Erfahrungen in der lieblichen Neckarstadt. Eine tiefe Traurigkeit edler Art erfüllte ihn, und er sah mit innerem Schauer in ein neues Laud hinein, wo irdische Gedanken eitel erschienen. In seinem Gedächtnis tauchte wieder und wieder mit unvertilgbaren Nachdruck der Wunsch des leidenden Helden auf: Hades, lieblicher Gott, du Bruder des hohen Kroniden, Wiege mich, wiege mich freundlich in Schlaf und führe mich gnädig Rasch ans Schwingen des Todes hinweg aus Qualen und Drangsall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/143>, abgerufen am 22.07.2024.