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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Es kam mir auch so vor, als hätte er das erstemal mit Absicht nebenbei
geschossen, bemerkte der andre, und erst als der Graf fluchte, zuckte etwas an
ihm, und er zielte beim zweiten Schuß.

Wohl möglich, wohl möglich, sagte der Offizier. Es ist ein ganz unge¬
wöhnlicher Mensch, und ich habe wahrhaftig Ehrfurcht vor ihm, obwohl ich
wohl sagen kann, daß ich sonst eben keine Passion für die Herren Jsraeliten
habe. Er muß, bei Gott, von Judas Makkabüns abstammen.

Die Schauspielerin erhob ihren Kopf. Er ist kein Jude, sagte sie.

Ist kein Jude? fragte der Offizier. Warum zog er sich denu den "Juden¬
jungen" an, den ihm der Ungar an den Kops warf und um in Gestalt eines
runden Stücks Blei von neun Millimeter Durchmesser selber zu verdauen hat?

Seine Eltern sind Christen, und er ist es auch, wie er mir erzählt hat,
sagte die Schauspielerin.

Möglich, aber es ist das Blut, mein Frciuleiu, es ist das Blut, und das
Taufwasser kann nichts daran andern. Es ist das eine schwierige Frage mit
der Erblichkeit der Eigenschaften, wie, Doktor? sagte er dann zu dein andern
Herrn. Mir ist immer eines merkwürdig gewesen: Ich habe da zu Hause ein
Packet Briefe von meinem Urgroßvater, meinem Großvater und meinem Vater.
Sie schreibe" alle dieselbe Hand, wenigstens eine durchaus ähnliche Schrift, so
daß mau genau zusehen muß, ob ein Brief von diesem oder jenem der alten
Herren herrührt, und meine eigne Handschrift ist der ihrigen auch ungeheuer
ähnlich. Nun haben wir doch alle ganz verschiedene Schreiblehrer gehabt und
auch nach verschiedenen Methoden gelernt, es muß also doch etwas im Blute
liegen, was sich forterbt. Man weiß nur uicht, wie. Was meinen Sie davon,
Doktor? Die Wissenschaft hat darüber das letzte Wort noch nicht gesprochen,
wie die Gelehrten zu sagen pflegen, was?

Das junge Mädchen saß während dieser und andrer Gespräche verwirrt
und voller Sorgen da. Sie fühlte, daß die Folgen dieses traurigen Ereignisses
ihr deu Freund rauben würden.

Als Ephraim zurückkehrte und von den Untersuchungen und Verhandlungen
erzählte, die ihm bevorstünden, dachte sie mit Schrecken um den Eindruck, deu
der Apparat der Gesetzgebung mit seinen zackigen Rüdern auf dies sein empfindende
Gemüt ausüben müsse, und sie glaubte schou in seinem unheimlich glänzenden
Blick den Widerschein der Verhörzimmer und des Kerkers zu sehen.

Er erklärte, noch an demselben Tage abreisen und zu seinen Eltern zurück¬
kehren zu wollen, und seine Begleiter verließen ihn, indem sie versprachen, ihm
über deu Verlauf der Wunde des besiegten Gegners Mitteilung machen zu wollen.
Nur die Schauspielerin blieb bei ihm und nahm sich, ihre tiefe schmerzliche Be¬
wegung unterdrückend, mit weiblicher Sorgfalt der häuslichen Besorgungen um,
die ihm eine schnelle Abreise erleichtern sollten.


Es kam mir auch so vor, als hätte er das erstemal mit Absicht nebenbei
geschossen, bemerkte der andre, und erst als der Graf fluchte, zuckte etwas an
ihm, und er zielte beim zweiten Schuß.

Wohl möglich, wohl möglich, sagte der Offizier. Es ist ein ganz unge¬
wöhnlicher Mensch, und ich habe wahrhaftig Ehrfurcht vor ihm, obwohl ich
wohl sagen kann, daß ich sonst eben keine Passion für die Herren Jsraeliten
habe. Er muß, bei Gott, von Judas Makkabüns abstammen.

Die Schauspielerin erhob ihren Kopf. Er ist kein Jude, sagte sie.

Ist kein Jude? fragte der Offizier. Warum zog er sich denu den „Juden¬
jungen" an, den ihm der Ungar an den Kops warf und um in Gestalt eines
runden Stücks Blei von neun Millimeter Durchmesser selber zu verdauen hat?

Seine Eltern sind Christen, und er ist es auch, wie er mir erzählt hat,
sagte die Schauspielerin.

Möglich, aber es ist das Blut, mein Frciuleiu, es ist das Blut, und das
Taufwasser kann nichts daran andern. Es ist das eine schwierige Frage mit
der Erblichkeit der Eigenschaften, wie, Doktor? sagte er dann zu dein andern
Herrn. Mir ist immer eines merkwürdig gewesen: Ich habe da zu Hause ein
Packet Briefe von meinem Urgroßvater, meinem Großvater und meinem Vater.
Sie schreibe» alle dieselbe Hand, wenigstens eine durchaus ähnliche Schrift, so
daß mau genau zusehen muß, ob ein Brief von diesem oder jenem der alten
Herren herrührt, und meine eigne Handschrift ist der ihrigen auch ungeheuer
ähnlich. Nun haben wir doch alle ganz verschiedene Schreiblehrer gehabt und
auch nach verschiedenen Methoden gelernt, es muß also doch etwas im Blute
liegen, was sich forterbt. Man weiß nur uicht, wie. Was meinen Sie davon,
Doktor? Die Wissenschaft hat darüber das letzte Wort noch nicht gesprochen,
wie die Gelehrten zu sagen pflegen, was?

Das junge Mädchen saß während dieser und andrer Gespräche verwirrt
und voller Sorgen da. Sie fühlte, daß die Folgen dieses traurigen Ereignisses
ihr deu Freund rauben würden.

Als Ephraim zurückkehrte und von den Untersuchungen und Verhandlungen
erzählte, die ihm bevorstünden, dachte sie mit Schrecken um den Eindruck, deu
der Apparat der Gesetzgebung mit seinen zackigen Rüdern auf dies sein empfindende
Gemüt ausüben müsse, und sie glaubte schou in seinem unheimlich glänzenden
Blick den Widerschein der Verhörzimmer und des Kerkers zu sehen.

Er erklärte, noch an demselben Tage abreisen und zu seinen Eltern zurück¬
kehren zu wollen, und seine Begleiter verließen ihn, indem sie versprachen, ihm
über deu Verlauf der Wunde des besiegten Gegners Mitteilung machen zu wollen.
Nur die Schauspielerin blieb bei ihm und nahm sich, ihre tiefe schmerzliche Be¬
wegung unterdrückend, mit weiblicher Sorgfalt der häuslichen Besorgungen um,
die ihm eine schnelle Abreise erleichtern sollten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/142>, abgerufen am 22.07.2024.