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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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einer persönlichen Meimmgssache nnkontrolirbarer Verantwortlichkeit zu einer
solidarischen Verhaftung zu rechnungsmäßiger Pflichterfüllung resp. Versündigung
wird."

Der Verfasser setzt zum weiteren auseinander, wie er sich die Verwirk¬
lichung seines Wunsches vorstellt. Hiernach "empfiehlt sich zur rationellen Be¬
gründung eines sozialpolitischen Sachverständnisses in erster Linie die wissen¬
schaftliche Prozedur des akademischen Lehrverfahrens. . . Wenn die betreffende
Materie, in der wissenschaftlichen Geltung eines einheitlichen Ganzen gefaßt,
uuter den Gesichtspunkt einer neuen selbständigen Disziplin fällt, so erscheint
im sachlichen Interesse die Beschaffung eines neuen selbständigen Lehrstnhls zur
Begründung, Entwicklung und Vervollkommnung dieser Disziplin durchaus un¬
erläßlich. Die Erfahrungen, die man wiederholt an allen Fakultäten darin ge¬
macht hat, daß kein Wissenszweig, so lange dessen Behandlung den Charakter
eines Nebenfaches an sich trug, zur ganzen Geltung seines Gewichtes zu ge¬
langen vermochte, lassen es unratsam erscheinen, die akademische Behandlung eiuer
sozialpolitische,, Prvpcideutik nur mit halben Maßregeln in Angriff zu nehmen."
Ein wesentlicher Gewinn wäre bei einer Einrichtung, welche die zu begründende
Disziplin als eine völlig selbständige zur äußeren Erscheinung brächte, die Er¬
nüchterung des Volkes zur Bescheidenheit in politischen Dingen. Woher das
gegenwärtige maßlose Absprechen über dieselben in allen Kreisen der Gesellschaft?
Doch nur aus dem thatsächlichen Mangel irgend eines Maßes. Stelle man
ein solches von kompetenter Seite auf, und es wird in weiten Kreisen ein ge¬
wisses Innehalten bewirken.

"Nachdem sich die sozialpolitische Propädeutik ans dem akademischen Lehr¬
stühle der Wissenschaft bewährt und gleichsam den politischen Glauben vor Kaiser
und Reich in eiuer Konfession und Apologie dargelegt und eine maßgebende
Approbation erlangt hätte, träte die Notwendigkeit ein, diesen Glauben zum
Gemeingut aller Staatsbürger zu machen, bez. letzteren zu ihm denselben freien
Weg zu eröffnen wie zu dem religiösen Glauben." Dies könnte durch einen
Katechismus geschehen, "welcher als Grundlage für den Unterricht in der be¬
treffenden Materie von der Volksschule an bis in die obersten Klassen der Gym¬
nasien hinein zu dienen Hütte, wie dies bereits mit bestem Erfolg in der Schweiz
geschieht. Dieser sozialpolitische Katechismus wäre auch dergestalt auszustatten,
daß die einzelnen Hauptstücke und Lehrsätze mit erhärtenden Belegstellen, Zitaten
von maßgebenden Autoritäten aller Zeiten und Völker, versehen würden, wie
Schriftsteller diese Aufgabe bei religiösen Katechismen erfüllen." Wer Fühlung
mit dem Volke, namentlich mit dem kleinen Bürgcrsmcmne hat, weiß, welche
verblüffende Wirkung es ans solche Leute übt, wenn sie erfahren, daß ihre und
ihrer Führer politische Weisheit nichts weiter ist als der schlechte Abklatsch längst
dagewesener und durch das Leben und die Geschichte oft widerlegter Meinungen
und Versuche.


einer persönlichen Meimmgssache nnkontrolirbarer Verantwortlichkeit zu einer
solidarischen Verhaftung zu rechnungsmäßiger Pflichterfüllung resp. Versündigung
wird."

Der Verfasser setzt zum weiteren auseinander, wie er sich die Verwirk¬
lichung seines Wunsches vorstellt. Hiernach „empfiehlt sich zur rationellen Be¬
gründung eines sozialpolitischen Sachverständnisses in erster Linie die wissen¬
schaftliche Prozedur des akademischen Lehrverfahrens. . . Wenn die betreffende
Materie, in der wissenschaftlichen Geltung eines einheitlichen Ganzen gefaßt,
uuter den Gesichtspunkt einer neuen selbständigen Disziplin fällt, so erscheint
im sachlichen Interesse die Beschaffung eines neuen selbständigen Lehrstnhls zur
Begründung, Entwicklung und Vervollkommnung dieser Disziplin durchaus un¬
erläßlich. Die Erfahrungen, die man wiederholt an allen Fakultäten darin ge¬
macht hat, daß kein Wissenszweig, so lange dessen Behandlung den Charakter
eines Nebenfaches an sich trug, zur ganzen Geltung seines Gewichtes zu ge¬
langen vermochte, lassen es unratsam erscheinen, die akademische Behandlung eiuer
sozialpolitische,, Prvpcideutik nur mit halben Maßregeln in Angriff zu nehmen."
Ein wesentlicher Gewinn wäre bei einer Einrichtung, welche die zu begründende
Disziplin als eine völlig selbständige zur äußeren Erscheinung brächte, die Er¬
nüchterung des Volkes zur Bescheidenheit in politischen Dingen. Woher das
gegenwärtige maßlose Absprechen über dieselben in allen Kreisen der Gesellschaft?
Doch nur aus dem thatsächlichen Mangel irgend eines Maßes. Stelle man
ein solches von kompetenter Seite auf, und es wird in weiten Kreisen ein ge¬
wisses Innehalten bewirken.

„Nachdem sich die sozialpolitische Propädeutik ans dem akademischen Lehr¬
stühle der Wissenschaft bewährt und gleichsam den politischen Glauben vor Kaiser
und Reich in eiuer Konfession und Apologie dargelegt und eine maßgebende
Approbation erlangt hätte, träte die Notwendigkeit ein, diesen Glauben zum
Gemeingut aller Staatsbürger zu machen, bez. letzteren zu ihm denselben freien
Weg zu eröffnen wie zu dem religiösen Glauben." Dies könnte durch einen
Katechismus geschehen, „welcher als Grundlage für den Unterricht in der be¬
treffenden Materie von der Volksschule an bis in die obersten Klassen der Gym¬
nasien hinein zu dienen Hütte, wie dies bereits mit bestem Erfolg in der Schweiz
geschieht. Dieser sozialpolitische Katechismus wäre auch dergestalt auszustatten,
daß die einzelnen Hauptstücke und Lehrsätze mit erhärtenden Belegstellen, Zitaten
von maßgebenden Autoritäten aller Zeiten und Völker, versehen würden, wie
Schriftsteller diese Aufgabe bei religiösen Katechismen erfüllen." Wer Fühlung
mit dem Volke, namentlich mit dem kleinen Bürgcrsmcmne hat, weiß, welche
verblüffende Wirkung es ans solche Leute übt, wenn sie erfahren, daß ihre und
ihrer Führer politische Weisheit nichts weiter ist als der schlechte Abklatsch längst
dagewesener und durch das Leben und die Geschichte oft widerlegter Meinungen
und Versuche.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/14>, abgerufen am 22.07.2024.