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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die Erziehung zum Staatsbürger.

Im Speziellen wäre "auf Grundlage allgemein giltiger Gedanken, die unter
sich so weit im einheitlichen Verbände stehen, daß sie für alle einschlägigen
Einzelfälle die leitende Fühlung abgeben, ohne den Urteilenden die Freiheit des
erforderlichen Spielraums zu nehmen, der Nachweis zu liefern, daß die Basis
der Existenz des modernen Staates bez. der konstitutionellen Monarchie ebenso¬
wenig ein Kunst- und Willensprodnkt ist wie der Grundcharakter eines Volkes.
Dieser Nachweis wäre dergestalt zu geben, daß die propädentische Nutzanwendung
hervorleuchtete, und daß demnach alle Versuche, die Entwicklungsbedingungen
des Staates "ach aphoristischen Voraussetzungen zu modeln oder sie demselben
auf dem Wege theoretischer Konstruktion oder experimentirender Nachahmung
aufzuzwingen, nur Schaden bringen können, förderlicher Art dagegen nur die
Staatsformen sind, welche den durch Geschichte, Volkscharakter, nationale Mittel,
geographische Lage und jedesmalige Zeit- und Weltbewegungen gegebenen na¬
türlichen Voraussetzungen entsprechen." Weiter auf das Einzelne eingehend,
hätte man in Betreff der Bedeutung und Aufgabe des Parlamentarismus dar¬
zuthun, daß dieser nicht in jeder beliebigen, sondern sür jedes selbständige, eigen¬
artige Volk nnr in einer bestimmt begrenzten Ausgestaltung seinem Zweck ent¬
sprechen kann oder, populär gesagt, daß es ebensowenig ein Universalparlament
für jedes Volk giebt wie einen Universalstiefel für jeden Fuß.

Ganz vornehmlich wäre der Nachweis zu liefern, daß der eigentliche Schwer¬
punkt des Parlamentarismus, die organische Gemeinschaftlichkeit von Regierung
und Volk, weder in einer Parlamentsregierung noch in einem Regieruugspar-
lament, sondern uur in einer parlamentarischen Regierung zur vollen Geltung
gelangt. Zu diesem Zwecke wäre klarzumachen, wie eine Parlamentsregiernug,
welche der Staatsregierung keinerlei Initiative, sondern nur die Exekutive über¬
lassen will, uur uoch deu Schein des Parlamentarismus um sich hat, in Wahr¬
heit aber nichts als eine Oligarchie ist, die schlimmste Vergewaltigung der Nation
und der Staatsleitung, wie wiederum ein Negiernngspnrlament, welches nur
soweit fnnktioniren soll, als die Staatsregierung dirigirt, gleichfalls nur ein
Trugbild des Parlamentarismus, in der That jedoch Absolutismus mit allen
in der Alleinverantwvrtlichkeit des Herrschers liegenden Gefahren ist, mag er
König oder sonstwie heißen. Dagegen sind in der parlamentarischen Regierung,
welche von einer kraftvollen konstitutionellen Monarchie repräsentirt wird,
alle Vorteile einer einheitlichen und energischen Staatsleitung ohne die Nach¬
teile oligarchischer oder absolutistischer Einseitigkeiten und Willkürlichkeiten ge¬
währleistet.

Unerläßlich wäre endlich der auf Grundlage des Systems zu entwickelnde,
an der Hand der Logik und Geschichte zu führende Nachweis, daß alle Versuche,
die monarchische Staatsleitung zu umgehen und durch republikanische, demokra¬
tische oder sozialistische Gemeinschafts- und Verwaltnugssvrmen zu ersetzen, nicht
sowohl zur Entwicklung der Freiheit des Volkes als vielmehr zur Schmälerung


Die Erziehung zum Staatsbürger.

Im Speziellen wäre „auf Grundlage allgemein giltiger Gedanken, die unter
sich so weit im einheitlichen Verbände stehen, daß sie für alle einschlägigen
Einzelfälle die leitende Fühlung abgeben, ohne den Urteilenden die Freiheit des
erforderlichen Spielraums zu nehmen, der Nachweis zu liefern, daß die Basis
der Existenz des modernen Staates bez. der konstitutionellen Monarchie ebenso¬
wenig ein Kunst- und Willensprodnkt ist wie der Grundcharakter eines Volkes.
Dieser Nachweis wäre dergestalt zu geben, daß die propädentische Nutzanwendung
hervorleuchtete, und daß demnach alle Versuche, die Entwicklungsbedingungen
des Staates «ach aphoristischen Voraussetzungen zu modeln oder sie demselben
auf dem Wege theoretischer Konstruktion oder experimentirender Nachahmung
aufzuzwingen, nur Schaden bringen können, förderlicher Art dagegen nur die
Staatsformen sind, welche den durch Geschichte, Volkscharakter, nationale Mittel,
geographische Lage und jedesmalige Zeit- und Weltbewegungen gegebenen na¬
türlichen Voraussetzungen entsprechen." Weiter auf das Einzelne eingehend,
hätte man in Betreff der Bedeutung und Aufgabe des Parlamentarismus dar¬
zuthun, daß dieser nicht in jeder beliebigen, sondern sür jedes selbständige, eigen¬
artige Volk nnr in einer bestimmt begrenzten Ausgestaltung seinem Zweck ent¬
sprechen kann oder, populär gesagt, daß es ebensowenig ein Universalparlament
für jedes Volk giebt wie einen Universalstiefel für jeden Fuß.

Ganz vornehmlich wäre der Nachweis zu liefern, daß der eigentliche Schwer¬
punkt des Parlamentarismus, die organische Gemeinschaftlichkeit von Regierung
und Volk, weder in einer Parlamentsregierung noch in einem Regieruugspar-
lament, sondern uur in einer parlamentarischen Regierung zur vollen Geltung
gelangt. Zu diesem Zwecke wäre klarzumachen, wie eine Parlamentsregiernug,
welche der Staatsregierung keinerlei Initiative, sondern nur die Exekutive über¬
lassen will, uur uoch deu Schein des Parlamentarismus um sich hat, in Wahr¬
heit aber nichts als eine Oligarchie ist, die schlimmste Vergewaltigung der Nation
und der Staatsleitung, wie wiederum ein Negiernngspnrlament, welches nur
soweit fnnktioniren soll, als die Staatsregierung dirigirt, gleichfalls nur ein
Trugbild des Parlamentarismus, in der That jedoch Absolutismus mit allen
in der Alleinverantwvrtlichkeit des Herrschers liegenden Gefahren ist, mag er
König oder sonstwie heißen. Dagegen sind in der parlamentarischen Regierung,
welche von einer kraftvollen konstitutionellen Monarchie repräsentirt wird,
alle Vorteile einer einheitlichen und energischen Staatsleitung ohne die Nach¬
teile oligarchischer oder absolutistischer Einseitigkeiten und Willkürlichkeiten ge¬
währleistet.

Unerläßlich wäre endlich der auf Grundlage des Systems zu entwickelnde,
an der Hand der Logik und Geschichte zu führende Nachweis, daß alle Versuche,
die monarchische Staatsleitung zu umgehen und durch republikanische, demokra¬
tische oder sozialistische Gemeinschafts- und Verwaltnugssvrmen zu ersetzen, nicht
sowohl zur Entwicklung der Freiheit des Volkes als vielmehr zur Schmälerung


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[0015] Die Erziehung zum Staatsbürger. Im Speziellen wäre „auf Grundlage allgemein giltiger Gedanken, die unter sich so weit im einheitlichen Verbände stehen, daß sie für alle einschlägigen Einzelfälle die leitende Fühlung abgeben, ohne den Urteilenden die Freiheit des erforderlichen Spielraums zu nehmen, der Nachweis zu liefern, daß die Basis der Existenz des modernen Staates bez. der konstitutionellen Monarchie ebenso¬ wenig ein Kunst- und Willensprodnkt ist wie der Grundcharakter eines Volkes. Dieser Nachweis wäre dergestalt zu geben, daß die propädentische Nutzanwendung hervorleuchtete, und daß demnach alle Versuche, die Entwicklungsbedingungen des Staates «ach aphoristischen Voraussetzungen zu modeln oder sie demselben auf dem Wege theoretischer Konstruktion oder experimentirender Nachahmung aufzuzwingen, nur Schaden bringen können, förderlicher Art dagegen nur die Staatsformen sind, welche den durch Geschichte, Volkscharakter, nationale Mittel, geographische Lage und jedesmalige Zeit- und Weltbewegungen gegebenen na¬ türlichen Voraussetzungen entsprechen." Weiter auf das Einzelne eingehend, hätte man in Betreff der Bedeutung und Aufgabe des Parlamentarismus dar¬ zuthun, daß dieser nicht in jeder beliebigen, sondern sür jedes selbständige, eigen¬ artige Volk nnr in einer bestimmt begrenzten Ausgestaltung seinem Zweck ent¬ sprechen kann oder, populär gesagt, daß es ebensowenig ein Universalparlament für jedes Volk giebt wie einen Universalstiefel für jeden Fuß. Ganz vornehmlich wäre der Nachweis zu liefern, daß der eigentliche Schwer¬ punkt des Parlamentarismus, die organische Gemeinschaftlichkeit von Regierung und Volk, weder in einer Parlamentsregierung noch in einem Regieruugspar- lament, sondern uur in einer parlamentarischen Regierung zur vollen Geltung gelangt. Zu diesem Zwecke wäre klarzumachen, wie eine Parlamentsregiernug, welche der Staatsregierung keinerlei Initiative, sondern nur die Exekutive über¬ lassen will, uur uoch deu Schein des Parlamentarismus um sich hat, in Wahr¬ heit aber nichts als eine Oligarchie ist, die schlimmste Vergewaltigung der Nation und der Staatsleitung, wie wiederum ein Negiernngspnrlament, welches nur soweit fnnktioniren soll, als die Staatsregierung dirigirt, gleichfalls nur ein Trugbild des Parlamentarismus, in der That jedoch Absolutismus mit allen in der Alleinverantwvrtlichkeit des Herrschers liegenden Gefahren ist, mag er König oder sonstwie heißen. Dagegen sind in der parlamentarischen Regierung, welche von einer kraftvollen konstitutionellen Monarchie repräsentirt wird, alle Vorteile einer einheitlichen und energischen Staatsleitung ohne die Nach¬ teile oligarchischer oder absolutistischer Einseitigkeiten und Willkürlichkeiten ge¬ währleistet. Unerläßlich wäre endlich der auf Grundlage des Systems zu entwickelnde, an der Hand der Logik und Geschichte zu führende Nachweis, daß alle Versuche, die monarchische Staatsleitung zu umgehen und durch republikanische, demokra¬ tische oder sozialistische Gemeinschafts- und Verwaltnugssvrmen zu ersetzen, nicht sowohl zur Entwicklung der Freiheit des Volkes als vielmehr zur Schmälerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/15>, abgerufen am 25.08.2024.