Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ägypten und die heutigen Ägypter.

Die Berberiner (arabisch Barabra) sind Einwandere aus Nubien, die
sich aber im Nilthnle nie ganz heimisch machen, da sie grundsätzlich niemals
Ägypterinnen heiraten. Der Nubier ist weniger fleißig und energisch als der
Ägypter und noch abergläubischer nud fanatischer als dieser, dagegen ehrlicher,
sauberer und verträglicher mit seinesgleichen. Ein Berber wird in den europäischen
Familien und Comptoiren jedem andern ägyptischen Diener vorgezogen, auf wirk¬
liche Anhänglichkeit und Dankbarkeit ist aber auch bei ihm nicht zu rechnen.
Sie hängen sehr unter einander zusammen und suchen ihren Landsleuten, deren
alle Jahre neue nachkommen, um in den Städten Beschäftigung zu finden, aus
jede Weise Stellen zu verschaffen. Sie sind meist Köche, Kutscher, Läufer, Tür¬
hüter und Bediente. Jede dieser fünf Dieustklasseu ist in den beiden Hauptstädten
des Landes zu einer Genossenschaft nnter einem Scheich organisirt, der von ihnen
die Abgabe" erhebt und für die von ihm zu einer Stelle empfohlenen garantirt.

Die in Ägypten lebenden Neger sind gleich den Barabra Bekenner des
Islam und demselben eifrig zugethan. Die ältern unter ihnen sind meist durch
deu jetzt abgeschafften Sklavenhandel ins Land gekommen und noch jetzt Sklave";
denn selten geschieht es, daß ein Schwarzer von der ihm gebotenen Gelegenheit,
sich durch Vermittlung der Regierung die Freiheit zu verschaffen, Gebrauch macht,
da er damit die Verpflichtung übernehmen würde, für sein Fortkommen selbst
zik sorgen. Die freiwillig eingewanderten Neger bilden die Hefe der Bevölkerung
und werden nur zu den niedrigsten Diensten verwendet.

Obgleich die Familie des Chedive aus der Türkei stammt, ist das tür¬
kische Element in Ägypten verhältnismäßig schwach vertreten. Man rechnet
anf dasselbe kaum hunderttausend Seelen, und es ist in der Abnahme begriffen.
Die ägyptischen Türken sind größtenteils Offiziere der Armee, Beamte und Kauf¬
leute. Die letztem gelten für ehrlicher als die arabischen Kollegen. Die tür¬
kischen Zivilbeamten aber tragen infolge ihrer Indolenz, ihrer Unbekümmertheit
um die Folgen ihres unweisen, mir auf das augenblickliche Bedürfnis gerichteten
Verfahrens in Verwaltuugssacheu und ihrer rücksichtslosen Habgier einen großen
Teil der Schuld daran, daß die reiche Ertragskraft des Nilthales so lange Zeit
gelähmt war.

Zwischen den bisher charakterisirten Kategorien der Bewohner Ägyptens
und den hier als Gäste weilenden Fremden stehen die schon seit Generationen
eingewanderten syrischen Christen, die als Levantin er bezeichnet werden. Die
meisten derselben sind römisch-katholischen Glaubens. Viele zeichnen sich dnrch
Geschäftsgewandtheit und Sprachenkenntnis ans, weshalb man sie oft in euro¬
päischen Haudelshttuseru als Einkäufer angestellt sieht.' Es giebt unter ihnen
außerordentlich reiche Leute. Auch in den Bureaux der Konsulate haben sie
sich unentbehrlich zu machen verstanden, und zwar als Übersetzer sowie als Ver¬
mittler des Verkehrs mit deu Landesbehörden. An sie schließen sich die minder
zahlreichen Armenier an, die zuweilen hohe Regierungsümter bekleiden, was-


Ägypten und die heutigen Ägypter.

Die Berberiner (arabisch Barabra) sind Einwandere aus Nubien, die
sich aber im Nilthnle nie ganz heimisch machen, da sie grundsätzlich niemals
Ägypterinnen heiraten. Der Nubier ist weniger fleißig und energisch als der
Ägypter und noch abergläubischer nud fanatischer als dieser, dagegen ehrlicher,
sauberer und verträglicher mit seinesgleichen. Ein Berber wird in den europäischen
Familien und Comptoiren jedem andern ägyptischen Diener vorgezogen, auf wirk¬
liche Anhänglichkeit und Dankbarkeit ist aber auch bei ihm nicht zu rechnen.
Sie hängen sehr unter einander zusammen und suchen ihren Landsleuten, deren
alle Jahre neue nachkommen, um in den Städten Beschäftigung zu finden, aus
jede Weise Stellen zu verschaffen. Sie sind meist Köche, Kutscher, Läufer, Tür¬
hüter und Bediente. Jede dieser fünf Dieustklasseu ist in den beiden Hauptstädten
des Landes zu einer Genossenschaft nnter einem Scheich organisirt, der von ihnen
die Abgabe» erhebt und für die von ihm zu einer Stelle empfohlenen garantirt.

Die in Ägypten lebenden Neger sind gleich den Barabra Bekenner des
Islam und demselben eifrig zugethan. Die ältern unter ihnen sind meist durch
deu jetzt abgeschafften Sklavenhandel ins Land gekommen und noch jetzt Sklave»;
denn selten geschieht es, daß ein Schwarzer von der ihm gebotenen Gelegenheit,
sich durch Vermittlung der Regierung die Freiheit zu verschaffen, Gebrauch macht,
da er damit die Verpflichtung übernehmen würde, für sein Fortkommen selbst
zik sorgen. Die freiwillig eingewanderten Neger bilden die Hefe der Bevölkerung
und werden nur zu den niedrigsten Diensten verwendet.

Obgleich die Familie des Chedive aus der Türkei stammt, ist das tür¬
kische Element in Ägypten verhältnismäßig schwach vertreten. Man rechnet
anf dasselbe kaum hunderttausend Seelen, und es ist in der Abnahme begriffen.
Die ägyptischen Türken sind größtenteils Offiziere der Armee, Beamte und Kauf¬
leute. Die letztem gelten für ehrlicher als die arabischen Kollegen. Die tür¬
kischen Zivilbeamten aber tragen infolge ihrer Indolenz, ihrer Unbekümmertheit
um die Folgen ihres unweisen, mir auf das augenblickliche Bedürfnis gerichteten
Verfahrens in Verwaltuugssacheu und ihrer rücksichtslosen Habgier einen großen
Teil der Schuld daran, daß die reiche Ertragskraft des Nilthales so lange Zeit
gelähmt war.

Zwischen den bisher charakterisirten Kategorien der Bewohner Ägyptens
und den hier als Gäste weilenden Fremden stehen die schon seit Generationen
eingewanderten syrischen Christen, die als Levantin er bezeichnet werden. Die
meisten derselben sind römisch-katholischen Glaubens. Viele zeichnen sich dnrch
Geschäftsgewandtheit und Sprachenkenntnis ans, weshalb man sie oft in euro¬
päischen Haudelshttuseru als Einkäufer angestellt sieht.' Es giebt unter ihnen
außerordentlich reiche Leute. Auch in den Bureaux der Konsulate haben sie
sich unentbehrlich zu machen verstanden, und zwar als Übersetzer sowie als Ver¬
mittler des Verkehrs mit deu Landesbehörden. An sie schließen sich die minder
zahlreichen Armenier an, die zuweilen hohe Regierungsümter bekleiden, was-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193451"/>
          <fw type="header" place="top"> Ägypten und die heutigen Ägypter.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_358"> Die Berberiner (arabisch Barabra) sind Einwandere aus Nubien, die<lb/>
sich aber im Nilthnle nie ganz heimisch machen, da sie grundsätzlich niemals<lb/>
Ägypterinnen heiraten. Der Nubier ist weniger fleißig und energisch als der<lb/>
Ägypter und noch abergläubischer nud fanatischer als dieser, dagegen ehrlicher,<lb/>
sauberer und verträglicher mit seinesgleichen. Ein Berber wird in den europäischen<lb/>
Familien und Comptoiren jedem andern ägyptischen Diener vorgezogen, auf wirk¬<lb/>
liche Anhänglichkeit und Dankbarkeit ist aber auch bei ihm nicht zu rechnen.<lb/>
Sie hängen sehr unter einander zusammen und suchen ihren Landsleuten, deren<lb/>
alle Jahre neue nachkommen, um in den Städten Beschäftigung zu finden, aus<lb/>
jede Weise Stellen zu verschaffen. Sie sind meist Köche, Kutscher, Läufer, Tür¬<lb/>
hüter und Bediente. Jede dieser fünf Dieustklasseu ist in den beiden Hauptstädten<lb/>
des Landes zu einer Genossenschaft nnter einem Scheich organisirt, der von ihnen<lb/>
die Abgabe» erhebt und für die von ihm zu einer Stelle empfohlenen garantirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_359"> Die in Ägypten lebenden Neger sind gleich den Barabra Bekenner des<lb/>
Islam und demselben eifrig zugethan. Die ältern unter ihnen sind meist durch<lb/>
deu jetzt abgeschafften Sklavenhandel ins Land gekommen und noch jetzt Sklave»;<lb/>
denn selten geschieht es, daß ein Schwarzer von der ihm gebotenen Gelegenheit,<lb/>
sich durch Vermittlung der Regierung die Freiheit zu verschaffen, Gebrauch macht,<lb/>
da er damit die Verpflichtung übernehmen würde, für sein Fortkommen selbst<lb/>
zik sorgen. Die freiwillig eingewanderten Neger bilden die Hefe der Bevölkerung<lb/>
und werden nur zu den niedrigsten Diensten verwendet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_360"> Obgleich die Familie des Chedive aus der Türkei stammt, ist das tür¬<lb/>
kische Element in Ägypten verhältnismäßig schwach vertreten. Man rechnet<lb/>
anf dasselbe kaum hunderttausend Seelen, und es ist in der Abnahme begriffen.<lb/>
Die ägyptischen Türken sind größtenteils Offiziere der Armee, Beamte und Kauf¬<lb/>
leute. Die letztem gelten für ehrlicher als die arabischen Kollegen. Die tür¬<lb/>
kischen Zivilbeamten aber tragen infolge ihrer Indolenz, ihrer Unbekümmertheit<lb/>
um die Folgen ihres unweisen, mir auf das augenblickliche Bedürfnis gerichteten<lb/>
Verfahrens in Verwaltuugssacheu und ihrer rücksichtslosen Habgier einen großen<lb/>
Teil der Schuld daran, daß die reiche Ertragskraft des Nilthales so lange Zeit<lb/>
gelähmt war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_361" next="#ID_362"> Zwischen den bisher charakterisirten Kategorien der Bewohner Ägyptens<lb/>
und den hier als Gäste weilenden Fremden stehen die schon seit Generationen<lb/>
eingewanderten syrischen Christen, die als Levantin er bezeichnet werden. Die<lb/>
meisten derselben sind römisch-katholischen Glaubens. Viele zeichnen sich dnrch<lb/>
Geschäftsgewandtheit und Sprachenkenntnis ans, weshalb man sie oft in euro¬<lb/>
päischen Haudelshttuseru als Einkäufer angestellt sieht.' Es giebt unter ihnen<lb/>
außerordentlich reiche Leute. Auch in den Bureaux der Konsulate haben sie<lb/>
sich unentbehrlich zu machen verstanden, und zwar als Übersetzer sowie als Ver¬<lb/>
mittler des Verkehrs mit deu Landesbehörden. An sie schließen sich die minder<lb/>
zahlreichen Armenier an, die zuweilen hohe Regierungsümter bekleiden, was-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Ägypten und die heutigen Ägypter. Die Berberiner (arabisch Barabra) sind Einwandere aus Nubien, die sich aber im Nilthnle nie ganz heimisch machen, da sie grundsätzlich niemals Ägypterinnen heiraten. Der Nubier ist weniger fleißig und energisch als der Ägypter und noch abergläubischer nud fanatischer als dieser, dagegen ehrlicher, sauberer und verträglicher mit seinesgleichen. Ein Berber wird in den europäischen Familien und Comptoiren jedem andern ägyptischen Diener vorgezogen, auf wirk¬ liche Anhänglichkeit und Dankbarkeit ist aber auch bei ihm nicht zu rechnen. Sie hängen sehr unter einander zusammen und suchen ihren Landsleuten, deren alle Jahre neue nachkommen, um in den Städten Beschäftigung zu finden, aus jede Weise Stellen zu verschaffen. Sie sind meist Köche, Kutscher, Läufer, Tür¬ hüter und Bediente. Jede dieser fünf Dieustklasseu ist in den beiden Hauptstädten des Landes zu einer Genossenschaft nnter einem Scheich organisirt, der von ihnen die Abgabe» erhebt und für die von ihm zu einer Stelle empfohlenen garantirt. Die in Ägypten lebenden Neger sind gleich den Barabra Bekenner des Islam und demselben eifrig zugethan. Die ältern unter ihnen sind meist durch deu jetzt abgeschafften Sklavenhandel ins Land gekommen und noch jetzt Sklave»; denn selten geschieht es, daß ein Schwarzer von der ihm gebotenen Gelegenheit, sich durch Vermittlung der Regierung die Freiheit zu verschaffen, Gebrauch macht, da er damit die Verpflichtung übernehmen würde, für sein Fortkommen selbst zik sorgen. Die freiwillig eingewanderten Neger bilden die Hefe der Bevölkerung und werden nur zu den niedrigsten Diensten verwendet. Obgleich die Familie des Chedive aus der Türkei stammt, ist das tür¬ kische Element in Ägypten verhältnismäßig schwach vertreten. Man rechnet anf dasselbe kaum hunderttausend Seelen, und es ist in der Abnahme begriffen. Die ägyptischen Türken sind größtenteils Offiziere der Armee, Beamte und Kauf¬ leute. Die letztem gelten für ehrlicher als die arabischen Kollegen. Die tür¬ kischen Zivilbeamten aber tragen infolge ihrer Indolenz, ihrer Unbekümmertheit um die Folgen ihres unweisen, mir auf das augenblickliche Bedürfnis gerichteten Verfahrens in Verwaltuugssacheu und ihrer rücksichtslosen Habgier einen großen Teil der Schuld daran, daß die reiche Ertragskraft des Nilthales so lange Zeit gelähmt war. Zwischen den bisher charakterisirten Kategorien der Bewohner Ägyptens und den hier als Gäste weilenden Fremden stehen die schon seit Generationen eingewanderten syrischen Christen, die als Levantin er bezeichnet werden. Die meisten derselben sind römisch-katholischen Glaubens. Viele zeichnen sich dnrch Geschäftsgewandtheit und Sprachenkenntnis ans, weshalb man sie oft in euro¬ päischen Haudelshttuseru als Einkäufer angestellt sieht.' Es giebt unter ihnen außerordentlich reiche Leute. Auch in den Bureaux der Konsulate haben sie sich unentbehrlich zu machen verstanden, und zwar als Übersetzer sowie als Ver¬ mittler des Verkehrs mit deu Landesbehörden. An sie schließen sich die minder zahlreichen Armenier an, die zuweilen hohe Regierungsümter bekleiden, was-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/110>, abgerufen am 02.10.2024.