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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ethnologie und Lthik,

das Material, dessen er sich bei seinen Deductionen bedient, wiederum erklären
zu müssen, den irrationeller Connex des rein phonetischen Schalles mit dem in¬
haltlichen Begriff, mit andern Worten, es würde dies die Häufung eines Räthsels
auf dem andern bedeuten, und die ganze Operation würde in einer gänzlich my¬
stischen Phantasterei endigen. Jener Dualismus also ist das Grundgesetz wenig¬
stens jeglicher menschlichen Erkenntniß. Vielleicht verschwindet er auf den
Stufen höherer Geisterentwicklung; aber so lange der Spiritismus mit seinen
wüsten Spukvorstellungen die besonnene Arbeit nüchterner Wissenschaft noch nicht
widerlegt hat, so lange trägt der Mensch in und an sich selbst jenes methodo¬
logische Prineip mit sich herum, und keine noch so verfeinerte Speculation kann
ihm dies unveräußerliche Eigenthum rauben. Wenn überhaupt eine Vermuthung
gestattet ist, so sind jene beiden Urthatsachen Empfindung und Bewegung nicht
im Bereich individueller Existenz zu begreifen, sondern aufzufassen als Acte des
Kosmos, des Absoluten, oder wie man sonst will, als Strahlenbrechungen jenes
Allwesens, das für unsre Erkenntniß sich bei der Schaffung jeglichen individuellen
Daseins in diese beiden Sphären ausläßt.

Manchem wird unser Eiser überflüssig scheinen, und doch glaubten wir
nicht ohne eine gewisse Ausführlichkeit über diese in unsern Tagen immer mäch¬
tiger sich entwickelnde Theorie hinweggehen zu dürfen. Nicht deshalb, weil sie
uns irgendwie bedenkliche Angriffe nach der ethischen Seite oder erhebliche
theoretische Erweiterungen vermuthen ließe, sonder" lediglich deshalb, weil in
ihr der alte Grundfehler des philosophischen Verfahrens wieder einmal hand¬
greiflich zur Darstellung kommt: die leidige Manier, mit beschränkten Mitteln
einen luxuriösen Haushalt zu gründen, auf höchst beschränkter Basis eine um¬
fassende Weltanschauung zu entwickeln, mit Benutzung einigen empirischen Ma¬
terials eine großartige metaphysisch abschließende Perspektive zu eröffnen. Nach¬
dem die Entwicklungslehre immer mehr Terrain in den einzelnen Wissenschaften
gewonnen, glaubte man die Zeit gekommen für eine gründliche Reform der
Philosophie an Haupt und Gliedern; wie alles im Wege der künstlichen und
natürlichen Züchtung durch Anpassung und Vererbung von den complicirtesten
Erscheinungen rückwärts zu den einfachsten Formen organischen Wesens erklärt
wurde, so hoffte man auch in diesem letzten Residuum die beiden unbequemen
Gegner Materie und Geist oder Empfindung und Bewegung miteinander aus¬
zusöhnen und in diesen primitivsten Gebilden als in schönster harmonischer Ein¬
tracht befindlich darzustellen. Ursprünglich, d. h. wenn man die Sache als solche
betrachte, seien sie ein und dasselbe, und nnr für den thörichten menschlichen
Blick thue sich plötzlich eine tiefe Kluft auf, die aber für die auf höhere In¬
spiration gestützte Anschauung verschwinde. Den richtigen Gedanken, welche die
monistische Philosophie enthält, stimmen wir unbedingt zu. Vor allem ist die
Anwendung des Darwinschen Entwicklungsprincips auf die Ethik eine sehr frucht¬
bare. Schon Spinoza, so sehr seine rein theoretische Formulirung des Substanz-


Grmzbotm IV. 1381. 10
Ethnologie und Lthik,

das Material, dessen er sich bei seinen Deductionen bedient, wiederum erklären
zu müssen, den irrationeller Connex des rein phonetischen Schalles mit dem in¬
haltlichen Begriff, mit andern Worten, es würde dies die Häufung eines Räthsels
auf dem andern bedeuten, und die ganze Operation würde in einer gänzlich my¬
stischen Phantasterei endigen. Jener Dualismus also ist das Grundgesetz wenig¬
stens jeglicher menschlichen Erkenntniß. Vielleicht verschwindet er auf den
Stufen höherer Geisterentwicklung; aber so lange der Spiritismus mit seinen
wüsten Spukvorstellungen die besonnene Arbeit nüchterner Wissenschaft noch nicht
widerlegt hat, so lange trägt der Mensch in und an sich selbst jenes methodo¬
logische Prineip mit sich herum, und keine noch so verfeinerte Speculation kann
ihm dies unveräußerliche Eigenthum rauben. Wenn überhaupt eine Vermuthung
gestattet ist, so sind jene beiden Urthatsachen Empfindung und Bewegung nicht
im Bereich individueller Existenz zu begreifen, sondern aufzufassen als Acte des
Kosmos, des Absoluten, oder wie man sonst will, als Strahlenbrechungen jenes
Allwesens, das für unsre Erkenntniß sich bei der Schaffung jeglichen individuellen
Daseins in diese beiden Sphären ausläßt.

Manchem wird unser Eiser überflüssig scheinen, und doch glaubten wir
nicht ohne eine gewisse Ausführlichkeit über diese in unsern Tagen immer mäch¬
tiger sich entwickelnde Theorie hinweggehen zu dürfen. Nicht deshalb, weil sie
uns irgendwie bedenkliche Angriffe nach der ethischen Seite oder erhebliche
theoretische Erweiterungen vermuthen ließe, sonder» lediglich deshalb, weil in
ihr der alte Grundfehler des philosophischen Verfahrens wieder einmal hand¬
greiflich zur Darstellung kommt: die leidige Manier, mit beschränkten Mitteln
einen luxuriösen Haushalt zu gründen, auf höchst beschränkter Basis eine um¬
fassende Weltanschauung zu entwickeln, mit Benutzung einigen empirischen Ma¬
terials eine großartige metaphysisch abschließende Perspektive zu eröffnen. Nach¬
dem die Entwicklungslehre immer mehr Terrain in den einzelnen Wissenschaften
gewonnen, glaubte man die Zeit gekommen für eine gründliche Reform der
Philosophie an Haupt und Gliedern; wie alles im Wege der künstlichen und
natürlichen Züchtung durch Anpassung und Vererbung von den complicirtesten
Erscheinungen rückwärts zu den einfachsten Formen organischen Wesens erklärt
wurde, so hoffte man auch in diesem letzten Residuum die beiden unbequemen
Gegner Materie und Geist oder Empfindung und Bewegung miteinander aus¬
zusöhnen und in diesen primitivsten Gebilden als in schönster harmonischer Ein¬
tracht befindlich darzustellen. Ursprünglich, d. h. wenn man die Sache als solche
betrachte, seien sie ein und dasselbe, und nnr für den thörichten menschlichen
Blick thue sich plötzlich eine tiefe Kluft auf, die aber für die auf höhere In¬
spiration gestützte Anschauung verschwinde. Den richtigen Gedanken, welche die
monistische Philosophie enthält, stimmen wir unbedingt zu. Vor allem ist die
Anwendung des Darwinschen Entwicklungsprincips auf die Ethik eine sehr frucht¬
bare. Schon Spinoza, so sehr seine rein theoretische Formulirung des Substanz-


Grmzbotm IV. 1381. 10
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[0079] Ethnologie und Lthik, das Material, dessen er sich bei seinen Deductionen bedient, wiederum erklären zu müssen, den irrationeller Connex des rein phonetischen Schalles mit dem in¬ haltlichen Begriff, mit andern Worten, es würde dies die Häufung eines Räthsels auf dem andern bedeuten, und die ganze Operation würde in einer gänzlich my¬ stischen Phantasterei endigen. Jener Dualismus also ist das Grundgesetz wenig¬ stens jeglicher menschlichen Erkenntniß. Vielleicht verschwindet er auf den Stufen höherer Geisterentwicklung; aber so lange der Spiritismus mit seinen wüsten Spukvorstellungen die besonnene Arbeit nüchterner Wissenschaft noch nicht widerlegt hat, so lange trägt der Mensch in und an sich selbst jenes methodo¬ logische Prineip mit sich herum, und keine noch so verfeinerte Speculation kann ihm dies unveräußerliche Eigenthum rauben. Wenn überhaupt eine Vermuthung gestattet ist, so sind jene beiden Urthatsachen Empfindung und Bewegung nicht im Bereich individueller Existenz zu begreifen, sondern aufzufassen als Acte des Kosmos, des Absoluten, oder wie man sonst will, als Strahlenbrechungen jenes Allwesens, das für unsre Erkenntniß sich bei der Schaffung jeglichen individuellen Daseins in diese beiden Sphären ausläßt. Manchem wird unser Eiser überflüssig scheinen, und doch glaubten wir nicht ohne eine gewisse Ausführlichkeit über diese in unsern Tagen immer mäch¬ tiger sich entwickelnde Theorie hinweggehen zu dürfen. Nicht deshalb, weil sie uns irgendwie bedenkliche Angriffe nach der ethischen Seite oder erhebliche theoretische Erweiterungen vermuthen ließe, sonder» lediglich deshalb, weil in ihr der alte Grundfehler des philosophischen Verfahrens wieder einmal hand¬ greiflich zur Darstellung kommt: die leidige Manier, mit beschränkten Mitteln einen luxuriösen Haushalt zu gründen, auf höchst beschränkter Basis eine um¬ fassende Weltanschauung zu entwickeln, mit Benutzung einigen empirischen Ma¬ terials eine großartige metaphysisch abschließende Perspektive zu eröffnen. Nach¬ dem die Entwicklungslehre immer mehr Terrain in den einzelnen Wissenschaften gewonnen, glaubte man die Zeit gekommen für eine gründliche Reform der Philosophie an Haupt und Gliedern; wie alles im Wege der künstlichen und natürlichen Züchtung durch Anpassung und Vererbung von den complicirtesten Erscheinungen rückwärts zu den einfachsten Formen organischen Wesens erklärt wurde, so hoffte man auch in diesem letzten Residuum die beiden unbequemen Gegner Materie und Geist oder Empfindung und Bewegung miteinander aus¬ zusöhnen und in diesen primitivsten Gebilden als in schönster harmonischer Ein¬ tracht befindlich darzustellen. Ursprünglich, d. h. wenn man die Sache als solche betrachte, seien sie ein und dasselbe, und nnr für den thörichten menschlichen Blick thue sich plötzlich eine tiefe Kluft auf, die aber für die auf höhere In¬ spiration gestützte Anschauung verschwinde. Den richtigen Gedanken, welche die monistische Philosophie enthält, stimmen wir unbedingt zu. Vor allem ist die Anwendung des Darwinschen Entwicklungsprincips auf die Ethik eine sehr frucht¬ bare. Schon Spinoza, so sehr seine rein theoretische Formulirung des Substanz- Grmzbotm IV. 1381. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/79>, abgerufen am 15.01.2025.