Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Ethnologie und Lthik. begriffs dem zu widerstreben scheint, hat in merkwürdiger Anticipation die Dar¬ Ethnologie und Lthik. begriffs dem zu widerstreben scheint, hat in merkwürdiger Anticipation die Dar¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150802"/> <fw type="header" place="top"> Ethnologie und Lthik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_215" prev="#ID_214" next="#ID_216"> begriffs dem zu widerstreben scheint, hat in merkwürdiger Anticipation die Dar¬<lb/> winschen Bestimmungen der Selection und Anpassung auf ethischem Gebiete<lb/> vorweggenommen (namentlich im vierten Theile seiner Ethik), Ist jene Ent¬<lb/> deckung, welche Lamarch und Darwin in dem Bereich der Biologie gemacht<lb/> haben, wirklich eine fundamentale, auch nach ihrer methodologischen Seite hin,<lb/> so wäre es in der That äußerst seltsam, wenn nicht die übrigen Disciplinen<lb/> von jenen Impulse» mitergriffen werden sollten. Anstatt also wie bisher in<lb/> der praktischen Philosophie von bestimmten Voraussetzungen, von einer unver¬<lb/> änderlichen Höhe der sittlichen Werthschätzung auszugehen, und an diesem,<lb/> natürlich rein zufällig und subjectiv gewählten Maßstabe die einzelnen Erschei¬<lb/> nungen zu beurtheilen, fing man jetzt an, die absolute Werttheorie aufzugeben<lb/> und vielmehr der Genesis aller der vielfältigen ethischen Ideen nachzuspüren<lb/> Man begann zu begreifen und induetiv im Detail zu erweisen (was Spinoza<lb/> schon lange vorher verkündet hatte), daß das Gute nichts absolut giltiges und<lb/> immer constantes bedeute, sondern je nach der Entwicklungsstufe des betreffenden<lb/> socialen Organismus einen gänzlich verschiedenen, ja mitunter eontmdietorischen<lb/> Inhalt involvire. Es half nicht mehr, von einem kategorischen Imperativ, als<lb/> einem ganz selbstverständlichen und überall gleich wirksamen Factor, zu reden,<lb/> der ohne Unterschied der Person an alle die gleiche Forderung sittlichen Strebens<lb/> richte, von einem immanenten Sittengesetz, das der Mensch selbst in seiner Brust<lb/> trage und mit überall, ohne Rücksicht der Nationalität, gleich striugeuter Noth¬<lb/> wendigkeit zu beobachten verpflichtet sei. Alle jene philosophischen tsrinim er¬<lb/> wiesen sich als Spielzeug einer speculcttiveu Richtung, die beliebig die Erfahrung<lb/> nach ihrem Gutdünken zustutzte, ohne auch nur entfernt eine wirkliche Entwick¬<lb/> lungsgeschichte der Menschheit zu liefern. Man besann sich endlich, daß die<lb/> Cultur, aus der bis dahin der Werthmesser der Moral immer entlehnt worden<lb/> war, ein sehr spätes Product eines unendlich langen Processes sei, dessen ein¬<lb/> zelne Phasen also in aufsteigender Linie genau verglichen werden müßten, ehe<lb/> überhaupt irgend ein abschließendes Urtheil auf diesem Gebiete erfolgen könnte.<lb/> So geschah es denn, daß eine völlig neue Wissenschaft sich bildete, welche auf<lb/> Grund möglichst allgemein vergleichender Studien mindestens die Umrisse jenes<lb/> Verlaufes darzustellen sich bemühte, den das menschliche Geschlecht von seineu<lb/> dürftigsten und primitivsten Anfängen bis zu seinen spätesten und complicirtesten<lb/> Erscheinungen erfahren hat: die Ethnologie. Sie erst vermochte es an der<lb/> Hand jener umfassenden synthetischen Methode (also auf rein empirischer Basis),<lb/> eine wirkliche Geschichte der menschlichen Gesittung zu schreiben, nicht etwa, wie<lb/> sie sein sollte oder könnte, sondern wie sie thatsächlich sich gestaltet hat. Leider<lb/> sind für dies Unternehmen bisher nur die Vorarbeiten unternommen, und es<lb/> fehlt noch an jeder zusammenfassenden ethnologischen Begründung der Ethik-<lb/> Auch die neuesten Versuche von H. Spencer u. a. zeigen immer noch zu sehr<lb/> jenen verderblichen Hang voreiliger Hypostasirungen und eitler dialektischer Kunst-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
Ethnologie und Lthik.
begriffs dem zu widerstreben scheint, hat in merkwürdiger Anticipation die Dar¬
winschen Bestimmungen der Selection und Anpassung auf ethischem Gebiete
vorweggenommen (namentlich im vierten Theile seiner Ethik), Ist jene Ent¬
deckung, welche Lamarch und Darwin in dem Bereich der Biologie gemacht
haben, wirklich eine fundamentale, auch nach ihrer methodologischen Seite hin,
so wäre es in der That äußerst seltsam, wenn nicht die übrigen Disciplinen
von jenen Impulse» mitergriffen werden sollten. Anstatt also wie bisher in
der praktischen Philosophie von bestimmten Voraussetzungen, von einer unver¬
änderlichen Höhe der sittlichen Werthschätzung auszugehen, und an diesem,
natürlich rein zufällig und subjectiv gewählten Maßstabe die einzelnen Erschei¬
nungen zu beurtheilen, fing man jetzt an, die absolute Werttheorie aufzugeben
und vielmehr der Genesis aller der vielfältigen ethischen Ideen nachzuspüren
Man begann zu begreifen und induetiv im Detail zu erweisen (was Spinoza
schon lange vorher verkündet hatte), daß das Gute nichts absolut giltiges und
immer constantes bedeute, sondern je nach der Entwicklungsstufe des betreffenden
socialen Organismus einen gänzlich verschiedenen, ja mitunter eontmdietorischen
Inhalt involvire. Es half nicht mehr, von einem kategorischen Imperativ, als
einem ganz selbstverständlichen und überall gleich wirksamen Factor, zu reden,
der ohne Unterschied der Person an alle die gleiche Forderung sittlichen Strebens
richte, von einem immanenten Sittengesetz, das der Mensch selbst in seiner Brust
trage und mit überall, ohne Rücksicht der Nationalität, gleich striugeuter Noth¬
wendigkeit zu beobachten verpflichtet sei. Alle jene philosophischen tsrinim er¬
wiesen sich als Spielzeug einer speculcttiveu Richtung, die beliebig die Erfahrung
nach ihrem Gutdünken zustutzte, ohne auch nur entfernt eine wirkliche Entwick¬
lungsgeschichte der Menschheit zu liefern. Man besann sich endlich, daß die
Cultur, aus der bis dahin der Werthmesser der Moral immer entlehnt worden
war, ein sehr spätes Product eines unendlich langen Processes sei, dessen ein¬
zelne Phasen also in aufsteigender Linie genau verglichen werden müßten, ehe
überhaupt irgend ein abschließendes Urtheil auf diesem Gebiete erfolgen könnte.
So geschah es denn, daß eine völlig neue Wissenschaft sich bildete, welche auf
Grund möglichst allgemein vergleichender Studien mindestens die Umrisse jenes
Verlaufes darzustellen sich bemühte, den das menschliche Geschlecht von seineu
dürftigsten und primitivsten Anfängen bis zu seinen spätesten und complicirtesten
Erscheinungen erfahren hat: die Ethnologie. Sie erst vermochte es an der
Hand jener umfassenden synthetischen Methode (also auf rein empirischer Basis),
eine wirkliche Geschichte der menschlichen Gesittung zu schreiben, nicht etwa, wie
sie sein sollte oder könnte, sondern wie sie thatsächlich sich gestaltet hat. Leider
sind für dies Unternehmen bisher nur die Vorarbeiten unternommen, und es
fehlt noch an jeder zusammenfassenden ethnologischen Begründung der Ethik-
Auch die neuesten Versuche von H. Spencer u. a. zeigen immer noch zu sehr
jenen verderblichen Hang voreiliger Hypostasirungen und eitler dialektischer Kunst-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |