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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Lthnologie und Ethik.

ganze complicirte Mechanismus unsres Organismus in jene beiden Ursachen aus¬
läuft, die wohl an einander gekettet, aber nie aus einander zu entwickeln si"d.
Anstatt also mit dieser Eruirung des Thatbestandes auch nur irgendwie einen
Einblick in den innern Zusammenhang gewonnen zu haben, stehen wir vielmehr
gerade so klug wie vorher vordem eigentlichen Räthsel, nämlich zu begreifen, wie jene
beiden Eigenschaften entstanden sind, da sie auseinander nicht abgeleitet werden
können. Jenes so gepriesene Mouon also, das alle grübelnden Zweifel begraben
soll, löst sich auf in eine Verbindung zweier, völlig heterogenen Elemente, die
schlechterdings nichts miteinander zu schaffen haben. Das nämlich darf diese
philosophische Doctrin den modernen physiologischen Resultaten gegenüber nicht
behaupten, daß eine innere Gemeinschaft zwischen den Vorgängen des Mechanismus
und des seelischen Lebens durchaus nicht existire, daß z. B, eine beliebige Schall¬
welle keinerlei Verwandtschaft mit einer bestimmten Tonhöhe besitze. Von einer
Identität aber dieser beiden correspondirenden Reihen kann gar keine Rede sein,
es bleibt bei der diametralen Verschiedenheit. Und nun betrachte man ein derartiges
Reservoir völlig unvergleichbarer Bestandtheile! Was hilft uns da der hoch¬
tönende Name Monismus, wo eben, schon in dem kleinsten Atom mit rück¬
sichtsloser Heftigkeit der schreiendste und brutalste Dualismus proclamirt ist?
Oder ist vielleicht je der Versuch geglückt, jene beiden divergenten Eigenschaften
des Monon einander innerlich zu nähern, sie aus einer gemeinsamen höher"
Quelle abzuleiten und so ihre spätere Differenzirung zu erklären? Wenn man
sich an diesem unausführbaren Vornehmen wird müde gearbeitet haben, daun
wird man hoffentlich einsehen, daß diese Richtung voreilig eine Perspective ab¬
schließt, welche weit über die Grenzen, wie Kant sagen würde, der "möglichen
Erfahrung" hinausweist. Es wird unwiderleglich klar werden, daß diese an¬
scheinend unsinnige Korrespondenz der physischen und psychischen Welt ihre Er¬
klärung (sit plin,g. vsrbo!) in unsrer subjectiven Organisation findet, der
zufolge wir auf Grund unsrer sinnlichen Wahrnehmungen ein Reich der Be¬
wegungen construiren, dem wir vermöge unsrer seelischen Functionen das Gegen-
bild der Empfindungen gegenüber zu stellen schlechterdings gezwungen sind.
Absichtlich wählen wir diesen Ausdruck, um damit die völlige Hoffnungslosigkeit
anzudeuten, die wir in Betreff des Versuches hegen, über die uns von der Natur
gezogenen Grenzen mit einem kühnen Salto mortale hinwegzusetzen. Es wäre
dies im eigentlichsten Sinne eine getreue Wiederholung dessen, was Münch-
hausen vermochte, der es bekanntlich verstand, sich an seinen eignen Haaren aus
dem Sumpf herauszuziehen. Eingeschlossen eben in jene beiden einander ent¬
sprechenden Welten des Mechanismus und der Psyche giebt es für uns gar
keine höhere Wurzel beider, schon aus dem einfachen Grunde, weil beide als
Grundvoraussetzungen in den Anfängen unsrer Erkenntniß fungiren. Jeder Versuch
einer Erklärung dieses Phänomens, des einzigen und gänzlich unbegreiflichen
Wunders, das wir kennen, würde den lächerlichen Widerspruch in sich tragen,


Lthnologie und Ethik.

ganze complicirte Mechanismus unsres Organismus in jene beiden Ursachen aus¬
läuft, die wohl an einander gekettet, aber nie aus einander zu entwickeln si»d.
Anstatt also mit dieser Eruirung des Thatbestandes auch nur irgendwie einen
Einblick in den innern Zusammenhang gewonnen zu haben, stehen wir vielmehr
gerade so klug wie vorher vordem eigentlichen Räthsel, nämlich zu begreifen, wie jene
beiden Eigenschaften entstanden sind, da sie auseinander nicht abgeleitet werden
können. Jenes so gepriesene Mouon also, das alle grübelnden Zweifel begraben
soll, löst sich auf in eine Verbindung zweier, völlig heterogenen Elemente, die
schlechterdings nichts miteinander zu schaffen haben. Das nämlich darf diese
philosophische Doctrin den modernen physiologischen Resultaten gegenüber nicht
behaupten, daß eine innere Gemeinschaft zwischen den Vorgängen des Mechanismus
und des seelischen Lebens durchaus nicht existire, daß z. B, eine beliebige Schall¬
welle keinerlei Verwandtschaft mit einer bestimmten Tonhöhe besitze. Von einer
Identität aber dieser beiden correspondirenden Reihen kann gar keine Rede sein,
es bleibt bei der diametralen Verschiedenheit. Und nun betrachte man ein derartiges
Reservoir völlig unvergleichbarer Bestandtheile! Was hilft uns da der hoch¬
tönende Name Monismus, wo eben, schon in dem kleinsten Atom mit rück¬
sichtsloser Heftigkeit der schreiendste und brutalste Dualismus proclamirt ist?
Oder ist vielleicht je der Versuch geglückt, jene beiden divergenten Eigenschaften
des Monon einander innerlich zu nähern, sie aus einer gemeinsamen höher«
Quelle abzuleiten und so ihre spätere Differenzirung zu erklären? Wenn man
sich an diesem unausführbaren Vornehmen wird müde gearbeitet haben, daun
wird man hoffentlich einsehen, daß diese Richtung voreilig eine Perspective ab¬
schließt, welche weit über die Grenzen, wie Kant sagen würde, der „möglichen
Erfahrung" hinausweist. Es wird unwiderleglich klar werden, daß diese an¬
scheinend unsinnige Korrespondenz der physischen und psychischen Welt ihre Er¬
klärung (sit plin,g. vsrbo!) in unsrer subjectiven Organisation findet, der
zufolge wir auf Grund unsrer sinnlichen Wahrnehmungen ein Reich der Be¬
wegungen construiren, dem wir vermöge unsrer seelischen Functionen das Gegen-
bild der Empfindungen gegenüber zu stellen schlechterdings gezwungen sind.
Absichtlich wählen wir diesen Ausdruck, um damit die völlige Hoffnungslosigkeit
anzudeuten, die wir in Betreff des Versuches hegen, über die uns von der Natur
gezogenen Grenzen mit einem kühnen Salto mortale hinwegzusetzen. Es wäre
dies im eigentlichsten Sinne eine getreue Wiederholung dessen, was Münch-
hausen vermochte, der es bekanntlich verstand, sich an seinen eignen Haaren aus
dem Sumpf herauszuziehen. Eingeschlossen eben in jene beiden einander ent¬
sprechenden Welten des Mechanismus und der Psyche giebt es für uns gar
keine höhere Wurzel beider, schon aus dem einfachen Grunde, weil beide als
Grundvoraussetzungen in den Anfängen unsrer Erkenntniß fungiren. Jeder Versuch
einer Erklärung dieses Phänomens, des einzigen und gänzlich unbegreiflichen
Wunders, das wir kennen, würde den lächerlichen Widerspruch in sich tragen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/78>, abgerufen am 15.01.2025.