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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Moliüro-Biogmphieu.

läßt Mahrenhvltz kein gutes Haar; man glaubt, ein zusammengelaufenes Ge-
sindel der schlimmsten Art in ihnen erblicken zu müssen. Selbst La Grange,
der treue Mitarbeiter und Freund Molivres, dem wir die schätzenswerthcste"
Aufzeichnungen über ihn und seine Bühne verdanken, findet keine Gnade vor
seinen Augen. Geradezu peinlich wirken die trotz aller beigebrachten Beispiele
von Selbstlosigkeit immer wiederholten Insinuationen bezüglich der unersättlichen
Geldgier der "Bühuenhelden" aller Zeiten. Am schlimmste,, komme" die Bvjarts
weg, insbesondre Madeleine. Für sehr tugendhaft wird sie ja niemand halte",
denn es ist kann, mehr zu bezweifeln, daß die später bei der Truppe aufgezogene
kleine Armande Böjart, die nachmalige Frau Moliores, die für Madeleines
Schwester ausgegeben wurde, in Wahrheit ihre Tochter war. Aber nach Mahrenholtz'
Schilderung muß man glauben, daß Madeleine eine Dirne der schlimmste" Art
gewesen sei; belegt er sie doch schließlich, wie gleich darauf, da er einmal im
Zuge ist, anch die Maintenon, mit einem Kraftwort, das man in guter Gesell¬
schaft heute eben nicht mehr zu gebrauchen pflegt.

Daß das Leben einer wandernden Schanspieltrnppe -- denn zu diesem
mußte sich das "Hochberühmte Theater," da eS ihm in Paris nicht glücken
wollte, bald bequemen -- an Reizen, sittlichen Gefahren und Unregelmäßigkeiten
aller Art reich war, daß deu Mitgliedern einer solchen Truppe bei ihrem enge"
Zusammenleben der gewöhnliche moralische Maßstab sehr bald verlöre" gehe"
mußte, ist begreiflich genug, und auch Moliöre hatte seinen reichlichen Antheil
an diesen Ausschweifungen. Zu seinem Verhältniß mit Madeleine gesellten
sich später noch Beziehungen mehr oder minder zarter Natur zu andern
Damen seines Theaters, zur stolzen und schönen Duparc, zur sanften und liebe¬
voll hingebenden Debrie. Dafür vermochte aber auch Moliore später die Liebe
mit ihrer himmelhochjanchzenden Freude und ihrem zum Tode betrübten Schmerze
in allen ihren Stadien des Bangens und Zweifelns, der endlichen Erhörung,
des Schmollens, der Versöhnung, der Eifersucht und der Verzweiflung so treu
und ergreifend zu schildern; er selbst hatte reiche Erfahrungen auf diesem Ge¬
biete gesammelt. Das bewegte Dasein seiner Wanderjahre war aber zugleich die
hohe Schule, in der er seine Beobachtungen des vielgestaltigen menschlichen
Lebens anstellte, seine eingehenden Charalterstudicn machte, seine Welt- und Men¬
schenkenntniß erwarb. In der großen Mannichfaltigkeit. der überraschenden
Lebenswahrheit seiner Bühnengestalten sieht man die Frucht dieser Jahre. Trotz
alledem wäre er der große komische Dichter nicht geworden, wenn er nicht ein
echtes Dichtergcmüth dazu mitgebracht hätte, das ihn die Schwächen dieses arm¬
seligen Lebens mit echtem Humor zu betrachten gelehrt hätte. Die andre hervor¬
stechende Seite seiner Dichtungen, den vollendeten dramatischen Aufbau, die treff¬
liche Exposition, den einheitlich geschlossenen Zusammenhang seiner Stücke und
die aus allen diesen Vorzügen sich ergebende Bühnenwirksamkeit derselben verdankt
er, wie Shakespeare, im allgemeinen seiner Thätigkeit als Schauspieler, Regisseur


Zwei Moliüro-Biogmphieu.

läßt Mahrenhvltz kein gutes Haar; man glaubt, ein zusammengelaufenes Ge-
sindel der schlimmsten Art in ihnen erblicken zu müssen. Selbst La Grange,
der treue Mitarbeiter und Freund Molivres, dem wir die schätzenswerthcste»
Aufzeichnungen über ihn und seine Bühne verdanken, findet keine Gnade vor
seinen Augen. Geradezu peinlich wirken die trotz aller beigebrachten Beispiele
von Selbstlosigkeit immer wiederholten Insinuationen bezüglich der unersättlichen
Geldgier der „Bühuenhelden" aller Zeiten. Am schlimmste,, komme» die Bvjarts
weg, insbesondre Madeleine. Für sehr tugendhaft wird sie ja niemand halte»,
denn es ist kann, mehr zu bezweifeln, daß die später bei der Truppe aufgezogene
kleine Armande Böjart, die nachmalige Frau Moliores, die für Madeleines
Schwester ausgegeben wurde, in Wahrheit ihre Tochter war. Aber nach Mahrenholtz'
Schilderung muß man glauben, daß Madeleine eine Dirne der schlimmste» Art
gewesen sei; belegt er sie doch schließlich, wie gleich darauf, da er einmal im
Zuge ist, anch die Maintenon, mit einem Kraftwort, das man in guter Gesell¬
schaft heute eben nicht mehr zu gebrauchen pflegt.

Daß das Leben einer wandernden Schanspieltrnppe — denn zu diesem
mußte sich das „Hochberühmte Theater," da eS ihm in Paris nicht glücken
wollte, bald bequemen — an Reizen, sittlichen Gefahren und Unregelmäßigkeiten
aller Art reich war, daß deu Mitgliedern einer solchen Truppe bei ihrem enge»
Zusammenleben der gewöhnliche moralische Maßstab sehr bald verlöre» gehe»
mußte, ist begreiflich genug, und auch Moliöre hatte seinen reichlichen Antheil
an diesen Ausschweifungen. Zu seinem Verhältniß mit Madeleine gesellten
sich später noch Beziehungen mehr oder minder zarter Natur zu andern
Damen seines Theaters, zur stolzen und schönen Duparc, zur sanften und liebe¬
voll hingebenden Debrie. Dafür vermochte aber auch Moliore später die Liebe
mit ihrer himmelhochjanchzenden Freude und ihrem zum Tode betrübten Schmerze
in allen ihren Stadien des Bangens und Zweifelns, der endlichen Erhörung,
des Schmollens, der Versöhnung, der Eifersucht und der Verzweiflung so treu
und ergreifend zu schildern; er selbst hatte reiche Erfahrungen auf diesem Ge¬
biete gesammelt. Das bewegte Dasein seiner Wanderjahre war aber zugleich die
hohe Schule, in der er seine Beobachtungen des vielgestaltigen menschlichen
Lebens anstellte, seine eingehenden Charalterstudicn machte, seine Welt- und Men¬
schenkenntniß erwarb. In der großen Mannichfaltigkeit. der überraschenden
Lebenswahrheit seiner Bühnengestalten sieht man die Frucht dieser Jahre. Trotz
alledem wäre er der große komische Dichter nicht geworden, wenn er nicht ein
echtes Dichtergcmüth dazu mitgebracht hätte, das ihn die Schwächen dieses arm¬
seligen Lebens mit echtem Humor zu betrachten gelehrt hätte. Die andre hervor¬
stechende Seite seiner Dichtungen, den vollendeten dramatischen Aufbau, die treff¬
liche Exposition, den einheitlich geschlossenen Zusammenhang seiner Stücke und
die aus allen diesen Vorzügen sich ergebende Bühnenwirksamkeit derselben verdankt
er, wie Shakespeare, im allgemeinen seiner Thätigkeit als Schauspieler, Regisseur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/471>, abgerufen am 20.10.2024.