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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Molwre-Biogrciphien.

positive Nachrichten im Stiche lassen, zu phantastischer Ausschmückung verleiten:
er sieht im Geiste Moliörcs Mutter inmitten der gespannt lauschenden Kinder,
denen sie Geschichten des alten und neue" Testaments oder auch Heldenthaten
der Griechen und Römer erzählt, und das nur, weil überliefert wird, daß sie
im Besitze einer Bibel und der Lebensbeschreibungen Plutarchs gewesen sei!

Ueber Molivres Jugend weiß man in der Hauptsache nur, daß er in dem
College de Clermont, also einer von Jesuiten geleiteten Schule, erzogen wurde.
Welchen Schmerz mußte es also den Poquelins bereiten, als der so sorgfältig
herangebildete, für eine glänzende juristische Carriere bestimmte Erstgeborene im
Alter von 21 Jahren plötzlich den Entschluß faßte, unter die Komödianten zu
gehen! Dies wollte damals noch etwas andres bedeuten als heutzutage. Hatte
doch der Schauspielerstand noch ein paar Jahre vorher rechtlich als ehrlos ge¬
golten, war doch noch zu Molivres Zeit der Schauspieler als solcher ohne
weiteres mit dem Kirchenbanne belegt, und erlangte doch Moliüre selbst, der
beliebte, durch des Königs Gunst ausgezeichnete Dichter, nnr mit Mühe ein kirch¬
liches Begräbniß -- zur Nachtzeit! Kein Wunder, daß die ehrsame, angesehene
Bürgerfamilie sich lange mit dem Schritte ihres ungerathenen Sprößlings nicht
hat befreunden können. Mit um so wärmeren Eiser und mit um so größerer,
selbstloserer Hingebung hielt Molwre trotz allen sich ihm in den ersten Jahren
seiner Künstlerlanfbahn entgegenthürmendcn Schwierigkeiten an dein von ihm
gewählten Berufe fest. Auch als er später in demselben reich geworden, ver¬
schmähte er es, um äußerer Ehre willen ihm den Rücken zu kehren. So kam
es, daß dem nationalsten Dichter Frankreichs die Aufnahme in die Akademie
versagt blieb. Dafür blieb ihm aber sein ganzes Leben hindurch die treue An¬
hänglichkeit seiner Berufsgenossen gewahrt, was zugleich für den bedeutenden
Einfluß spricht, den er auf diese ausübte.

Welches die nächste Veranlassung zu dem Schritte Molivres war, steht
nicht fest, aber man sieht, trotz Mahrenholtz, nicht ein, warum nicht Liebe den
Ausschlag gegeben haben soll, wenn auch der Hang zu freiem, lockerm Leben mit¬
gewirkt habe" mag. Denn daß Moliöre längere Zeit ein Liebesverhältniß mit der
um vier Jahre ältern Madeleine Bvjart unterhielt, ist nicht in Abrede zu stellen,
und diese, schon früher Schauspielerin, bildete damals mit mehreren Gliedern
der Familie Bvjart, Moliüre und andern eine neue Theatergesellschaft, die sich
pomphaft ^'I11u8dro ^KMtrs nannte.

Mahrenholtz entwirft ein schaudervolles Bild von dein wüsten Leben dieser
Truppe, aber in unnöthig übertreibender Weise. Er hat überhaupt die Neigung,
die schlimmen Seiten an den Menschen möglichst grell zu beleuchten und sie in
übel angebrachter puritanischer Strenge als schlechte Subjecte hinzustellen. Auch
Molle-res Vater wird angesichts der Unterstützung, die er seinem Sohne später
hat zu Theil werde" lassen, entschieden zu ungünstig beurtheilt, und ähnlich geht
es ander", wie dem anstrebende" Dichter Boursanlt. An den Schauspielern


Zwei Molwre-Biogrciphien.

positive Nachrichten im Stiche lassen, zu phantastischer Ausschmückung verleiten:
er sieht im Geiste Moliörcs Mutter inmitten der gespannt lauschenden Kinder,
denen sie Geschichten des alten und neue» Testaments oder auch Heldenthaten
der Griechen und Römer erzählt, und das nur, weil überliefert wird, daß sie
im Besitze einer Bibel und der Lebensbeschreibungen Plutarchs gewesen sei!

Ueber Molivres Jugend weiß man in der Hauptsache nur, daß er in dem
College de Clermont, also einer von Jesuiten geleiteten Schule, erzogen wurde.
Welchen Schmerz mußte es also den Poquelins bereiten, als der so sorgfältig
herangebildete, für eine glänzende juristische Carriere bestimmte Erstgeborene im
Alter von 21 Jahren plötzlich den Entschluß faßte, unter die Komödianten zu
gehen! Dies wollte damals noch etwas andres bedeuten als heutzutage. Hatte
doch der Schauspielerstand noch ein paar Jahre vorher rechtlich als ehrlos ge¬
golten, war doch noch zu Molivres Zeit der Schauspieler als solcher ohne
weiteres mit dem Kirchenbanne belegt, und erlangte doch Moliüre selbst, der
beliebte, durch des Königs Gunst ausgezeichnete Dichter, nnr mit Mühe ein kirch¬
liches Begräbniß — zur Nachtzeit! Kein Wunder, daß die ehrsame, angesehene
Bürgerfamilie sich lange mit dem Schritte ihres ungerathenen Sprößlings nicht
hat befreunden können. Mit um so wärmeren Eiser und mit um so größerer,
selbstloserer Hingebung hielt Molwre trotz allen sich ihm in den ersten Jahren
seiner Künstlerlanfbahn entgegenthürmendcn Schwierigkeiten an dein von ihm
gewählten Berufe fest. Auch als er später in demselben reich geworden, ver¬
schmähte er es, um äußerer Ehre willen ihm den Rücken zu kehren. So kam
es, daß dem nationalsten Dichter Frankreichs die Aufnahme in die Akademie
versagt blieb. Dafür blieb ihm aber sein ganzes Leben hindurch die treue An¬
hänglichkeit seiner Berufsgenossen gewahrt, was zugleich für den bedeutenden
Einfluß spricht, den er auf diese ausübte.

Welches die nächste Veranlassung zu dem Schritte Molivres war, steht
nicht fest, aber man sieht, trotz Mahrenholtz, nicht ein, warum nicht Liebe den
Ausschlag gegeben haben soll, wenn auch der Hang zu freiem, lockerm Leben mit¬
gewirkt habe» mag. Denn daß Moliöre längere Zeit ein Liebesverhältniß mit der
um vier Jahre ältern Madeleine Bvjart unterhielt, ist nicht in Abrede zu stellen,
und diese, schon früher Schauspielerin, bildete damals mit mehreren Gliedern
der Familie Bvjart, Moliüre und andern eine neue Theatergesellschaft, die sich
pomphaft ^'I11u8dro ^KMtrs nannte.

Mahrenholtz entwirft ein schaudervolles Bild von dein wüsten Leben dieser
Truppe, aber in unnöthig übertreibender Weise. Er hat überhaupt die Neigung,
die schlimmen Seiten an den Menschen möglichst grell zu beleuchten und sie in
übel angebrachter puritanischer Strenge als schlechte Subjecte hinzustellen. Auch
Molle-res Vater wird angesichts der Unterstützung, die er seinem Sohne später
hat zu Theil werde» lassen, entschieden zu ungünstig beurtheilt, und ähnlich geht
es ander», wie dem anstrebende» Dichter Boursanlt. An den Schauspielern


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[0470] Zwei Molwre-Biogrciphien. positive Nachrichten im Stiche lassen, zu phantastischer Ausschmückung verleiten: er sieht im Geiste Moliörcs Mutter inmitten der gespannt lauschenden Kinder, denen sie Geschichten des alten und neue» Testaments oder auch Heldenthaten der Griechen und Römer erzählt, und das nur, weil überliefert wird, daß sie im Besitze einer Bibel und der Lebensbeschreibungen Plutarchs gewesen sei! Ueber Molivres Jugend weiß man in der Hauptsache nur, daß er in dem College de Clermont, also einer von Jesuiten geleiteten Schule, erzogen wurde. Welchen Schmerz mußte es also den Poquelins bereiten, als der so sorgfältig herangebildete, für eine glänzende juristische Carriere bestimmte Erstgeborene im Alter von 21 Jahren plötzlich den Entschluß faßte, unter die Komödianten zu gehen! Dies wollte damals noch etwas andres bedeuten als heutzutage. Hatte doch der Schauspielerstand noch ein paar Jahre vorher rechtlich als ehrlos ge¬ golten, war doch noch zu Molivres Zeit der Schauspieler als solcher ohne weiteres mit dem Kirchenbanne belegt, und erlangte doch Moliüre selbst, der beliebte, durch des Königs Gunst ausgezeichnete Dichter, nnr mit Mühe ein kirch¬ liches Begräbniß — zur Nachtzeit! Kein Wunder, daß die ehrsame, angesehene Bürgerfamilie sich lange mit dem Schritte ihres ungerathenen Sprößlings nicht hat befreunden können. Mit um so wärmeren Eiser und mit um so größerer, selbstloserer Hingebung hielt Molwre trotz allen sich ihm in den ersten Jahren seiner Künstlerlanfbahn entgegenthürmendcn Schwierigkeiten an dein von ihm gewählten Berufe fest. Auch als er später in demselben reich geworden, ver¬ schmähte er es, um äußerer Ehre willen ihm den Rücken zu kehren. So kam es, daß dem nationalsten Dichter Frankreichs die Aufnahme in die Akademie versagt blieb. Dafür blieb ihm aber sein ganzes Leben hindurch die treue An¬ hänglichkeit seiner Berufsgenossen gewahrt, was zugleich für den bedeutenden Einfluß spricht, den er auf diese ausübte. Welches die nächste Veranlassung zu dem Schritte Molivres war, steht nicht fest, aber man sieht, trotz Mahrenholtz, nicht ein, warum nicht Liebe den Ausschlag gegeben haben soll, wenn auch der Hang zu freiem, lockerm Leben mit¬ gewirkt habe» mag. Denn daß Moliöre längere Zeit ein Liebesverhältniß mit der um vier Jahre ältern Madeleine Bvjart unterhielt, ist nicht in Abrede zu stellen, und diese, schon früher Schauspielerin, bildete damals mit mehreren Gliedern der Familie Bvjart, Moliüre und andern eine neue Theatergesellschaft, die sich pomphaft ^'I11u8dro ^KMtrs nannte. Mahrenholtz entwirft ein schaudervolles Bild von dein wüsten Leben dieser Truppe, aber in unnöthig übertreibender Weise. Er hat überhaupt die Neigung, die schlimmen Seiten an den Menschen möglichst grell zu beleuchten und sie in übel angebrachter puritanischer Strenge als schlechte Subjecte hinzustellen. Auch Molle-res Vater wird angesichts der Unterstützung, die er seinem Sohne später hat zu Theil werde» lassen, entschieden zu ungünstig beurtheilt, und ähnlich geht es ander», wie dem anstrebende» Dichter Boursanlt. An den Schauspielern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/470>, abgerufen am 20.10.2024.