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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zur socialen Frage,

spiel und die Agiotage keine Werthe erzeugen, sondern sie nnr von einer Hand
in die andre übertragen und zwar mit der Tendenz der Concentration des Ge¬
winnes in wenigen Händen, daß auch das Agio und Disagio der solidesten
Papiere, welches künstlich erzeugt wird, diesen Charakter trügt, lind daß also
insofern als sich die zinsbringendc Anlage der Ueberschüsse im Bvrsenspiele
und der Agiotage vollzieht, nicht Arbeit besoldet und das Gesammtwohl
befördert, sondern lediglich das Zusammenströmen bestehender Werthe in
wenigen Händen begünstigt wird, Macht man sich überdies klar, daß die Geld-
fürsten nicht nnr ihr eignes Geld, sondern auch die Überschüsse ihrer Clienten
in dieser Weise verwenden, so wird man einsehen, wie viel vortheilhafter für
das Gemeinwohl das Müßigliegen des baaren Geldes im Alterthum war als
die sogenannte Frnetifieiruug bei uns.

Es würde zu weit führen, diese Verhältnisse in ihrer volkswirthschnftlichen
Bedeutung bis ins einzelne zu verfolgen. Dagegen will ich auf eine" andern
Punkt aufmerksam machen, welcher von nicht geringerer Bedeutung ist und in
welchem das Alterthum in günstigerem Lichte erscheint.

Es ist nichts natürlicher, als daß die Gegensätze von großem Ueberfluß
zu großem Mangel bei den Darbenden Neid und Haß erzengen, und diese Ge¬
fühle sind in vielen Epochen der Geschichte zum offnen Ausdruck gekommen.
Der ascetische Geist des Christenthums, welcher das Glück des Menschen auf
das Jenseits verweist, hat die Kluft zwischen Reich und Arm ohne Zweifel
gemildert, auch ist es nicht zu leugnen, daß die Uebung der christlichen Barm¬
herzigkeit versöhnend wirkt. Dagegen fällt der Vergleich zum Nachtheil unsrer
Zeit ans, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Masse des Volkes nicht wie
im Alterthum theils aus Freien besteht, die nicht arbeiten wollten, theils aus
Sklaven, die keinen rechtlichen Anspruch ans selbständige Existenz hatten, dagegen
aber von ihren Herren ernährt wurden, sondern bei uns das ganze Volk bei
gleichem Rechte auch einen wenigstens annähernd gleichen Anspruch auf irdische
Glückseligkeit im Herzen trägt, und jeder ohne Ausnahme den Kampf ums
Dasein mit eignen Kräften führen muß. Dazu kommt, daß heutzutage die
Bildung und die Erkenntniß der gesellschaftlichen Znstcinde in immer tiefere
Schichten des Volkes herabsteigt, daß diese Erkenntniß den Gegenstand ihrer
unaufhörlichen mündlichen und schriftlichen Erörterung bildet und daß daher
das Gefühl der Armuth, des Mißbehagens, des Neides, des Hasses mit jedem
Tage wachsen muß, auch wenn es nicht absichtlich geschürt würde. Im Alter¬
thum gab es ein Correctiv, dessen Bedeutung man nicht unterschätzen darf. Es
herrschte nämlich unter den Reichen die Gewohnheit, lind diese Gewohnheit ward
mehr und mehr auch zu einer gebieterischen Nothwendigkeit, große Summen
zum gemeinen Besten aufzuwenden. Die Kaiser gingen mit dem großartigsten
Beispiel voran, indem sie nicht nur in Rom selbst, sondern bis in die fernsten
Provinzen die Städte mit Tempeln, Form, Bädern, Theatern, Wasserleitungen


Zur socialen Frage,

spiel und die Agiotage keine Werthe erzeugen, sondern sie nnr von einer Hand
in die andre übertragen und zwar mit der Tendenz der Concentration des Ge¬
winnes in wenigen Händen, daß auch das Agio und Disagio der solidesten
Papiere, welches künstlich erzeugt wird, diesen Charakter trügt, lind daß also
insofern als sich die zinsbringendc Anlage der Ueberschüsse im Bvrsenspiele
und der Agiotage vollzieht, nicht Arbeit besoldet und das Gesammtwohl
befördert, sondern lediglich das Zusammenströmen bestehender Werthe in
wenigen Händen begünstigt wird, Macht man sich überdies klar, daß die Geld-
fürsten nicht nnr ihr eignes Geld, sondern auch die Überschüsse ihrer Clienten
in dieser Weise verwenden, so wird man einsehen, wie viel vortheilhafter für
das Gemeinwohl das Müßigliegen des baaren Geldes im Alterthum war als
die sogenannte Frnetifieiruug bei uns.

Es würde zu weit führen, diese Verhältnisse in ihrer volkswirthschnftlichen
Bedeutung bis ins einzelne zu verfolgen. Dagegen will ich auf eine» andern
Punkt aufmerksam machen, welcher von nicht geringerer Bedeutung ist und in
welchem das Alterthum in günstigerem Lichte erscheint.

Es ist nichts natürlicher, als daß die Gegensätze von großem Ueberfluß
zu großem Mangel bei den Darbenden Neid und Haß erzengen, und diese Ge¬
fühle sind in vielen Epochen der Geschichte zum offnen Ausdruck gekommen.
Der ascetische Geist des Christenthums, welcher das Glück des Menschen auf
das Jenseits verweist, hat die Kluft zwischen Reich und Arm ohne Zweifel
gemildert, auch ist es nicht zu leugnen, daß die Uebung der christlichen Barm¬
herzigkeit versöhnend wirkt. Dagegen fällt der Vergleich zum Nachtheil unsrer
Zeit ans, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Masse des Volkes nicht wie
im Alterthum theils aus Freien besteht, die nicht arbeiten wollten, theils aus
Sklaven, die keinen rechtlichen Anspruch ans selbständige Existenz hatten, dagegen
aber von ihren Herren ernährt wurden, sondern bei uns das ganze Volk bei
gleichem Rechte auch einen wenigstens annähernd gleichen Anspruch auf irdische
Glückseligkeit im Herzen trägt, und jeder ohne Ausnahme den Kampf ums
Dasein mit eignen Kräften führen muß. Dazu kommt, daß heutzutage die
Bildung und die Erkenntniß der gesellschaftlichen Znstcinde in immer tiefere
Schichten des Volkes herabsteigt, daß diese Erkenntniß den Gegenstand ihrer
unaufhörlichen mündlichen und schriftlichen Erörterung bildet und daß daher
das Gefühl der Armuth, des Mißbehagens, des Neides, des Hasses mit jedem
Tage wachsen muß, auch wenn es nicht absichtlich geschürt würde. Im Alter¬
thum gab es ein Correctiv, dessen Bedeutung man nicht unterschätzen darf. Es
herrschte nämlich unter den Reichen die Gewohnheit, lind diese Gewohnheit ward
mehr und mehr auch zu einer gebieterischen Nothwendigkeit, große Summen
zum gemeinen Besten aufzuwenden. Die Kaiser gingen mit dem großartigsten
Beispiel voran, indem sie nicht nur in Rom selbst, sondern bis in die fernsten
Provinzen die Städte mit Tempeln, Form, Bädern, Theatern, Wasserleitungen


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[0454] Zur socialen Frage, spiel und die Agiotage keine Werthe erzeugen, sondern sie nnr von einer Hand in die andre übertragen und zwar mit der Tendenz der Concentration des Ge¬ winnes in wenigen Händen, daß auch das Agio und Disagio der solidesten Papiere, welches künstlich erzeugt wird, diesen Charakter trügt, lind daß also insofern als sich die zinsbringendc Anlage der Ueberschüsse im Bvrsenspiele und der Agiotage vollzieht, nicht Arbeit besoldet und das Gesammtwohl befördert, sondern lediglich das Zusammenströmen bestehender Werthe in wenigen Händen begünstigt wird, Macht man sich überdies klar, daß die Geld- fürsten nicht nnr ihr eignes Geld, sondern auch die Überschüsse ihrer Clienten in dieser Weise verwenden, so wird man einsehen, wie viel vortheilhafter für das Gemeinwohl das Müßigliegen des baaren Geldes im Alterthum war als die sogenannte Frnetifieiruug bei uns. Es würde zu weit führen, diese Verhältnisse in ihrer volkswirthschnftlichen Bedeutung bis ins einzelne zu verfolgen. Dagegen will ich auf eine» andern Punkt aufmerksam machen, welcher von nicht geringerer Bedeutung ist und in welchem das Alterthum in günstigerem Lichte erscheint. Es ist nichts natürlicher, als daß die Gegensätze von großem Ueberfluß zu großem Mangel bei den Darbenden Neid und Haß erzengen, und diese Ge¬ fühle sind in vielen Epochen der Geschichte zum offnen Ausdruck gekommen. Der ascetische Geist des Christenthums, welcher das Glück des Menschen auf das Jenseits verweist, hat die Kluft zwischen Reich und Arm ohne Zweifel gemildert, auch ist es nicht zu leugnen, daß die Uebung der christlichen Barm¬ herzigkeit versöhnend wirkt. Dagegen fällt der Vergleich zum Nachtheil unsrer Zeit ans, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Masse des Volkes nicht wie im Alterthum theils aus Freien besteht, die nicht arbeiten wollten, theils aus Sklaven, die keinen rechtlichen Anspruch ans selbständige Existenz hatten, dagegen aber von ihren Herren ernährt wurden, sondern bei uns das ganze Volk bei gleichem Rechte auch einen wenigstens annähernd gleichen Anspruch auf irdische Glückseligkeit im Herzen trägt, und jeder ohne Ausnahme den Kampf ums Dasein mit eignen Kräften führen muß. Dazu kommt, daß heutzutage die Bildung und die Erkenntniß der gesellschaftlichen Znstcinde in immer tiefere Schichten des Volkes herabsteigt, daß diese Erkenntniß den Gegenstand ihrer unaufhörlichen mündlichen und schriftlichen Erörterung bildet und daß daher das Gefühl der Armuth, des Mißbehagens, des Neides, des Hasses mit jedem Tage wachsen muß, auch wenn es nicht absichtlich geschürt würde. Im Alter¬ thum gab es ein Correctiv, dessen Bedeutung man nicht unterschätzen darf. Es herrschte nämlich unter den Reichen die Gewohnheit, lind diese Gewohnheit ward mehr und mehr auch zu einer gebieterischen Nothwendigkeit, große Summen zum gemeinen Besten aufzuwenden. Die Kaiser gingen mit dem großartigsten Beispiel voran, indem sie nicht nur in Rom selbst, sondern bis in die fernsten Provinzen die Städte mit Tempeln, Form, Bädern, Theatern, Wasserleitungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/454>, abgerufen am 16.01.2025.