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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Das Ministerium Gambetta.

Im neuen Cabinet haben von dem bisherigen nur Cazot, der Justizminister
und Cocherh, der Vorstand des Departements für Post und Telegraphen, ihr
Portefeuille behalten, Ueberrascht haben die Uebernahme des Auswärtigen durch
Gambetta, die Ernennung Allain-Targss zum Finanzminister, von dem man
glaubte, er werde die öffentlichen Arbeiten übernehmen, und die Uebertragung
des Unterrichtsministeriums ans Paul Berl, Die Klerikalen werden den letz¬
tern mit aller Macht angreifen, und die Beamten seines Ressorts werden ihn
sicher mit Ungunst ansehen, aber ernster Kritik von feiten der republikanischen
Mehrheit wird er schwerlich begegnen.

Paul Berl ist nächst Gambetta wohl die bedeutendste Persönlichkeit im
neuen Cabinet, Er ist ein Gelehrter und zugleich Politiker und bildet in der
Deputirtenkammer insofern eine Ausnahme von der Regel, als er sich nie zum
Sprechen erhebt, ohne sich zuvor gründlich über den Gegenstand, dem es gilt,
unterrichtet zu haben, so daß die Versammlung ihm gern Gehör giebt. Seine
Beredtsamkeit schmeckt ein wenig nach dem Katheder, ist aber nie trocken, ja
gelegentlich, wenn er von den Mißbräuchen seiner klerikalen Antagonisten
spricht, sogar hinreißend. Er ist 48 Jahre alt und sieht mit seinem glatt-
rasirte" Gesicht, seinen langen schwarzen Haaren und seiner einfachen Art,
sich zu kleiden, wie ein protestantischer Geistlicher aus. In Rechtsgelehrsamkeit,
Medicin und Naturwissenschaften wohl bewandert, hat er sich vor allem auf
dem Gebiete der Erziehung bewegt und sich hier unleugbare Verdienste erworben.
Seit dem Jahre 1872 gehört er dem französischen Parlament an/ Antiklerikale
Anschauungen und Tendenzen sind sein Charaktcrmerkmal, und seine Schriften
über Erziehungspolitik, namentlich sein Werk über die Moral der Jesuiten, haben
ihm einen Haß der ultramontanen Partei zugezogen, der nur dem gleichkommt,
welchen seine öffentlichen Vorträge und Reden erzeugten.

Waldeck-Rousseau, der neue Minister des Innern, ist erst 34 Jahre
alt. Er war Advocat in Rennes, welche Stadt er in der letzten Deputirten¬
kammer als Abgeordneter vertrat und in der jetzigen wieder vertritt. Er zeich¬
nete sich in der Debatte über die Reform des Richterstaudes aus, und zwar
nicht bloß durch elegante Eloquenz, sondern auch durch Logik und solides
Wissen,

Allain-Targs, der an Magnins Stelle das Departement der Finanzen
übernommen hat, war ursprünglich Sachwalter in Angers, seiner Vaterstadt. In
den letzten Jahren des Kaiserreichs zog er nach Paris, wo er zunächst in der
K<zon<z ?oMauö, dann in der Kspublic-us?ran?g.is<z seine Kenntnisse auf dem
Felde der Finanzwissenschaft und der Nationalökonomie verwerthete. Er ist ein
kleiner Herr mit gebrannter südländischer Gesichtsfarbe und dunklem Barte, dem
man seine 49 Jahre nicht ansieht. Er spricht sehr lebhaft und witzig und hütet
sich vor zu langen Reden. Eine Zeit lang Mitglied des Pariser Stadtrathes
gewesen, vertrat er seit 1876 das neunzehnte Arrondissement der Hauptstadt in


Grcuzlwwi IV. 18L1. 4!)
Das Ministerium Gambetta.

Im neuen Cabinet haben von dem bisherigen nur Cazot, der Justizminister
und Cocherh, der Vorstand des Departements für Post und Telegraphen, ihr
Portefeuille behalten, Ueberrascht haben die Uebernahme des Auswärtigen durch
Gambetta, die Ernennung Allain-Targss zum Finanzminister, von dem man
glaubte, er werde die öffentlichen Arbeiten übernehmen, und die Uebertragung
des Unterrichtsministeriums ans Paul Berl, Die Klerikalen werden den letz¬
tern mit aller Macht angreifen, und die Beamten seines Ressorts werden ihn
sicher mit Ungunst ansehen, aber ernster Kritik von feiten der republikanischen
Mehrheit wird er schwerlich begegnen.

Paul Berl ist nächst Gambetta wohl die bedeutendste Persönlichkeit im
neuen Cabinet, Er ist ein Gelehrter und zugleich Politiker und bildet in der
Deputirtenkammer insofern eine Ausnahme von der Regel, als er sich nie zum
Sprechen erhebt, ohne sich zuvor gründlich über den Gegenstand, dem es gilt,
unterrichtet zu haben, so daß die Versammlung ihm gern Gehör giebt. Seine
Beredtsamkeit schmeckt ein wenig nach dem Katheder, ist aber nie trocken, ja
gelegentlich, wenn er von den Mißbräuchen seiner klerikalen Antagonisten
spricht, sogar hinreißend. Er ist 48 Jahre alt und sieht mit seinem glatt-
rasirte» Gesicht, seinen langen schwarzen Haaren und seiner einfachen Art,
sich zu kleiden, wie ein protestantischer Geistlicher aus. In Rechtsgelehrsamkeit,
Medicin und Naturwissenschaften wohl bewandert, hat er sich vor allem auf
dem Gebiete der Erziehung bewegt und sich hier unleugbare Verdienste erworben.
Seit dem Jahre 1872 gehört er dem französischen Parlament an/ Antiklerikale
Anschauungen und Tendenzen sind sein Charaktcrmerkmal, und seine Schriften
über Erziehungspolitik, namentlich sein Werk über die Moral der Jesuiten, haben
ihm einen Haß der ultramontanen Partei zugezogen, der nur dem gleichkommt,
welchen seine öffentlichen Vorträge und Reden erzeugten.

Waldeck-Rousseau, der neue Minister des Innern, ist erst 34 Jahre
alt. Er war Advocat in Rennes, welche Stadt er in der letzten Deputirten¬
kammer als Abgeordneter vertrat und in der jetzigen wieder vertritt. Er zeich¬
nete sich in der Debatte über die Reform des Richterstaudes aus, und zwar
nicht bloß durch elegante Eloquenz, sondern auch durch Logik und solides
Wissen,

Allain-Targs, der an Magnins Stelle das Departement der Finanzen
übernommen hat, war ursprünglich Sachwalter in Angers, seiner Vaterstadt. In
den letzten Jahren des Kaiserreichs zog er nach Paris, wo er zunächst in der
K<zon<z ?oMauö, dann in der Kspublic-us?ran?g.is<z seine Kenntnisse auf dem
Felde der Finanzwissenschaft und der Nationalökonomie verwerthete. Er ist ein
kleiner Herr mit gebrannter südländischer Gesichtsfarbe und dunklem Barte, dem
man seine 49 Jahre nicht ansieht. Er spricht sehr lebhaft und witzig und hütet
sich vor zu langen Reden. Eine Zeit lang Mitglied des Pariser Stadtrathes
gewesen, vertrat er seit 1876 das neunzehnte Arrondissement der Hauptstadt in


Grcuzlwwi IV. 18L1. 4!)
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[0387] Das Ministerium Gambetta. Im neuen Cabinet haben von dem bisherigen nur Cazot, der Justizminister und Cocherh, der Vorstand des Departements für Post und Telegraphen, ihr Portefeuille behalten, Ueberrascht haben die Uebernahme des Auswärtigen durch Gambetta, die Ernennung Allain-Targss zum Finanzminister, von dem man glaubte, er werde die öffentlichen Arbeiten übernehmen, und die Uebertragung des Unterrichtsministeriums ans Paul Berl, Die Klerikalen werden den letz¬ tern mit aller Macht angreifen, und die Beamten seines Ressorts werden ihn sicher mit Ungunst ansehen, aber ernster Kritik von feiten der republikanischen Mehrheit wird er schwerlich begegnen. Paul Berl ist nächst Gambetta wohl die bedeutendste Persönlichkeit im neuen Cabinet, Er ist ein Gelehrter und zugleich Politiker und bildet in der Deputirtenkammer insofern eine Ausnahme von der Regel, als er sich nie zum Sprechen erhebt, ohne sich zuvor gründlich über den Gegenstand, dem es gilt, unterrichtet zu haben, so daß die Versammlung ihm gern Gehör giebt. Seine Beredtsamkeit schmeckt ein wenig nach dem Katheder, ist aber nie trocken, ja gelegentlich, wenn er von den Mißbräuchen seiner klerikalen Antagonisten spricht, sogar hinreißend. Er ist 48 Jahre alt und sieht mit seinem glatt- rasirte» Gesicht, seinen langen schwarzen Haaren und seiner einfachen Art, sich zu kleiden, wie ein protestantischer Geistlicher aus. In Rechtsgelehrsamkeit, Medicin und Naturwissenschaften wohl bewandert, hat er sich vor allem auf dem Gebiete der Erziehung bewegt und sich hier unleugbare Verdienste erworben. Seit dem Jahre 1872 gehört er dem französischen Parlament an/ Antiklerikale Anschauungen und Tendenzen sind sein Charaktcrmerkmal, und seine Schriften über Erziehungspolitik, namentlich sein Werk über die Moral der Jesuiten, haben ihm einen Haß der ultramontanen Partei zugezogen, der nur dem gleichkommt, welchen seine öffentlichen Vorträge und Reden erzeugten. Waldeck-Rousseau, der neue Minister des Innern, ist erst 34 Jahre alt. Er war Advocat in Rennes, welche Stadt er in der letzten Deputirten¬ kammer als Abgeordneter vertrat und in der jetzigen wieder vertritt. Er zeich¬ nete sich in der Debatte über die Reform des Richterstaudes aus, und zwar nicht bloß durch elegante Eloquenz, sondern auch durch Logik und solides Wissen, Allain-Targs, der an Magnins Stelle das Departement der Finanzen übernommen hat, war ursprünglich Sachwalter in Angers, seiner Vaterstadt. In den letzten Jahren des Kaiserreichs zog er nach Paris, wo er zunächst in der K<zon<z ?oMauö, dann in der Kspublic-us?ran?g.is<z seine Kenntnisse auf dem Felde der Finanzwissenschaft und der Nationalökonomie verwerthete. Er ist ein kleiner Herr mit gebrannter südländischer Gesichtsfarbe und dunklem Barte, dem man seine 49 Jahre nicht ansieht. Er spricht sehr lebhaft und witzig und hütet sich vor zu langen Reden. Eine Zeit lang Mitglied des Pariser Stadtrathes gewesen, vertrat er seit 1876 das neunzehnte Arrondissement der Hauptstadt in Grcuzlwwi IV. 18L1. 4!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/387>, abgerufen am 15.01.2025.