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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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sich in seinem Frühstückszimmer und in der Nedaetionsstnbe des Blattes zu-
sammensuchen können, welches jahrelang das Organ seiner Ideen gewesen ist.
Die frühere Vereinigung dieser Herren zu einer Gruppe von Jüngern um den
großen Tribun wird ohne Zweifel bewirken, daß Harmonie im Rathe herrscht.
Sie habe" mit ihm gekämpft, sie haben mit ihm den Sieg errungen, sie theilen,
wie billig, jetzt mit ihm die Beute. Das sieht ganz natürlich ans, indeß bleibt
es immerhin merkwürdig, daß in keinem Lande der Welt, wenigstens in keinem
Grvßstaate, so viele Leute, die sich um oder doch vorwiegend als Zeitungs¬
schreiber einen Namen gemacht haben, zu Ministerpvrtefenillcs gelangen als in
Frankreich und vor allein im jetzigen republikanischen Frankreich. In Deutsch¬
land und Oesterreich waren die Minister bis jetzt ihres Zeichens Verwaltungs-
beamte, Diplomaten, Generale und bisweilen Großindustrielle, niemals Herren
von der Presse. In England gelangen solche bisweilen ins Parlament, aber
mit einem Ministerposten ist dort noch kein Tagesschriftsteller betrnnt worden.
In Italien und Spanien recrutiren sich die Mitglieder des Kcibiuets fast nur
ans Großgrundbesitzern, Soldaten und hervorragenden Advocaten. Ju den Ver¬
einigten Staaten bemühte sich Horace Greeley, der größte amerikanische Jour¬
nalist seiner Zeit, vergebens um ein hohes Staatsamt. In Frankreich verhält
es sich anders. Der Grund der Auszeichnung, die hier deu Helden von der
Feder widerfährt, schreibt sich von der Centralisation deS politischen Lebens in
Paris her, welche eine Folge der ersten Revolution war. Wer hier als Redner
oder Schriftsteller öffentliche Meinung zubereiten hilft, ist, wenn er Talent hat
und rührig strebt, sicher, sich allgemein sichtbar und geltend zu machen und
emporzukommen. Die Revolution ist noch unvollendet -- das ist ein Wort,
das man in Paris oft zu hören bekommt. Es ist daher nicht zu verwundern,
wenn Journalisten, welche einer Partei, die ans eine Aenderung deS bestehenden
ausgeht, durch ihre packenden Phrasen, ihre lebhafte und pikante Sprache und
ihren scharfem Witz und Spott gute Dienste leisten können, beim Angriffe in
die Front treten. Bei einem Feldzuge gegen Institutionen oder Personen wiegt
Witz mehr als Genauigkeit, und ein keckes Pamphlet richtet in den Reihen der
Gegner mehr Schaden an als die gediegenste Abhandlung.

Darnach gestaltet sich denn auch die Verkeilung der Beute nach dem Siege.
Nur hält das specifische Talent der mit Stellen betheiligten gewöhnlich nicht
lange vor, und so kann man begierig sei", ob die verlMnißmäszig jungen Leute,
die sich unter Gmnbettas Führung mit der Spitze der Feder Ministerposten er¬
stürmt haben, imstande sein werden, sich gegen die Angriffe, die sie zu gewärtigen
haben, lange zu behaupten. Denn man kann überzeugt sein, daß jeder von
ihnen schon von einem halben Dutzend andrer Journalisten, die nach derselben
Stelle strebten und ihre Hoffnung getäuscht sahen, als Angriffsgegenstand vor¬
gemerkt worden ist und nächstens aufs Korn genommen werden wird. Seit
1870 hat es in Frankreich nicht weniger als einundzwanzig Minister des Innern


sich in seinem Frühstückszimmer und in der Nedaetionsstnbe des Blattes zu-
sammensuchen können, welches jahrelang das Organ seiner Ideen gewesen ist.
Die frühere Vereinigung dieser Herren zu einer Gruppe von Jüngern um den
großen Tribun wird ohne Zweifel bewirken, daß Harmonie im Rathe herrscht.
Sie habe» mit ihm gekämpft, sie haben mit ihm den Sieg errungen, sie theilen,
wie billig, jetzt mit ihm die Beute. Das sieht ganz natürlich ans, indeß bleibt
es immerhin merkwürdig, daß in keinem Lande der Welt, wenigstens in keinem
Grvßstaate, so viele Leute, die sich um oder doch vorwiegend als Zeitungs¬
schreiber einen Namen gemacht haben, zu Ministerpvrtefenillcs gelangen als in
Frankreich und vor allein im jetzigen republikanischen Frankreich. In Deutsch¬
land und Oesterreich waren die Minister bis jetzt ihres Zeichens Verwaltungs-
beamte, Diplomaten, Generale und bisweilen Großindustrielle, niemals Herren
von der Presse. In England gelangen solche bisweilen ins Parlament, aber
mit einem Ministerposten ist dort noch kein Tagesschriftsteller betrnnt worden.
In Italien und Spanien recrutiren sich die Mitglieder des Kcibiuets fast nur
ans Großgrundbesitzern, Soldaten und hervorragenden Advocaten. Ju den Ver¬
einigten Staaten bemühte sich Horace Greeley, der größte amerikanische Jour¬
nalist seiner Zeit, vergebens um ein hohes Staatsamt. In Frankreich verhält
es sich anders. Der Grund der Auszeichnung, die hier deu Helden von der
Feder widerfährt, schreibt sich von der Centralisation deS politischen Lebens in
Paris her, welche eine Folge der ersten Revolution war. Wer hier als Redner
oder Schriftsteller öffentliche Meinung zubereiten hilft, ist, wenn er Talent hat
und rührig strebt, sicher, sich allgemein sichtbar und geltend zu machen und
emporzukommen. Die Revolution ist noch unvollendet — das ist ein Wort,
das man in Paris oft zu hören bekommt. Es ist daher nicht zu verwundern,
wenn Journalisten, welche einer Partei, die ans eine Aenderung deS bestehenden
ausgeht, durch ihre packenden Phrasen, ihre lebhafte und pikante Sprache und
ihren scharfem Witz und Spott gute Dienste leisten können, beim Angriffe in
die Front treten. Bei einem Feldzuge gegen Institutionen oder Personen wiegt
Witz mehr als Genauigkeit, und ein keckes Pamphlet richtet in den Reihen der
Gegner mehr Schaden an als die gediegenste Abhandlung.

Darnach gestaltet sich denn auch die Verkeilung der Beute nach dem Siege.
Nur hält das specifische Talent der mit Stellen betheiligten gewöhnlich nicht
lange vor, und so kann man begierig sei», ob die verlMnißmäszig jungen Leute,
die sich unter Gmnbettas Führung mit der Spitze der Feder Ministerposten er¬
stürmt haben, imstande sein werden, sich gegen die Angriffe, die sie zu gewärtigen
haben, lange zu behaupten. Denn man kann überzeugt sein, daß jeder von
ihnen schon von einem halben Dutzend andrer Journalisten, die nach derselben
Stelle strebten und ihre Hoffnung getäuscht sahen, als Angriffsgegenstand vor¬
gemerkt worden ist und nächstens aufs Korn genommen werden wird. Seit
1870 hat es in Frankreich nicht weniger als einundzwanzig Minister des Innern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/385>, abgerufen am 15.01.2025.