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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Frauen der italienischen Renaissance.

War, ließ sich die vierundzwanzigjährige Witwe selbst durch die Drohung, daß
ihre in den Händen der Aufrührer als Geißeln befindlichen Kinder den Tod
erleiden würden, nicht zur Uebergabe der Burg bewegen, sondern hielt dieselbe
zwölf Tage lang, bis die aus Mailand und Bologna erbetenen Hilfstruppen
eintrafen. Aber auch von dieser Frau, die noch durch andre blutige Ereignisse
an die Kaltblütigkeit und Todesverachtung einer Amazone gewöhnt war, wird
berichtet, daß sie es sich angelegen sei" ließ, die vorzüglichsten Lehrer zur Unter¬
weisung ihrer Kinder herbeizuziehe". Man sieht, wie die Werthschätzung idealer
Güter selbst da nicht verloren ging, wo der Kampf ums Dasein die größte An¬
spannung aller Kräfte, die Entfaltung höchster Energie, ja unter Umständen
Härte und Grausamkeit erforderte.

Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unserm Hauptthema zurück, zu
der Stellung, welche die Frau im Geistesleben der Renaissance einnahm, so
haben wir vor allem unser Augenmerk daraus zu richten, in welcher Weise die¬
selbe in die Entwicklung der damaligen Gesellschaft eingriff und deren geistige
Physiognomie bestimmte.

Wer nicht anspruchslos genug ist, in den Satzungen der modernen Gesell¬
schaft etwas mustcrgiltiges zu erblicken und sich für den sogenannten von ton
zu erwärmen, der es verbietet, in der Conversation bei einem Gegenstande ern¬
sterer Art mehr als ganz flüchtig zu verweilen, um nicht etwa einen der An¬
wesenden zu ennuyiren oder in Verlegenheit zu setzen, der wird sich mit Ver¬
gnügen dem Bilde zuwenden, welches der gesellige Verkehr in den höhern Kreisen
der Renaissance darbietet. Daß dieses Bild sich aber als ein unvergleichlich
schönes, inhaltsreicheres erweist, ist mit in erster Linie dem Einfluß geistvoller,
gediegne Anregungen fordernder und gewährender Frauen zuzuschreiben.

Die Literatur des sechzehnten Jahrhunderts hat eine Reihe von Werken
auszuweisen, welche von der Durchgeistigung des damaligen Gesellschaftslebens
beredtes Zeugniß ablegen. Mag immerhin eingeräumt werden, daß dabei im
einzelnen dies und jenes durch die Verfasser eine idealisirende Färbung erhalten
hat, so wird man doch sicher nicht fehlgehen, wenn man diesen Berichten in
allem wesentlichen volle Treue und Glaubwürdigkeit zuerkennt. Ist doch das
Bild, welches eine Künstlerhand von einer Person entwirft, in einem höhern
Sinne wahr als die auf mechanischem Wege entstandene Aufnahme des Photo¬
graphen, gerade weil in ihm störende Zufälligkeiten ausgeschieden sind und dafür
die äußere Erscheinung in ihrer Wesenheit als ein Wiederschein des innern Men¬
schen erfaßt ist.

Seit Boccaccio die Nation mit seinem Decamerone beschenkt hatte, in dem
sich die vor der Pest geflttchteten Florentiner Jünglinge und Jungfrauen in jener
reizenden Villa bei Fiesole durch Erzählung der berühmten Novellen die Stunden
kürzen, war es ein beliebter Brauch geworden, für Erzählungen wie philo¬
sophische Erörterungen einen solchen Rahmen zu wählen. So läßt, um nur


Die Frauen der italienischen Renaissance.

War, ließ sich die vierundzwanzigjährige Witwe selbst durch die Drohung, daß
ihre in den Händen der Aufrührer als Geißeln befindlichen Kinder den Tod
erleiden würden, nicht zur Uebergabe der Burg bewegen, sondern hielt dieselbe
zwölf Tage lang, bis die aus Mailand und Bologna erbetenen Hilfstruppen
eintrafen. Aber auch von dieser Frau, die noch durch andre blutige Ereignisse
an die Kaltblütigkeit und Todesverachtung einer Amazone gewöhnt war, wird
berichtet, daß sie es sich angelegen sei» ließ, die vorzüglichsten Lehrer zur Unter¬
weisung ihrer Kinder herbeizuziehe». Man sieht, wie die Werthschätzung idealer
Güter selbst da nicht verloren ging, wo der Kampf ums Dasein die größte An¬
spannung aller Kräfte, die Entfaltung höchster Energie, ja unter Umständen
Härte und Grausamkeit erforderte.

Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unserm Hauptthema zurück, zu
der Stellung, welche die Frau im Geistesleben der Renaissance einnahm, so
haben wir vor allem unser Augenmerk daraus zu richten, in welcher Weise die¬
selbe in die Entwicklung der damaligen Gesellschaft eingriff und deren geistige
Physiognomie bestimmte.

Wer nicht anspruchslos genug ist, in den Satzungen der modernen Gesell¬
schaft etwas mustcrgiltiges zu erblicken und sich für den sogenannten von ton
zu erwärmen, der es verbietet, in der Conversation bei einem Gegenstande ern¬
sterer Art mehr als ganz flüchtig zu verweilen, um nicht etwa einen der An¬
wesenden zu ennuyiren oder in Verlegenheit zu setzen, der wird sich mit Ver¬
gnügen dem Bilde zuwenden, welches der gesellige Verkehr in den höhern Kreisen
der Renaissance darbietet. Daß dieses Bild sich aber als ein unvergleichlich
schönes, inhaltsreicheres erweist, ist mit in erster Linie dem Einfluß geistvoller,
gediegne Anregungen fordernder und gewährender Frauen zuzuschreiben.

Die Literatur des sechzehnten Jahrhunderts hat eine Reihe von Werken
auszuweisen, welche von der Durchgeistigung des damaligen Gesellschaftslebens
beredtes Zeugniß ablegen. Mag immerhin eingeräumt werden, daß dabei im
einzelnen dies und jenes durch die Verfasser eine idealisirende Färbung erhalten
hat, so wird man doch sicher nicht fehlgehen, wenn man diesen Berichten in
allem wesentlichen volle Treue und Glaubwürdigkeit zuerkennt. Ist doch das
Bild, welches eine Künstlerhand von einer Person entwirft, in einem höhern
Sinne wahr als die auf mechanischem Wege entstandene Aufnahme des Photo¬
graphen, gerade weil in ihm störende Zufälligkeiten ausgeschieden sind und dafür
die äußere Erscheinung in ihrer Wesenheit als ein Wiederschein des innern Men¬
schen erfaßt ist.

Seit Boccaccio die Nation mit seinem Decamerone beschenkt hatte, in dem
sich die vor der Pest geflttchteten Florentiner Jünglinge und Jungfrauen in jener
reizenden Villa bei Fiesole durch Erzählung der berühmten Novellen die Stunden
kürzen, war es ein beliebter Brauch geworden, für Erzählungen wie philo¬
sophische Erörterungen einen solchen Rahmen zu wählen. So läßt, um nur


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[0369] Die Frauen der italienischen Renaissance. War, ließ sich die vierundzwanzigjährige Witwe selbst durch die Drohung, daß ihre in den Händen der Aufrührer als Geißeln befindlichen Kinder den Tod erleiden würden, nicht zur Uebergabe der Burg bewegen, sondern hielt dieselbe zwölf Tage lang, bis die aus Mailand und Bologna erbetenen Hilfstruppen eintrafen. Aber auch von dieser Frau, die noch durch andre blutige Ereignisse an die Kaltblütigkeit und Todesverachtung einer Amazone gewöhnt war, wird berichtet, daß sie es sich angelegen sei» ließ, die vorzüglichsten Lehrer zur Unter¬ weisung ihrer Kinder herbeizuziehe». Man sieht, wie die Werthschätzung idealer Güter selbst da nicht verloren ging, wo der Kampf ums Dasein die größte An¬ spannung aller Kräfte, die Entfaltung höchster Energie, ja unter Umständen Härte und Grausamkeit erforderte. Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unserm Hauptthema zurück, zu der Stellung, welche die Frau im Geistesleben der Renaissance einnahm, so haben wir vor allem unser Augenmerk daraus zu richten, in welcher Weise die¬ selbe in die Entwicklung der damaligen Gesellschaft eingriff und deren geistige Physiognomie bestimmte. Wer nicht anspruchslos genug ist, in den Satzungen der modernen Gesell¬ schaft etwas mustcrgiltiges zu erblicken und sich für den sogenannten von ton zu erwärmen, der es verbietet, in der Conversation bei einem Gegenstande ern¬ sterer Art mehr als ganz flüchtig zu verweilen, um nicht etwa einen der An¬ wesenden zu ennuyiren oder in Verlegenheit zu setzen, der wird sich mit Ver¬ gnügen dem Bilde zuwenden, welches der gesellige Verkehr in den höhern Kreisen der Renaissance darbietet. Daß dieses Bild sich aber als ein unvergleichlich schönes, inhaltsreicheres erweist, ist mit in erster Linie dem Einfluß geistvoller, gediegne Anregungen fordernder und gewährender Frauen zuzuschreiben. Die Literatur des sechzehnten Jahrhunderts hat eine Reihe von Werken auszuweisen, welche von der Durchgeistigung des damaligen Gesellschaftslebens beredtes Zeugniß ablegen. Mag immerhin eingeräumt werden, daß dabei im einzelnen dies und jenes durch die Verfasser eine idealisirende Färbung erhalten hat, so wird man doch sicher nicht fehlgehen, wenn man diesen Berichten in allem wesentlichen volle Treue und Glaubwürdigkeit zuerkennt. Ist doch das Bild, welches eine Künstlerhand von einer Person entwirft, in einem höhern Sinne wahr als die auf mechanischem Wege entstandene Aufnahme des Photo¬ graphen, gerade weil in ihm störende Zufälligkeiten ausgeschieden sind und dafür die äußere Erscheinung in ihrer Wesenheit als ein Wiederschein des innern Men¬ schen erfaßt ist. Seit Boccaccio die Nation mit seinem Decamerone beschenkt hatte, in dem sich die vor der Pest geflttchteten Florentiner Jünglinge und Jungfrauen in jener reizenden Villa bei Fiesole durch Erzählung der berühmten Novellen die Stunden kürzen, war es ein beliebter Brauch geworden, für Erzählungen wie philo¬ sophische Erörterungen einen solchen Rahmen zu wählen. So läßt, um nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/369>, abgerufen am 15.01.2025.