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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Frauen der italienischen Renaissance.

Persönlichkeit zu erwarten? Dem gegenüber muß es als ein überaus günstiger
Umstand gelten, daß für die Frau der Renaissance, die sich eine höhere Geistes¬
bildung zu erwerbe" trachtete, das Gebiet, dem sie sich zuzuwenden hatte, von
vornherein feststand.

Die classisch-humanistischen Studien waren es, die seit dem vierzehnten Jahr¬
hundert von einem unabhängigen, allgemein geschätzten und von der vornehmen
Welt gesuchten Gelehrtenstande gepflegt und verbreitet, der Elite der Nation
ihre geistige Nahrung zuführten. Die lateinische Sprache und Literatur und
neben dieser von der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts an auch die griechische,
die von den eingewanderten Hellenen gelehrt und mit glühender Begeisterung
in Italien begrüßt ward, bildete den Hauptinhalt höherer Bildung. Neben diesen
Studien galt alles andre für unbedeutend und Werthlos.

Die Stellung, welche die damalige Zeit zu deu Schätzen des classischen,
speciell des römischen Alterthums einnahm, war wesentlich verschieden von der
heutzutage üblichen. Man hielt sie sür das Vermüchtniß einer Generation, als
deren directe Nachkommen mau sich fühlte, ohne dabei zu beachten, wie sehr
thatsächlich der Zusammenhang mit der altrömischen Cultur durch historische Um-
wälzungen unterbrochen war. Man war der Meinung, daß die Elemente jeuer
Cultur, der geistige Inhalt des Alterthums, zu neuem Leben erweckt werden
könnten, während die moderne Zeit sich bescheidet, dieselben als formale Bil¬
dungsmittel zu betrachten und auszubeuten.

Damit hängt es zusammen, daß man sich dem classischen Alterthum gegen¬
über nicht bloß rcceptiv verhielt, sondern das Gelernte auch zu reproduciren
versuchte, mit den Meistern des lateinischen Stils in kunstvoller Diction, mit
den Dichtern in eleganten, wohltönenden Versen wetteiferte und für die eignen
Erzeugnisse eine gleiche Lebensfähigkeit wie für die zu Grunde liegenden Muster
in Anspruch nahm. Aber auch in der mündlichen Rede bestrebte man sich, die
bewunderten Vorbilder zu erreichen und zwar in ihrer eignen Sprache. Daß
dies nicht nur von seiten gelehrter Männer geschah, die ihr ganzes Leben phi¬
lologischen Studien widmeten, sondern auch Frauen in lateinischen Reden glänzten,
beweist zur Genüge, daß die Sprachstudien derselben nicht bloß einen dilettan¬
tischen, sondern einen ernsten wissenschaftlichen Charakter trugen. Das Ver¬
ständniß des Lateinischen und der schriftliche Gebrauch desselben ist keine be¬
sondre Eigenthümlichkeit der Renaissanecfraucn, sondern auch anderwärts, wie
in Deutschland -- es sei nur an die bekannten Liebesbriefe in der Sammlung
des Wernher von Tegernsee erinnert -- bereits im Mittelalter einzelnen Frauen
geläufig. Wohl aber ist es eine singuläre Erscheinung, daß Frauen sich als
öffentliche Reduerinnen der lateinischen Sprache bedienen, wie es in Italien im
fünfzehnten Jahrhundert mehrfach der Fall war. So wird von Jppolita, der
Tochter des Francesco Sforza, durch den oben bereits erwähnten Jacobus
Bcrgomensis berichtet, daß sie den Papst Pius II. 14S9 aus dem Congreß zu


Die Frauen der italienischen Renaissance.

Persönlichkeit zu erwarten? Dem gegenüber muß es als ein überaus günstiger
Umstand gelten, daß für die Frau der Renaissance, die sich eine höhere Geistes¬
bildung zu erwerbe» trachtete, das Gebiet, dem sie sich zuzuwenden hatte, von
vornherein feststand.

Die classisch-humanistischen Studien waren es, die seit dem vierzehnten Jahr¬
hundert von einem unabhängigen, allgemein geschätzten und von der vornehmen
Welt gesuchten Gelehrtenstande gepflegt und verbreitet, der Elite der Nation
ihre geistige Nahrung zuführten. Die lateinische Sprache und Literatur und
neben dieser von der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts an auch die griechische,
die von den eingewanderten Hellenen gelehrt und mit glühender Begeisterung
in Italien begrüßt ward, bildete den Hauptinhalt höherer Bildung. Neben diesen
Studien galt alles andre für unbedeutend und Werthlos.

Die Stellung, welche die damalige Zeit zu deu Schätzen des classischen,
speciell des römischen Alterthums einnahm, war wesentlich verschieden von der
heutzutage üblichen. Man hielt sie sür das Vermüchtniß einer Generation, als
deren directe Nachkommen mau sich fühlte, ohne dabei zu beachten, wie sehr
thatsächlich der Zusammenhang mit der altrömischen Cultur durch historische Um-
wälzungen unterbrochen war. Man war der Meinung, daß die Elemente jeuer
Cultur, der geistige Inhalt des Alterthums, zu neuem Leben erweckt werden
könnten, während die moderne Zeit sich bescheidet, dieselben als formale Bil¬
dungsmittel zu betrachten und auszubeuten.

Damit hängt es zusammen, daß man sich dem classischen Alterthum gegen¬
über nicht bloß rcceptiv verhielt, sondern das Gelernte auch zu reproduciren
versuchte, mit den Meistern des lateinischen Stils in kunstvoller Diction, mit
den Dichtern in eleganten, wohltönenden Versen wetteiferte und für die eignen
Erzeugnisse eine gleiche Lebensfähigkeit wie für die zu Grunde liegenden Muster
in Anspruch nahm. Aber auch in der mündlichen Rede bestrebte man sich, die
bewunderten Vorbilder zu erreichen und zwar in ihrer eignen Sprache. Daß
dies nicht nur von seiten gelehrter Männer geschah, die ihr ganzes Leben phi¬
lologischen Studien widmeten, sondern auch Frauen in lateinischen Reden glänzten,
beweist zur Genüge, daß die Sprachstudien derselben nicht bloß einen dilettan¬
tischen, sondern einen ernsten wissenschaftlichen Charakter trugen. Das Ver¬
ständniß des Lateinischen und der schriftliche Gebrauch desselben ist keine be¬
sondre Eigenthümlichkeit der Renaissanecfraucn, sondern auch anderwärts, wie
in Deutschland — es sei nur an die bekannten Liebesbriefe in der Sammlung
des Wernher von Tegernsee erinnert — bereits im Mittelalter einzelnen Frauen
geläufig. Wohl aber ist es eine singuläre Erscheinung, daß Frauen sich als
öffentliche Reduerinnen der lateinischen Sprache bedienen, wie es in Italien im
fünfzehnten Jahrhundert mehrfach der Fall war. So wird von Jppolita, der
Tochter des Francesco Sforza, durch den oben bereits erwähnten Jacobus
Bcrgomensis berichtet, daß sie den Papst Pius II. 14S9 aus dem Congreß zu


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[0366] Die Frauen der italienischen Renaissance. Persönlichkeit zu erwarten? Dem gegenüber muß es als ein überaus günstiger Umstand gelten, daß für die Frau der Renaissance, die sich eine höhere Geistes¬ bildung zu erwerbe» trachtete, das Gebiet, dem sie sich zuzuwenden hatte, von vornherein feststand. Die classisch-humanistischen Studien waren es, die seit dem vierzehnten Jahr¬ hundert von einem unabhängigen, allgemein geschätzten und von der vornehmen Welt gesuchten Gelehrtenstande gepflegt und verbreitet, der Elite der Nation ihre geistige Nahrung zuführten. Die lateinische Sprache und Literatur und neben dieser von der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts an auch die griechische, die von den eingewanderten Hellenen gelehrt und mit glühender Begeisterung in Italien begrüßt ward, bildete den Hauptinhalt höherer Bildung. Neben diesen Studien galt alles andre für unbedeutend und Werthlos. Die Stellung, welche die damalige Zeit zu deu Schätzen des classischen, speciell des römischen Alterthums einnahm, war wesentlich verschieden von der heutzutage üblichen. Man hielt sie sür das Vermüchtniß einer Generation, als deren directe Nachkommen mau sich fühlte, ohne dabei zu beachten, wie sehr thatsächlich der Zusammenhang mit der altrömischen Cultur durch historische Um- wälzungen unterbrochen war. Man war der Meinung, daß die Elemente jeuer Cultur, der geistige Inhalt des Alterthums, zu neuem Leben erweckt werden könnten, während die moderne Zeit sich bescheidet, dieselben als formale Bil¬ dungsmittel zu betrachten und auszubeuten. Damit hängt es zusammen, daß man sich dem classischen Alterthum gegen¬ über nicht bloß rcceptiv verhielt, sondern das Gelernte auch zu reproduciren versuchte, mit den Meistern des lateinischen Stils in kunstvoller Diction, mit den Dichtern in eleganten, wohltönenden Versen wetteiferte und für die eignen Erzeugnisse eine gleiche Lebensfähigkeit wie für die zu Grunde liegenden Muster in Anspruch nahm. Aber auch in der mündlichen Rede bestrebte man sich, die bewunderten Vorbilder zu erreichen und zwar in ihrer eignen Sprache. Daß dies nicht nur von seiten gelehrter Männer geschah, die ihr ganzes Leben phi¬ lologischen Studien widmeten, sondern auch Frauen in lateinischen Reden glänzten, beweist zur Genüge, daß die Sprachstudien derselben nicht bloß einen dilettan¬ tischen, sondern einen ernsten wissenschaftlichen Charakter trugen. Das Ver¬ ständniß des Lateinischen und der schriftliche Gebrauch desselben ist keine be¬ sondre Eigenthümlichkeit der Renaissanecfraucn, sondern auch anderwärts, wie in Deutschland — es sei nur an die bekannten Liebesbriefe in der Sammlung des Wernher von Tegernsee erinnert — bereits im Mittelalter einzelnen Frauen geläufig. Wohl aber ist es eine singuläre Erscheinung, daß Frauen sich als öffentliche Reduerinnen der lateinischen Sprache bedienen, wie es in Italien im fünfzehnten Jahrhundert mehrfach der Fall war. So wird von Jppolita, der Tochter des Francesco Sforza, durch den oben bereits erwähnten Jacobus Bcrgomensis berichtet, daß sie den Papst Pius II. 14S9 aus dem Congreß zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/366>, abgerufen am 15.01.2025.