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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Frauen der italienischen Renaissance.

langen trügen, um ein größeres Maß von Freiheit zu genießen und sich der
Herrschaft zu entziehen, welche die Männer über sie ausüben -- ein deutliches
Zeichen dafür, daß Castiglione aus der zugestandenen Ebenbürtigkeit der Frauen
nicht etwa jene socialen Forderungen abgeleitet wissen will, wie sie in neuerer
Zeit aufgestellt werden.

Der theoretischen Anerkennung der specifischen Gleichheit zwischen weiblichen:
und männlichem Intellect, wie sie hier und anderwärts klar und bündig aus¬
gesprochen ist, geht die Gleichstellung der Frau in der Praxis zur Seite. Nicht
in dem Sinne, daß die Frau bürgerlich gleichberechtigt mit dem Manne gewesen
wäre, zu denselben Aemtern und Würden Zugang gehabt Hütte, denn dem
standen die Verhältnisse und die gesunden Anschauungen des Zeitalters durchaus
entgegen; wohl aber wurde die theoretische Gleichstellung der Frau auf dem
Gebiete der geistigen Bildung zur Thatsache, und zwar in einem Umfange, daß
man in andern Perioden vergeblich nach Parallelen dazu suchen würde.

Wie es noch im heutigen Italien Sitte ist, war die Erziehung der weib¬
lichen Jugend bereits zur Zeit der Renaissance Sache der Klöster, in denen
sich die jungen Mädchen, abgeschlossen von der Gesellschaft wie noch jetzt, für
ihren Eintritt in Welt und Ehe vorbereiteten. Diese Erziehung hatte natürlich
ein völlig religiöses Gepräge und konnte denen nicht genügen, die ihren Töchtern
jene höheren Bildungselemente Anzuführen wünschten, welche die humanistischen
Studien gewährten. Diese konnten ihnen nur durch Lehrer vermittelt werden,
und sie wurden ihnen vielfach in derselben Ausdehnung zu Theil wie der männ¬
lichen Jugend. Wie diese, empfingen sie eine durchaus wissenschaftliche
Bildung. Daß dies möglich war, lag in den relativ engen Grenzen, innerhalb
deren sich dieselbe bewegte. In unsrer Zeit, die aus allen Wissensgebieten einen
so ungeheuern Lernstoff angehäuft hat, daß die Bewältigung eines einzigen
Fachstudiums ein ganzes Menschenleben ausfüllt, wäre eine Vertiefung der
Frauenbildung, wie sie die italienische Renaissance aufweist, kaum anders als
auf Kosten der echten Weiblichkeit durchführbar; aus der Massenhaftigkeit des
Wisscnswürdigen aber entsteht ein unsicheres Schwanken in der Wahl der zur
weiblichen Ausbildung dienlichen Gegenstände, ein Eklekticismus, welcher der
festen Grundlage eines Princips ermangelnd naturgemäß zu Oberflächlichkeit
und Seichtheit führt und dessen Treiben, da er in der Regel nicht sowohl die
Bildung um ihrer selbst willen anstrebt, sondern den bloßen Schein derselben
für ausreichend erachtet, als ein verlogenes bezeichnet werden kann. "Etwas"
Französisch und Englisch, "etwas" Literatur- und Kunstgeschichte und als un¬
erläßliches Requisit moderner Salondressur "etwas" Clavierspiel, dazu eine geist-
tödtende Romanlectüre, die jede ernstere Beschäftigung langweilig erscheinen
läßt: wie wäre von solchen Factoren, auf die sich doch die sogenannte Bildung
der modernen Frauenwelt im wesentlichen beschränkt, eine harmonische Ent¬
wicklung der Individualität, eine wirkliche Bereicherung und Veredlung der


Die Frauen der italienischen Renaissance.

langen trügen, um ein größeres Maß von Freiheit zu genießen und sich der
Herrschaft zu entziehen, welche die Männer über sie ausüben — ein deutliches
Zeichen dafür, daß Castiglione aus der zugestandenen Ebenbürtigkeit der Frauen
nicht etwa jene socialen Forderungen abgeleitet wissen will, wie sie in neuerer
Zeit aufgestellt werden.

Der theoretischen Anerkennung der specifischen Gleichheit zwischen weiblichen:
und männlichem Intellect, wie sie hier und anderwärts klar und bündig aus¬
gesprochen ist, geht die Gleichstellung der Frau in der Praxis zur Seite. Nicht
in dem Sinne, daß die Frau bürgerlich gleichberechtigt mit dem Manne gewesen
wäre, zu denselben Aemtern und Würden Zugang gehabt Hütte, denn dem
standen die Verhältnisse und die gesunden Anschauungen des Zeitalters durchaus
entgegen; wohl aber wurde die theoretische Gleichstellung der Frau auf dem
Gebiete der geistigen Bildung zur Thatsache, und zwar in einem Umfange, daß
man in andern Perioden vergeblich nach Parallelen dazu suchen würde.

Wie es noch im heutigen Italien Sitte ist, war die Erziehung der weib¬
lichen Jugend bereits zur Zeit der Renaissance Sache der Klöster, in denen
sich die jungen Mädchen, abgeschlossen von der Gesellschaft wie noch jetzt, für
ihren Eintritt in Welt und Ehe vorbereiteten. Diese Erziehung hatte natürlich
ein völlig religiöses Gepräge und konnte denen nicht genügen, die ihren Töchtern
jene höheren Bildungselemente Anzuführen wünschten, welche die humanistischen
Studien gewährten. Diese konnten ihnen nur durch Lehrer vermittelt werden,
und sie wurden ihnen vielfach in derselben Ausdehnung zu Theil wie der männ¬
lichen Jugend. Wie diese, empfingen sie eine durchaus wissenschaftliche
Bildung. Daß dies möglich war, lag in den relativ engen Grenzen, innerhalb
deren sich dieselbe bewegte. In unsrer Zeit, die aus allen Wissensgebieten einen
so ungeheuern Lernstoff angehäuft hat, daß die Bewältigung eines einzigen
Fachstudiums ein ganzes Menschenleben ausfüllt, wäre eine Vertiefung der
Frauenbildung, wie sie die italienische Renaissance aufweist, kaum anders als
auf Kosten der echten Weiblichkeit durchführbar; aus der Massenhaftigkeit des
Wisscnswürdigen aber entsteht ein unsicheres Schwanken in der Wahl der zur
weiblichen Ausbildung dienlichen Gegenstände, ein Eklekticismus, welcher der
festen Grundlage eines Princips ermangelnd naturgemäß zu Oberflächlichkeit
und Seichtheit führt und dessen Treiben, da er in der Regel nicht sowohl die
Bildung um ihrer selbst willen anstrebt, sondern den bloßen Schein derselben
für ausreichend erachtet, als ein verlogenes bezeichnet werden kann. „Etwas"
Französisch und Englisch, „etwas" Literatur- und Kunstgeschichte und als un¬
erläßliches Requisit moderner Salondressur „etwas" Clavierspiel, dazu eine geist-
tödtende Romanlectüre, die jede ernstere Beschäftigung langweilig erscheinen
läßt: wie wäre von solchen Factoren, auf die sich doch die sogenannte Bildung
der modernen Frauenwelt im wesentlichen beschränkt, eine harmonische Ent¬
wicklung der Individualität, eine wirkliche Bereicherung und Veredlung der


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[0365] Die Frauen der italienischen Renaissance. langen trügen, um ein größeres Maß von Freiheit zu genießen und sich der Herrschaft zu entziehen, welche die Männer über sie ausüben — ein deutliches Zeichen dafür, daß Castiglione aus der zugestandenen Ebenbürtigkeit der Frauen nicht etwa jene socialen Forderungen abgeleitet wissen will, wie sie in neuerer Zeit aufgestellt werden. Der theoretischen Anerkennung der specifischen Gleichheit zwischen weiblichen: und männlichem Intellect, wie sie hier und anderwärts klar und bündig aus¬ gesprochen ist, geht die Gleichstellung der Frau in der Praxis zur Seite. Nicht in dem Sinne, daß die Frau bürgerlich gleichberechtigt mit dem Manne gewesen wäre, zu denselben Aemtern und Würden Zugang gehabt Hütte, denn dem standen die Verhältnisse und die gesunden Anschauungen des Zeitalters durchaus entgegen; wohl aber wurde die theoretische Gleichstellung der Frau auf dem Gebiete der geistigen Bildung zur Thatsache, und zwar in einem Umfange, daß man in andern Perioden vergeblich nach Parallelen dazu suchen würde. Wie es noch im heutigen Italien Sitte ist, war die Erziehung der weib¬ lichen Jugend bereits zur Zeit der Renaissance Sache der Klöster, in denen sich die jungen Mädchen, abgeschlossen von der Gesellschaft wie noch jetzt, für ihren Eintritt in Welt und Ehe vorbereiteten. Diese Erziehung hatte natürlich ein völlig religiöses Gepräge und konnte denen nicht genügen, die ihren Töchtern jene höheren Bildungselemente Anzuführen wünschten, welche die humanistischen Studien gewährten. Diese konnten ihnen nur durch Lehrer vermittelt werden, und sie wurden ihnen vielfach in derselben Ausdehnung zu Theil wie der männ¬ lichen Jugend. Wie diese, empfingen sie eine durchaus wissenschaftliche Bildung. Daß dies möglich war, lag in den relativ engen Grenzen, innerhalb deren sich dieselbe bewegte. In unsrer Zeit, die aus allen Wissensgebieten einen so ungeheuern Lernstoff angehäuft hat, daß die Bewältigung eines einzigen Fachstudiums ein ganzes Menschenleben ausfüllt, wäre eine Vertiefung der Frauenbildung, wie sie die italienische Renaissance aufweist, kaum anders als auf Kosten der echten Weiblichkeit durchführbar; aus der Massenhaftigkeit des Wisscnswürdigen aber entsteht ein unsicheres Schwanken in der Wahl der zur weiblichen Ausbildung dienlichen Gegenstände, ein Eklekticismus, welcher der festen Grundlage eines Princips ermangelnd naturgemäß zu Oberflächlichkeit und Seichtheit führt und dessen Treiben, da er in der Regel nicht sowohl die Bildung um ihrer selbst willen anstrebt, sondern den bloßen Schein derselben für ausreichend erachtet, als ein verlogenes bezeichnet werden kann. „Etwas" Französisch und Englisch, „etwas" Literatur- und Kunstgeschichte und als un¬ erläßliches Requisit moderner Salondressur „etwas" Clavierspiel, dazu eine geist- tödtende Romanlectüre, die jede ernstere Beschäftigung langweilig erscheinen läßt: wie wäre von solchen Factoren, auf die sich doch die sogenannte Bildung der modernen Frauenwelt im wesentlichen beschränkt, eine harmonische Ent¬ wicklung der Individualität, eine wirkliche Bereicherung und Veredlung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/365>, abgerufen am 15.01.2025.