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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg.

Erziehung erhalten durch diese Beurtheilung v. Herzbergs eine ganz eigenthümliche
Beleuchtung.

Im Beginne des folgenden Abschnitts überlegt Braun, wodurch nach dem
Aufstande des 7. September die schnelle Ankunft des Herzogs Wilhelm, der
schon am 10, September von Berlin in Braunschweig eintraf, veranlaßt worden
sei. Er glaubt, daß ihn "die Verschworenen" oder Herzog Karl selbst herbei¬
gerufen hätten. Ersteres ist eine grundlose Verdächtigung, sür letzteres beruft
er sich auf eine offenbar unrichtige Nachricht v. Grones/'°) Hätte er die vor¬
handenen Quellen gründlich studirt, so würde ihm nicht entgangen sein, daß
der Kammerherr von Weltzien dem Herzog Wilhelm gleich am Abend des 7. Sep¬
tember durch eine Estafette die Nachricht von den Braunschweiger Ereignissen
hat zukommen lassen. Das hätte er bei v. Bursian, den er einen russischen (!)
Diplomaten nennt/"") S. 130 und bei (v. Corvin-Wierbitzki) "Herzog Karl und
die Revolution in Braunschweig", Jena 1843, S. 127 finden und die 'Ver¬
muthungen sich daher sparen können. Diese Angabe ist auch noch du^es "andre
Nachrichten sicher verbürgt.

Doch genug! Unendlich viel zwar ließe sich noch anführen, um das traurige
Machwerk Brauns ins rechte Licht zu setzen, die Flüchtigkeit, Kritiklosigkeit,
Leichtfertigkeit seiner Schriftstellerei zu charakterisiren. Aber jeder Unbefangene
wird auch schon nach dem bisherigen die volle Berechtigung des oben gegebenen
Urtheils anerkennen.

Wäre der Verfasser ein unbekannter Mann, sollte sein Werk nur gewöhn¬
liches Lesesutter bringen, so würde dasselbe die Mühe einer Besprechung sicherlich
nicht lohnen. Allein es war zu befürchten, daß der Name Brauns dem Buche
größeres Gewicht verleihen könnte, als es in der That verdient. Vor dieser
Täuschung arglose Leser zu warnen, ist die Pflicht einer gewissenhaften Kritik.
Als tendenziöses Pamphlet ist das Buch, zumal für urtheilslose Kreise, nicht
ganz ungeschickt geschrieben, als Geschichtswerk aber ist es ohne allen Werth.
Einen solchen beansprucht aber Braun für dasselbe; er scheint sogar keine ge¬
ringe Meinung von seinem Buche als einer historischen Leistung zu haben. Mit
Stolz schreibt er S. 144: "Ich schreibe Geschichte und Politik." Er vergleicht
sich selbst -- wenn auch "vorbehaltlich des Unterschieds im übrigen" -- mit
Thucydides und Xenophon; S. 6 schreibt er: "Soweit ein moderner Schrift¬
steller imstande wäre, ein solches Ideal (Thucydides) zu erreichen, habe ich mir
redlich darum Mühe gegeben." Ist dies im Ernste gesprochen, so kann man
nur bedauern, daß die Anstrengung nicht von besserem Erfolge gekrönt gewesen




*) Einige Worte über die Braunschwcigische Revolution von 1830. Leipzig, 1862. S. 18.
''
**) S. 81, Wahrscheinlich ist er hier durch einen Druckfehler in Gervinus Geschichte
des neunzehnten Jahrhunderts, B. VII, S. 209, Anmerk, getäuscht worden, den er jedoch
nach einer Angabe auf S. 748 hätte berichtigen können, v. Bursian war Diplomat des
Fürstenthums Reus;.
Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg.

Erziehung erhalten durch diese Beurtheilung v. Herzbergs eine ganz eigenthümliche
Beleuchtung.

Im Beginne des folgenden Abschnitts überlegt Braun, wodurch nach dem
Aufstande des 7. September die schnelle Ankunft des Herzogs Wilhelm, der
schon am 10, September von Berlin in Braunschweig eintraf, veranlaßt worden
sei. Er glaubt, daß ihn „die Verschworenen" oder Herzog Karl selbst herbei¬
gerufen hätten. Ersteres ist eine grundlose Verdächtigung, sür letzteres beruft
er sich auf eine offenbar unrichtige Nachricht v. Grones/'°) Hätte er die vor¬
handenen Quellen gründlich studirt, so würde ihm nicht entgangen sein, daß
der Kammerherr von Weltzien dem Herzog Wilhelm gleich am Abend des 7. Sep¬
tember durch eine Estafette die Nachricht von den Braunschweiger Ereignissen
hat zukommen lassen. Das hätte er bei v. Bursian, den er einen russischen (!)
Diplomaten nennt/"") S. 130 und bei (v. Corvin-Wierbitzki) „Herzog Karl und
die Revolution in Braunschweig", Jena 1843, S. 127 finden und die 'Ver¬
muthungen sich daher sparen können. Diese Angabe ist auch noch du^es "andre
Nachrichten sicher verbürgt.

Doch genug! Unendlich viel zwar ließe sich noch anführen, um das traurige
Machwerk Brauns ins rechte Licht zu setzen, die Flüchtigkeit, Kritiklosigkeit,
Leichtfertigkeit seiner Schriftstellerei zu charakterisiren. Aber jeder Unbefangene
wird auch schon nach dem bisherigen die volle Berechtigung des oben gegebenen
Urtheils anerkennen.

Wäre der Verfasser ein unbekannter Mann, sollte sein Werk nur gewöhn¬
liches Lesesutter bringen, so würde dasselbe die Mühe einer Besprechung sicherlich
nicht lohnen. Allein es war zu befürchten, daß der Name Brauns dem Buche
größeres Gewicht verleihen könnte, als es in der That verdient. Vor dieser
Täuschung arglose Leser zu warnen, ist die Pflicht einer gewissenhaften Kritik.
Als tendenziöses Pamphlet ist das Buch, zumal für urtheilslose Kreise, nicht
ganz ungeschickt geschrieben, als Geschichtswerk aber ist es ohne allen Werth.
Einen solchen beansprucht aber Braun für dasselbe; er scheint sogar keine ge¬
ringe Meinung von seinem Buche als einer historischen Leistung zu haben. Mit
Stolz schreibt er S. 144: „Ich schreibe Geschichte und Politik." Er vergleicht
sich selbst — wenn auch „vorbehaltlich des Unterschieds im übrigen" — mit
Thucydides und Xenophon; S. 6 schreibt er: „Soweit ein moderner Schrift¬
steller imstande wäre, ein solches Ideal (Thucydides) zu erreichen, habe ich mir
redlich darum Mühe gegeben." Ist dies im Ernste gesprochen, so kann man
nur bedauern, daß die Anstrengung nicht von besserem Erfolge gekrönt gewesen




*) Einige Worte über die Braunschwcigische Revolution von 1830. Leipzig, 1862. S. 18.
''
**) S. 81, Wahrscheinlich ist er hier durch einen Druckfehler in Gervinus Geschichte
des neunzehnten Jahrhunderts, B. VII, S. 209, Anmerk, getäuscht worden, den er jedoch
nach einer Angabe auf S. 748 hätte berichtigen können, v. Bursian war Diplomat des
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/361>, abgerufen am 15.01.2025.