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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Karl der Zweite, Herzog zu Brmmschwcig und Lüneburg.

gewonnen! Leider waren die Wälle und Mauern damals schon fast gänzlich
beseitigt, n"d die Thore boten zum mindesten keine größere Sicherheit als heut¬
zutage.

Auch Citate giebt Braun nicht wortgetreu, ja nicht einmal sinngetreu
wieder, wenn er auch in Klammern ausdrücklich ein Äo! hinzufügt. Man
vergleiche z. B. S. 42 mit Marrs Erzählung (Salon 1877, S. 859). Er
modelt alles, sei es aus Flüchtigkeit, sei es mit Absicht, jedenfalls mit staunens-
werther Dreistigkeit nach seinem Gefallen um, er trägt stärkere Farben auf und
dergleichen. Der Treue gegenüber, mit der gewissenhafte Schriftsteller den Sinn
ihrer Quellen wiederzugeben Pflegen, hat Braun offenbar sehr freisinnige An¬
schauungen gewonnen.

Unrichtigkeiten enthält dieser Abschnitt auch sonst noch zur Genüge. Braun
meint, das Herzogthum mochte damals (in den zwanziger Jahren) etwa 100 000
Köpfe zählen, aber schon 1799 geben Hassel und Bege (Geographisch-statistische
Beschreibung, I. B., S. S4) die Volksznhl auf über 200 000 Seelen an. Nach
v. Schmidt-Phiseldecks Flucht sei v. Schleinitz Minister geworden (S. 58), aber
dieser war bereits seit 1815 stimmführendes Mitglied im Geheimrnthseollegium.
Das Verbot der Hilfleistung bei der Frau v. Cramm bezog sich nicht auf
"sämmtliche Aerzte der braunschweigischen Lande" (Braun S. 65), sondern nur
auf den Hofchirurgus Grimm.

Das Capitel, welches den Aufstand und die Flucht des Herzogs behandelt,
bietet gar nichts neues, wohl aber manche Lücken. Die Schilderung der Er¬
eignisse des 7. September und der folgende" Tage giebt Braun in einem
Berichte, den ein Augenzeuge im Braunschweiger Tageblatt vom September
1880 erstattet haben soll. Aber diese Septembernummern der genannten Zeitung
enthalten nichts dergleichen. Hier muß ein falsches Citat vorliegen, das uus
bei der Flüchtigkeit vou Brauns Arbeit nicht überraschen kann. Aber jener
Bericht, der offenbar erst längere Zeit nachher aus dem Gedächtnisse aufge¬
schrieben wurde ist auch keineswegs vollständig, nicht einmal in allen seinen An¬
gaben ganz zuverlässig. Ueber die Veranlassung des Aufstandes erfahren wir
von Braun nichts. Ob wir in ihm allein die gerechte Nothwehr eines in allen
Stauden tief beleidigten Volkes gegen einen unwürdigen Despoten zu erblicken
habe", oder ob wir denselben als planmäßig angelegtes Werk einer kleinen, gegen
den Herzog verschworenen Partei ansehen müssen, darüber hat Braun gar keine
Untersuchung angestellt. Er meint (S. 81), das "ließe sich schwerlich jemals
ermitteln." Wer aber über den Herzog Karl eine Monographie liefern will,
der darf solch einen Punkt nicht unerörtert lassen. Derselbe ist hier von der
allergrößten Wichtigkeit. Vermag der Schriftsteller für seinen Gegenstand keinen
neuen Stoff, keine neuen Gesichtspunkte zu liefern, so sollte er es billigerweise
über sich gewinnen können, das Schreiben zu unterlassen.

Besonders auffällig ist in diesem Abschnitte noch die Beurtheilung, welche


Karl der Zweite, Herzog zu Brmmschwcig und Lüneburg.

gewonnen! Leider waren die Wälle und Mauern damals schon fast gänzlich
beseitigt, n»d die Thore boten zum mindesten keine größere Sicherheit als heut¬
zutage.

Auch Citate giebt Braun nicht wortgetreu, ja nicht einmal sinngetreu
wieder, wenn er auch in Klammern ausdrücklich ein Äo! hinzufügt. Man
vergleiche z. B. S. 42 mit Marrs Erzählung (Salon 1877, S. 859). Er
modelt alles, sei es aus Flüchtigkeit, sei es mit Absicht, jedenfalls mit staunens-
werther Dreistigkeit nach seinem Gefallen um, er trägt stärkere Farben auf und
dergleichen. Der Treue gegenüber, mit der gewissenhafte Schriftsteller den Sinn
ihrer Quellen wiederzugeben Pflegen, hat Braun offenbar sehr freisinnige An¬
schauungen gewonnen.

Unrichtigkeiten enthält dieser Abschnitt auch sonst noch zur Genüge. Braun
meint, das Herzogthum mochte damals (in den zwanziger Jahren) etwa 100 000
Köpfe zählen, aber schon 1799 geben Hassel und Bege (Geographisch-statistische
Beschreibung, I. B., S. S4) die Volksznhl auf über 200 000 Seelen an. Nach
v. Schmidt-Phiseldecks Flucht sei v. Schleinitz Minister geworden (S. 58), aber
dieser war bereits seit 1815 stimmführendes Mitglied im Geheimrnthseollegium.
Das Verbot der Hilfleistung bei der Frau v. Cramm bezog sich nicht auf
„sämmtliche Aerzte der braunschweigischen Lande" (Braun S. 65), sondern nur
auf den Hofchirurgus Grimm.

Das Capitel, welches den Aufstand und die Flucht des Herzogs behandelt,
bietet gar nichts neues, wohl aber manche Lücken. Die Schilderung der Er¬
eignisse des 7. September und der folgende» Tage giebt Braun in einem
Berichte, den ein Augenzeuge im Braunschweiger Tageblatt vom September
1880 erstattet haben soll. Aber diese Septembernummern der genannten Zeitung
enthalten nichts dergleichen. Hier muß ein falsches Citat vorliegen, das uus
bei der Flüchtigkeit vou Brauns Arbeit nicht überraschen kann. Aber jener
Bericht, der offenbar erst längere Zeit nachher aus dem Gedächtnisse aufge¬
schrieben wurde ist auch keineswegs vollständig, nicht einmal in allen seinen An¬
gaben ganz zuverlässig. Ueber die Veranlassung des Aufstandes erfahren wir
von Braun nichts. Ob wir in ihm allein die gerechte Nothwehr eines in allen
Stauden tief beleidigten Volkes gegen einen unwürdigen Despoten zu erblicken
habe», oder ob wir denselben als planmäßig angelegtes Werk einer kleinen, gegen
den Herzog verschworenen Partei ansehen müssen, darüber hat Braun gar keine
Untersuchung angestellt. Er meint (S. 81), das „ließe sich schwerlich jemals
ermitteln." Wer aber über den Herzog Karl eine Monographie liefern will,
der darf solch einen Punkt nicht unerörtert lassen. Derselbe ist hier von der
allergrößten Wichtigkeit. Vermag der Schriftsteller für seinen Gegenstand keinen
neuen Stoff, keine neuen Gesichtspunkte zu liefern, so sollte er es billigerweise
über sich gewinnen können, das Schreiben zu unterlassen.

Besonders auffällig ist in diesem Abschnitte noch die Beurtheilung, welche


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[0359] Karl der Zweite, Herzog zu Brmmschwcig und Lüneburg. gewonnen! Leider waren die Wälle und Mauern damals schon fast gänzlich beseitigt, n»d die Thore boten zum mindesten keine größere Sicherheit als heut¬ zutage. Auch Citate giebt Braun nicht wortgetreu, ja nicht einmal sinngetreu wieder, wenn er auch in Klammern ausdrücklich ein Äo! hinzufügt. Man vergleiche z. B. S. 42 mit Marrs Erzählung (Salon 1877, S. 859). Er modelt alles, sei es aus Flüchtigkeit, sei es mit Absicht, jedenfalls mit staunens- werther Dreistigkeit nach seinem Gefallen um, er trägt stärkere Farben auf und dergleichen. Der Treue gegenüber, mit der gewissenhafte Schriftsteller den Sinn ihrer Quellen wiederzugeben Pflegen, hat Braun offenbar sehr freisinnige An¬ schauungen gewonnen. Unrichtigkeiten enthält dieser Abschnitt auch sonst noch zur Genüge. Braun meint, das Herzogthum mochte damals (in den zwanziger Jahren) etwa 100 000 Köpfe zählen, aber schon 1799 geben Hassel und Bege (Geographisch-statistische Beschreibung, I. B., S. S4) die Volksznhl auf über 200 000 Seelen an. Nach v. Schmidt-Phiseldecks Flucht sei v. Schleinitz Minister geworden (S. 58), aber dieser war bereits seit 1815 stimmführendes Mitglied im Geheimrnthseollegium. Das Verbot der Hilfleistung bei der Frau v. Cramm bezog sich nicht auf „sämmtliche Aerzte der braunschweigischen Lande" (Braun S. 65), sondern nur auf den Hofchirurgus Grimm. Das Capitel, welches den Aufstand und die Flucht des Herzogs behandelt, bietet gar nichts neues, wohl aber manche Lücken. Die Schilderung der Er¬ eignisse des 7. September und der folgende» Tage giebt Braun in einem Berichte, den ein Augenzeuge im Braunschweiger Tageblatt vom September 1880 erstattet haben soll. Aber diese Septembernummern der genannten Zeitung enthalten nichts dergleichen. Hier muß ein falsches Citat vorliegen, das uus bei der Flüchtigkeit vou Brauns Arbeit nicht überraschen kann. Aber jener Bericht, der offenbar erst längere Zeit nachher aus dem Gedächtnisse aufge¬ schrieben wurde ist auch keineswegs vollständig, nicht einmal in allen seinen An¬ gaben ganz zuverlässig. Ueber die Veranlassung des Aufstandes erfahren wir von Braun nichts. Ob wir in ihm allein die gerechte Nothwehr eines in allen Stauden tief beleidigten Volkes gegen einen unwürdigen Despoten zu erblicken habe», oder ob wir denselben als planmäßig angelegtes Werk einer kleinen, gegen den Herzog verschworenen Partei ansehen müssen, darüber hat Braun gar keine Untersuchung angestellt. Er meint (S. 81), das „ließe sich schwerlich jemals ermitteln." Wer aber über den Herzog Karl eine Monographie liefern will, der darf solch einen Punkt nicht unerörtert lassen. Derselbe ist hier von der allergrößten Wichtigkeit. Vermag der Schriftsteller für seinen Gegenstand keinen neuen Stoff, keine neuen Gesichtspunkte zu liefern, so sollte er es billigerweise über sich gewinnen können, das Schreiben zu unterlassen. Besonders auffällig ist in diesem Abschnitte noch die Beurtheilung, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/359>, abgerufen am 15.01.2025.