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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Tünoburg.

nicht urtheilslosen Theaterfreund im Verkehr mit dem Theaterpersonale, aber
sie wollen mit Vorsicht benutzt sein. Bei Beurtheilung aller der Ereignisse,
die außerhalb der eigentlichen Sphäre Marrs liegen, enthalten seine Aufzeich¬
nungen zahlreiche thatsächliche Unrichtigkeiten und schiefe Auffassungen, die einem
Kenner der Zeit -- und das sollte doch der Geschichtschreiber derselben sein --
nicht entgehen können. Die fast naiv erscheinende Gutgläubigkeit, mit welcher
hier Braun mitunter den Memoiren Marrs folgt, erklärt sich vielleicht daraus,
daß er auf Wiedergabe gewisser drastischen Momente nicht gern hat verzichten
wollen. Sein Buch hat dadurch an Wahrheit eingebüßt, wenn es auch für
den großen Haufen an Interesse gewonnen haben mag. Ob letzteres der Schrift¬
steller zu seinem und seines Verlegers Vortheil für wünschenswert!) erachtet, ist
seine Sache; von einem Geschichtswerke muß man unbedingt verlangen, daß es
sich zu dergleichen nicht hergicbt.

Ein Beispiel wird die Mache Brauns veranschaulichen. Marr (Salon 1377,
S. 608) erzählt, der Herzog habe das Wappen von Schmidt-Phiseldecks auf
dem Markte in Braunschweig durch den Henker zerbrechen lassen. Das ist ent¬
schieden eine Unrichtigkeit. Die Thatsache wird uns sonst nirgends erzählt; die
Feinde des Herzogs aber würden ganz gewiß eine derartige Lächerlichkeit ihm
nach Kräften ausgenutzt haben. Die officielle dem Bunde überreichte "Dar¬
stellung der Regierungshandlungen Seiner Durchlaucht des Herzogs Karl" be¬
richtet, daß es dem Hofrathe Fricke nnr mit der größten Mühe gelungen
sei, den Herzog davon abzuhalten, das Bildniß von Schmidt-Phiseldecks an
den Galgen schlagen zu lassen, wogegen der Staatsrath Bosse behauptet, der
Herzog habe uur im Aerger geäußert: Schmidt-Phiseldeck verdiene, daß sein
Bild an den Galgen geschlagen werde. ^) Das leere Gerede läßt Marr, später
bei der Niederschrift seiner Memoiren Wohl durch sein Gedächtniß getäuscht, zur
That werden; das Porträt verwandelt er in ein Wappen. Trotzdem folgt ihm
Braun (S. 47), ja er specialisirt die Erzählung noch, um den Vorgang an¬
schaulicher zu machen. Er läßt das Wappen durch die Henkersknechte zer¬
schmettern und verbrennen; er verlegt die Handlung auf den Burgplatz. Das
giebt ihm Gelegenheit, auch über das Löwenstandbild einen dürftigen Spaß und
eine falsche Angabe zu machen. Heinrich der Löwe soll das eherne Thierbild
aus dem Oriente mitgebracht haben. Ob das jetzt noch jemand behauptet, mag
dahingestellt bleiben. Es ist jedenfalls eine Unmöglichkeit, da Heinrich sichern
Nachrichten zufolge den Löwen schon im Jahre 1166 aufstellte und erst 1172
seine Fahrt ins Morgenland antrat. Derartige Ausschmückungen liebt Braun
auch sonst. Er läßt v. Schmidt-Phiseldeck aus der Stadt schleichen, "die da¬
mals noch Mauern und Thore hatte." Welch malerisches Bild wird dadurch



5) Vgl. (v. Bursian) Der Aufstand in der Stadt Braunschweig am 6. u. 7. Sept. 1830.
Leipzig, 1859. S. 42 u. S. 282.
Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Tünoburg.

nicht urtheilslosen Theaterfreund im Verkehr mit dem Theaterpersonale, aber
sie wollen mit Vorsicht benutzt sein. Bei Beurtheilung aller der Ereignisse,
die außerhalb der eigentlichen Sphäre Marrs liegen, enthalten seine Aufzeich¬
nungen zahlreiche thatsächliche Unrichtigkeiten und schiefe Auffassungen, die einem
Kenner der Zeit — und das sollte doch der Geschichtschreiber derselben sein —
nicht entgehen können. Die fast naiv erscheinende Gutgläubigkeit, mit welcher
hier Braun mitunter den Memoiren Marrs folgt, erklärt sich vielleicht daraus,
daß er auf Wiedergabe gewisser drastischen Momente nicht gern hat verzichten
wollen. Sein Buch hat dadurch an Wahrheit eingebüßt, wenn es auch für
den großen Haufen an Interesse gewonnen haben mag. Ob letzteres der Schrift¬
steller zu seinem und seines Verlegers Vortheil für wünschenswert!) erachtet, ist
seine Sache; von einem Geschichtswerke muß man unbedingt verlangen, daß es
sich zu dergleichen nicht hergicbt.

Ein Beispiel wird die Mache Brauns veranschaulichen. Marr (Salon 1377,
S. 608) erzählt, der Herzog habe das Wappen von Schmidt-Phiseldecks auf
dem Markte in Braunschweig durch den Henker zerbrechen lassen. Das ist ent¬
schieden eine Unrichtigkeit. Die Thatsache wird uns sonst nirgends erzählt; die
Feinde des Herzogs aber würden ganz gewiß eine derartige Lächerlichkeit ihm
nach Kräften ausgenutzt haben. Die officielle dem Bunde überreichte „Dar¬
stellung der Regierungshandlungen Seiner Durchlaucht des Herzogs Karl" be¬
richtet, daß es dem Hofrathe Fricke nnr mit der größten Mühe gelungen
sei, den Herzog davon abzuhalten, das Bildniß von Schmidt-Phiseldecks an
den Galgen schlagen zu lassen, wogegen der Staatsrath Bosse behauptet, der
Herzog habe uur im Aerger geäußert: Schmidt-Phiseldeck verdiene, daß sein
Bild an den Galgen geschlagen werde. ^) Das leere Gerede läßt Marr, später
bei der Niederschrift seiner Memoiren Wohl durch sein Gedächtniß getäuscht, zur
That werden; das Porträt verwandelt er in ein Wappen. Trotzdem folgt ihm
Braun (S. 47), ja er specialisirt die Erzählung noch, um den Vorgang an¬
schaulicher zu machen. Er läßt das Wappen durch die Henkersknechte zer¬
schmettern und verbrennen; er verlegt die Handlung auf den Burgplatz. Das
giebt ihm Gelegenheit, auch über das Löwenstandbild einen dürftigen Spaß und
eine falsche Angabe zu machen. Heinrich der Löwe soll das eherne Thierbild
aus dem Oriente mitgebracht haben. Ob das jetzt noch jemand behauptet, mag
dahingestellt bleiben. Es ist jedenfalls eine Unmöglichkeit, da Heinrich sichern
Nachrichten zufolge den Löwen schon im Jahre 1166 aufstellte und erst 1172
seine Fahrt ins Morgenland antrat. Derartige Ausschmückungen liebt Braun
auch sonst. Er läßt v. Schmidt-Phiseldeck aus der Stadt schleichen, „die da¬
mals noch Mauern und Thore hatte." Welch malerisches Bild wird dadurch



5) Vgl. (v. Bursian) Der Aufstand in der Stadt Braunschweig am 6. u. 7. Sept. 1830.
Leipzig, 1859. S. 42 u. S. 282.
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[0358] Karl der Zweite, Herzog zu Braunschweig und Tünoburg. nicht urtheilslosen Theaterfreund im Verkehr mit dem Theaterpersonale, aber sie wollen mit Vorsicht benutzt sein. Bei Beurtheilung aller der Ereignisse, die außerhalb der eigentlichen Sphäre Marrs liegen, enthalten seine Aufzeich¬ nungen zahlreiche thatsächliche Unrichtigkeiten und schiefe Auffassungen, die einem Kenner der Zeit — und das sollte doch der Geschichtschreiber derselben sein — nicht entgehen können. Die fast naiv erscheinende Gutgläubigkeit, mit welcher hier Braun mitunter den Memoiren Marrs folgt, erklärt sich vielleicht daraus, daß er auf Wiedergabe gewisser drastischen Momente nicht gern hat verzichten wollen. Sein Buch hat dadurch an Wahrheit eingebüßt, wenn es auch für den großen Haufen an Interesse gewonnen haben mag. Ob letzteres der Schrift¬ steller zu seinem und seines Verlegers Vortheil für wünschenswert!) erachtet, ist seine Sache; von einem Geschichtswerke muß man unbedingt verlangen, daß es sich zu dergleichen nicht hergicbt. Ein Beispiel wird die Mache Brauns veranschaulichen. Marr (Salon 1377, S. 608) erzählt, der Herzog habe das Wappen von Schmidt-Phiseldecks auf dem Markte in Braunschweig durch den Henker zerbrechen lassen. Das ist ent¬ schieden eine Unrichtigkeit. Die Thatsache wird uns sonst nirgends erzählt; die Feinde des Herzogs aber würden ganz gewiß eine derartige Lächerlichkeit ihm nach Kräften ausgenutzt haben. Die officielle dem Bunde überreichte „Dar¬ stellung der Regierungshandlungen Seiner Durchlaucht des Herzogs Karl" be¬ richtet, daß es dem Hofrathe Fricke nnr mit der größten Mühe gelungen sei, den Herzog davon abzuhalten, das Bildniß von Schmidt-Phiseldecks an den Galgen schlagen zu lassen, wogegen der Staatsrath Bosse behauptet, der Herzog habe uur im Aerger geäußert: Schmidt-Phiseldeck verdiene, daß sein Bild an den Galgen geschlagen werde. ^) Das leere Gerede läßt Marr, später bei der Niederschrift seiner Memoiren Wohl durch sein Gedächtniß getäuscht, zur That werden; das Porträt verwandelt er in ein Wappen. Trotzdem folgt ihm Braun (S. 47), ja er specialisirt die Erzählung noch, um den Vorgang an¬ schaulicher zu machen. Er läßt das Wappen durch die Henkersknechte zer¬ schmettern und verbrennen; er verlegt die Handlung auf den Burgplatz. Das giebt ihm Gelegenheit, auch über das Löwenstandbild einen dürftigen Spaß und eine falsche Angabe zu machen. Heinrich der Löwe soll das eherne Thierbild aus dem Oriente mitgebracht haben. Ob das jetzt noch jemand behauptet, mag dahingestellt bleiben. Es ist jedenfalls eine Unmöglichkeit, da Heinrich sichern Nachrichten zufolge den Löwen schon im Jahre 1166 aufstellte und erst 1172 seine Fahrt ins Morgenland antrat. Derartige Ausschmückungen liebt Braun auch sonst. Er läßt v. Schmidt-Phiseldeck aus der Stadt schleichen, „die da¬ mals noch Mauern und Thore hatte." Welch malerisches Bild wird dadurch 5) Vgl. (v. Bursian) Der Aufstand in der Stadt Braunschweig am 6. u. 7. Sept. 1830. Leipzig, 1859. S. 42 u. S. 282.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/358>, abgerufen am 15.01.2025.