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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aarl der Aweite, Herzog zu Braunschweig und Liiueburg,

des um Braunschweig sehr verdienten Staatsmannes, der die Seele der vor¬
mundschaftlichen Regierung war, leidet an ähnlichen Entstellungen,

Der Abschnitt über die Regierungszeit des Herzogs ist überaus dürftig.
Es wäre hier doch gewiß nothwendig gewesen, den Lesern eine genaue Charak¬
teristik der handelnden Personen zu geben, sie einen klaren Einblick in die Art
und Weise thun zu lassen, wie Herzog Karl die Regierung führte. Denn nur
so würde uns die Mißstimmung des Landes und alles dessen, was daraus folgte,
erklärlich werden können. Aus Brauns Buche ist diese Aufklärung durchaus nicht zu
erlangen. Leute wie Bosse, Bernard ze. werden gar nicht erwähnt, ein Mann
wie Fricke ganz falsch beurtheilt, die Mitglieder des Ministeriums, die Hofleute
gar uicht charakterisirt. Auch die Schilderung des Herzogs selbst kann keines¬
wegs genügen. Er wird mehr durch Verleihung von allen möglichen Ehren¬
titeln*) gekennzeichnet, als daß sich Braun die Mühe gegeben hätte, den schwer
erklärbare" Charakter des Herzogs, in dem Naturanlagen, Erziehung und außer¬
ordentliche Lebensschicksale ein buntes Chaos von oft sich widersprechenden Eigen¬
schaften hervorbrachten, psychologisch zu entwickeln. Es war dies gewiß keine
leichte Aufgabe, aber wer ein Buch über den Herzog schreibt, hätte sich der¬
selben nicht entziehen dürfen. Mit scurrilen Schimpfwörtern ist da die Sache
nicht abgethan.

Gewiß war der Herzog eine feige, boshafte Natur; an höherer Geistes¬
und Herzensbildung gebrach es ihm gänzlich; aber er war nicht der geistig un¬
bedeutende Mensch, den Braun aus ihm machen will. Er zeigte mitunter eine
sehr berechnende Klugheit. Seine Rathgeber z. B. wählte er mit Pfiffiger
Bosheit: es waren zum Theil verworfene Subjecte, die ihm ohne Gewissens¬
bedenken blindlings folgten, zum Theil schwache Naturen, die nur zwischen dem
Gehorsam gegen ihren Herrn und gänzlichem Ruin ihrer finanziellen Verhält¬
nisse zu wählen hatten und bei dieser Wahl oft traurigen Herzens sich für
ersteres entscheiden zu müssen glaubten. Mit solche" Männern konnte er ohne
Scheu alle seine Pläne zu verwirklichen hoffen. Tüchtige Leute, welche an der
tolle" Wirthschaft nicht Theil nehmen wollten, suchten "ud fanden zum Theil
Anstellung im Auslande. So Eschenburg in Detmold, Petri in Anhalt-Bern¬
burg, v. Schmidt-Phiseldeck in Hannover. Hätte Braun derartige Vorgänge,
die man meist vergeblich bei ihn: sucht, im Zusammenhange betrachtet, sich die
Zeit genommen, ihnen nachzugehen, so würde er über den letztgenannten auch
wohl ein andres Urtheil gefällt haben. Aber er folgt gerade in diesen Theilen
zu sehr den Aufzeichnungen des Hofschauspielers Marr. Gewiß siud dieselben
nicht ohne Werth, sie zeigen uns den Fürsten von einer ganz neuen Seite, als



*) Wählerisch ist Braun hier in seinen Ausdrücken nicht. Man vergleiche S. 11: "Diesen
Caligula in der Westentasche, diesen Duodeztyrannen, dieses Ungeheuer in einem Glase
Wasser."
Aarl der Aweite, Herzog zu Braunschweig und Liiueburg,

des um Braunschweig sehr verdienten Staatsmannes, der die Seele der vor¬
mundschaftlichen Regierung war, leidet an ähnlichen Entstellungen,

Der Abschnitt über die Regierungszeit des Herzogs ist überaus dürftig.
Es wäre hier doch gewiß nothwendig gewesen, den Lesern eine genaue Charak¬
teristik der handelnden Personen zu geben, sie einen klaren Einblick in die Art
und Weise thun zu lassen, wie Herzog Karl die Regierung führte. Denn nur
so würde uns die Mißstimmung des Landes und alles dessen, was daraus folgte,
erklärlich werden können. Aus Brauns Buche ist diese Aufklärung durchaus nicht zu
erlangen. Leute wie Bosse, Bernard ze. werden gar nicht erwähnt, ein Mann
wie Fricke ganz falsch beurtheilt, die Mitglieder des Ministeriums, die Hofleute
gar uicht charakterisirt. Auch die Schilderung des Herzogs selbst kann keines¬
wegs genügen. Er wird mehr durch Verleihung von allen möglichen Ehren¬
titeln*) gekennzeichnet, als daß sich Braun die Mühe gegeben hätte, den schwer
erklärbare» Charakter des Herzogs, in dem Naturanlagen, Erziehung und außer¬
ordentliche Lebensschicksale ein buntes Chaos von oft sich widersprechenden Eigen¬
schaften hervorbrachten, psychologisch zu entwickeln. Es war dies gewiß keine
leichte Aufgabe, aber wer ein Buch über den Herzog schreibt, hätte sich der¬
selben nicht entziehen dürfen. Mit scurrilen Schimpfwörtern ist da die Sache
nicht abgethan.

Gewiß war der Herzog eine feige, boshafte Natur; an höherer Geistes¬
und Herzensbildung gebrach es ihm gänzlich; aber er war nicht der geistig un¬
bedeutende Mensch, den Braun aus ihm machen will. Er zeigte mitunter eine
sehr berechnende Klugheit. Seine Rathgeber z. B. wählte er mit Pfiffiger
Bosheit: es waren zum Theil verworfene Subjecte, die ihm ohne Gewissens¬
bedenken blindlings folgten, zum Theil schwache Naturen, die nur zwischen dem
Gehorsam gegen ihren Herrn und gänzlichem Ruin ihrer finanziellen Verhält¬
nisse zu wählen hatten und bei dieser Wahl oft traurigen Herzens sich für
ersteres entscheiden zu müssen glaubten. Mit solche» Männern konnte er ohne
Scheu alle seine Pläne zu verwirklichen hoffen. Tüchtige Leute, welche an der
tolle» Wirthschaft nicht Theil nehmen wollten, suchten »ud fanden zum Theil
Anstellung im Auslande. So Eschenburg in Detmold, Petri in Anhalt-Bern¬
burg, v. Schmidt-Phiseldeck in Hannover. Hätte Braun derartige Vorgänge,
die man meist vergeblich bei ihn: sucht, im Zusammenhange betrachtet, sich die
Zeit genommen, ihnen nachzugehen, so würde er über den letztgenannten auch
wohl ein andres Urtheil gefällt haben. Aber er folgt gerade in diesen Theilen
zu sehr den Aufzeichnungen des Hofschauspielers Marr. Gewiß siud dieselben
nicht ohne Werth, sie zeigen uns den Fürsten von einer ganz neuen Seite, als



*) Wählerisch ist Braun hier in seinen Ausdrücken nicht. Man vergleiche S. 11: „Diesen
Caligula in der Westentasche, diesen Duodeztyrannen, dieses Ungeheuer in einem Glase
Wasser."
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/357>, abgerufen am 15.01.2025.