Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Ein nationales Biihnenspiel. Leider wird bei diesem vielen gleichzeitigen Abschiednehmen nicht recht klar, Leider nöthigt uns der Raum, mit der Vorführung der beiden nächsten Als ich noch auf der Fürstenschulc saß Ein nationales Biihnenspiel. Leider wird bei diesem vielen gleichzeitigen Abschiednehmen nicht recht klar, Leider nöthigt uns der Raum, mit der Vorführung der beiden nächsten Als ich noch auf der Fürstenschulc saß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150996"/> <fw type="header" place="top"> Ein nationales Biihnenspiel.</fw><lb/> <p xml:id="ID_912"> Leider wird bei diesem vielen gleichzeitigen Abschiednehmen nicht recht klar,<lb/> wer eigentlich geht und wer zurückbleibt. Das Nächstliegende wäre es doch<lb/> jedenfalls, wenn die Lorenz auf die Nachricht aus Kamenz hin sich schleunigst<lb/> zurückzöge und Lessing dann sich reisefertig machte. Statt dessen scheint es aber,<lb/> als ob zunächst Lessing hinausstürze — um also jedenfalls, wie er steht und<lb/> geht, nach Kamenz zu laufen —, ihm nach dann Mylius, obwohl er in dem¬<lb/> selben Augenblicke dem Cantor seiue Gastfreundschaft anbietet, endlich Fuchs, und<lb/> als ob das Fräulein Lorenz schließlich allein in der Studentenwohnung zurück¬<lb/> bliebe. Doch wie gesagt, wir wissen nicht, ob wir die Absicht des Dichters<lb/> damit völlig treffen. Jedenfalls bildet das Arrangement dieses Actschlusses für<lb/> einen erfahrenen und gewiegten Regisseur eine lohnende Aufgabe.</p><lb/> <p xml:id="ID_913"> Leider nöthigt uns der Raum, mit der Vorführung der beiden nächsten<lb/> Acte uns kurz zu fassen. Gewiß erräth der Leser schon, wo der zweite Act be¬<lb/> ginnt: wir sind wieder im Pfarrhause zu Kamenz. Hier trifft die besorgte<lb/> Mutter eben Vorbereitungen, den Sohn, der mitten im Winterfrost nach Hause<lb/> gerufen worden ist, mit einer Tasse heißem Thee zu empfangen. Justine unter¬<lb/> stützt sie dabei etwas widerwillig, denn sie ist zornentbrannt über den armen<lb/> Bruder, da sie in den Schlafrocktaschen des Vaters gestöbert und Gotthvlds<lb/> Brief an die Lorenz darin gefunden hat und außerdem von der Mutter daran<lb/> erinnert wordeu ist, wie Gotthold ihr einst einen Schneeball ins Mieder ge¬<lb/> steckt habe, weil sie ihm eine Anzahl seiner Lieder verbrannt hatte. Endlich<lb/> ertönt das Posthorn, die Mutter, der der Vater ihre Rolle vorgeschrieben hat,<lb/> in die sie sich bei ihrer zärtlichen Liebe für Gvtthold schwer genug findet, läßt<lb/> sich in höchster Aufregung in den Lehnstuhl nieder, versucht in der Bibel die<lb/> Parabel vom Verlornen Sohn zu lesen und sinkt endlich „in leidender Stellung"<lb/> zurück in den Stuhl. Da öffnet sich die Thür, und Lessing, in den Reisemantel<lb/> gehüllt (wo mag er den herhaben? mitgenommen hat er ihn in Leipzig nicht),<lb/> tritt, von Justinen, die ihn so niederträchtig als möglich empfängt, verhindert,<lb/> mit Gewalt ins Zimmer. Nachdem er sich mit zwei Worten nach dem Zustande<lb/> der Mutter erkundigt und sich jedenfalls schnell überzeugt hat, daß die Sache<lb/> nicht so schlimm ist, wie es nach dem Briefe des Vaters schien, stellt er sich<lb/> in Positur und brennt eine colossale Declamation von der Pfanne. Er erklärt,<lb/> daß er sein Herz „aus tausend Kämpfen zurückbringe," versichert, daß sein Geist<lb/> „bereit sei zum Kampfe mit aller Welt," und als die Mutter erstaunt fragt:<lb/> „Was aber nennst Du Kampf, mein Sohn?" antwortet er: „Das Leben," scheint<lb/> also zu meinen, daß er bereit sei „zum Leben mit aller Welt," und fährt dann<lb/> wörtlich fort wie folgt:</p><lb/> <quote> Als ich noch auf der Fürstenschulc saß<lb/> Und meine Bücher Offenbarung nannte,<lb/> Da träumt' ich wohl, das priesterliche Kleid<lb/> Mag den, der's trägt, zu einem König mache», —<lb/> Jetzt glaub' ich auch an Könige nicht mehr.</quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0274]
Ein nationales Biihnenspiel.
Leider wird bei diesem vielen gleichzeitigen Abschiednehmen nicht recht klar,
wer eigentlich geht und wer zurückbleibt. Das Nächstliegende wäre es doch
jedenfalls, wenn die Lorenz auf die Nachricht aus Kamenz hin sich schleunigst
zurückzöge und Lessing dann sich reisefertig machte. Statt dessen scheint es aber,
als ob zunächst Lessing hinausstürze — um also jedenfalls, wie er steht und
geht, nach Kamenz zu laufen —, ihm nach dann Mylius, obwohl er in dem¬
selben Augenblicke dem Cantor seiue Gastfreundschaft anbietet, endlich Fuchs, und
als ob das Fräulein Lorenz schließlich allein in der Studentenwohnung zurück¬
bliebe. Doch wie gesagt, wir wissen nicht, ob wir die Absicht des Dichters
damit völlig treffen. Jedenfalls bildet das Arrangement dieses Actschlusses für
einen erfahrenen und gewiegten Regisseur eine lohnende Aufgabe.
Leider nöthigt uns der Raum, mit der Vorführung der beiden nächsten
Acte uns kurz zu fassen. Gewiß erräth der Leser schon, wo der zweite Act be¬
ginnt: wir sind wieder im Pfarrhause zu Kamenz. Hier trifft die besorgte
Mutter eben Vorbereitungen, den Sohn, der mitten im Winterfrost nach Hause
gerufen worden ist, mit einer Tasse heißem Thee zu empfangen. Justine unter¬
stützt sie dabei etwas widerwillig, denn sie ist zornentbrannt über den armen
Bruder, da sie in den Schlafrocktaschen des Vaters gestöbert und Gotthvlds
Brief an die Lorenz darin gefunden hat und außerdem von der Mutter daran
erinnert wordeu ist, wie Gotthold ihr einst einen Schneeball ins Mieder ge¬
steckt habe, weil sie ihm eine Anzahl seiner Lieder verbrannt hatte. Endlich
ertönt das Posthorn, die Mutter, der der Vater ihre Rolle vorgeschrieben hat,
in die sie sich bei ihrer zärtlichen Liebe für Gvtthold schwer genug findet, läßt
sich in höchster Aufregung in den Lehnstuhl nieder, versucht in der Bibel die
Parabel vom Verlornen Sohn zu lesen und sinkt endlich „in leidender Stellung"
zurück in den Stuhl. Da öffnet sich die Thür, und Lessing, in den Reisemantel
gehüllt (wo mag er den herhaben? mitgenommen hat er ihn in Leipzig nicht),
tritt, von Justinen, die ihn so niederträchtig als möglich empfängt, verhindert,
mit Gewalt ins Zimmer. Nachdem er sich mit zwei Worten nach dem Zustande
der Mutter erkundigt und sich jedenfalls schnell überzeugt hat, daß die Sache
nicht so schlimm ist, wie es nach dem Briefe des Vaters schien, stellt er sich
in Positur und brennt eine colossale Declamation von der Pfanne. Er erklärt,
daß er sein Herz „aus tausend Kämpfen zurückbringe," versichert, daß sein Geist
„bereit sei zum Kampfe mit aller Welt," und als die Mutter erstaunt fragt:
„Was aber nennst Du Kampf, mein Sohn?" antwortet er: „Das Leben," scheint
also zu meinen, daß er bereit sei „zum Leben mit aller Welt," und fährt dann
wörtlich fort wie folgt:
Als ich noch auf der Fürstenschulc saß
Und meine Bücher Offenbarung nannte,
Da träumt' ich wohl, das priesterliche Kleid
Mag den, der's trägt, zu einem König mache», —
Jetzt glaub' ich auch an Könige nicht mehr.
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