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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Gin nationales Bühnenspiel.

Lessing das Gerücht zur Sprache bringt, daß sie die Absicht habe, Leipzig zu
verlassen, antwortet sie: "Wer hat denn dieses Märchen doch ersonnen?" (der
Leser beachte hier wieder das höchst bedeutungsvolle "doch!") nud entwirft dann
folgende Schilderung der bestehenden Theaterzustände:


Die arme Kunst lebt hier von Tag zu Tag.
Man gähnt im Schauspiel, friert in der Tragödie,
Und einzig hilft der Harlekin noch ans.
Man fordert fast Unmögliches vom Künstler,
Man will gereizt sein, überreizt sogar,
Man schmäht auf die Franzosen -- und beklatscht sie,
Und mir der Unsinn macht ein volles Haus!

Damit scheint sie Lessing nichts besonders neues gesagt zu haben, denn dieser
erwiedert:


So war es stets, so ist's, so wird es bleiben,
Das ist nicht bloß in Leipzig hier der Fall.

Das Gespräch wendet sich dann wieder auf die Engagementsfragc. Die
Lorenz will nach Wien und lädt Lessing ein, mitzukommen als -- "Wie heißt
man doch das Ding? -- ja, Dramaturg," Lessing bittet sie, in Leipzig zu
bleiben, und als es während dieses Gesprächs erst zum Handkuß, dann zum
gemeinschaftlichen Niedersetzen auf dem Sofa, endlich gar zu einem Kniefall
Lessings gekommen ist, werden plötzlich draußen Stimmen hörbar, Cantor Fuchs
erscheint im Reisepelz, "gefolgt von" Mylius, der mit der äußerst geistvollen
Bemerkung ins Zimmer tritt:


Verzeihung, wenn wir stören, welch' ein Zufall!
Ich suche meinen Freund und find' ihn hier.

Fuchs übergiebt darauf den Brief des Pastor Lessing, und Gotthold ruft, nachdem
er ihn "durchflogen":


Die arme Mutter krank bis auf den Tod --
Fort! Mylius, komm! Ich muß sogleich nach Hause.

Dann wendet er sich zur Lorenz, die "in lebhafter Geberde mitempfunden hat"
und reicht ihr seine Rechte, die Sophie mit beiden Händen erfaßt. Darauf
wörtlich folgender Actschluß:

Mein armer Freund, ja wohl, Sie müssen fort.
Auf Wiedersehn! und Gott sei Ihr Geleite!


Sophie.
Lessing.

Auf Wiedersehn! auf Wiedersehn, Sophie! --
Freund Mylius, wenn ich fern bin, gieb mir Nachricht.


Mylius.

Gewiß, gewiß. Und nun, Herr Cantor Fuchs,
Sie sind mein Gast. Adieu, mein schönes Fräulein!


Fuchs
(ganz verwirrt die Lorenz anstarrend).
'

Das also nennt er seine Fncultät!
Man sollte gar nicht glauben -- el, der tausend!
Herr Mylius! -- Adieu, Mamsell, adieu! --

(Während die Lorenz den rasch durch die Mitte Hinaustretenden bewegt nachgrüßt,
dreht sich Fuchs unbeholfen im Kreise und stolpert ihnen endlich nach hinaus.)

Gin nationales Bühnenspiel.

Lessing das Gerücht zur Sprache bringt, daß sie die Absicht habe, Leipzig zu
verlassen, antwortet sie: „Wer hat denn dieses Märchen doch ersonnen?" (der
Leser beachte hier wieder das höchst bedeutungsvolle „doch!") nud entwirft dann
folgende Schilderung der bestehenden Theaterzustände:


Die arme Kunst lebt hier von Tag zu Tag.
Man gähnt im Schauspiel, friert in der Tragödie,
Und einzig hilft der Harlekin noch ans.
Man fordert fast Unmögliches vom Künstler,
Man will gereizt sein, überreizt sogar,
Man schmäht auf die Franzosen — und beklatscht sie,
Und mir der Unsinn macht ein volles Haus!

Damit scheint sie Lessing nichts besonders neues gesagt zu haben, denn dieser
erwiedert:


So war es stets, so ist's, so wird es bleiben,
Das ist nicht bloß in Leipzig hier der Fall.

Das Gespräch wendet sich dann wieder auf die Engagementsfragc. Die
Lorenz will nach Wien und lädt Lessing ein, mitzukommen als — „Wie heißt
man doch das Ding? — ja, Dramaturg," Lessing bittet sie, in Leipzig zu
bleiben, und als es während dieses Gesprächs erst zum Handkuß, dann zum
gemeinschaftlichen Niedersetzen auf dem Sofa, endlich gar zu einem Kniefall
Lessings gekommen ist, werden plötzlich draußen Stimmen hörbar, Cantor Fuchs
erscheint im Reisepelz, „gefolgt von" Mylius, der mit der äußerst geistvollen
Bemerkung ins Zimmer tritt:


Verzeihung, wenn wir stören, welch' ein Zufall!
Ich suche meinen Freund und find' ihn hier.

Fuchs übergiebt darauf den Brief des Pastor Lessing, und Gotthold ruft, nachdem
er ihn „durchflogen":


Die arme Mutter krank bis auf den Tod —
Fort! Mylius, komm! Ich muß sogleich nach Hause.

Dann wendet er sich zur Lorenz, die „in lebhafter Geberde mitempfunden hat"
und reicht ihr seine Rechte, die Sophie mit beiden Händen erfaßt. Darauf
wörtlich folgender Actschluß:

Mein armer Freund, ja wohl, Sie müssen fort.
Auf Wiedersehn! und Gott sei Ihr Geleite!


Sophie.
Lessing.

Auf Wiedersehn! auf Wiedersehn, Sophie! —
Freund Mylius, wenn ich fern bin, gieb mir Nachricht.


Mylius.

Gewiß, gewiß. Und nun, Herr Cantor Fuchs,
Sie sind mein Gast. Adieu, mein schönes Fräulein!


Fuchs
(ganz verwirrt die Lorenz anstarrend).
'

Das also nennt er seine Fncultät!
Man sollte gar nicht glauben — el, der tausend!
Herr Mylius! — Adieu, Mamsell, adieu! —

(Während die Lorenz den rasch durch die Mitte Hinaustretenden bewegt nachgrüßt,
dreht sich Fuchs unbeholfen im Kreise und stolpert ihnen endlich nach hinaus.)

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[0273] Gin nationales Bühnenspiel. Lessing das Gerücht zur Sprache bringt, daß sie die Absicht habe, Leipzig zu verlassen, antwortet sie: „Wer hat denn dieses Märchen doch ersonnen?" (der Leser beachte hier wieder das höchst bedeutungsvolle „doch!") nud entwirft dann folgende Schilderung der bestehenden Theaterzustände: Die arme Kunst lebt hier von Tag zu Tag. Man gähnt im Schauspiel, friert in der Tragödie, Und einzig hilft der Harlekin noch ans. Man fordert fast Unmögliches vom Künstler, Man will gereizt sein, überreizt sogar, Man schmäht auf die Franzosen — und beklatscht sie, Und mir der Unsinn macht ein volles Haus! Damit scheint sie Lessing nichts besonders neues gesagt zu haben, denn dieser erwiedert: So war es stets, so ist's, so wird es bleiben, Das ist nicht bloß in Leipzig hier der Fall. Das Gespräch wendet sich dann wieder auf die Engagementsfragc. Die Lorenz will nach Wien und lädt Lessing ein, mitzukommen als — „Wie heißt man doch das Ding? — ja, Dramaturg," Lessing bittet sie, in Leipzig zu bleiben, und als es während dieses Gesprächs erst zum Handkuß, dann zum gemeinschaftlichen Niedersetzen auf dem Sofa, endlich gar zu einem Kniefall Lessings gekommen ist, werden plötzlich draußen Stimmen hörbar, Cantor Fuchs erscheint im Reisepelz, „gefolgt von" Mylius, der mit der äußerst geistvollen Bemerkung ins Zimmer tritt: Verzeihung, wenn wir stören, welch' ein Zufall! Ich suche meinen Freund und find' ihn hier. Fuchs übergiebt darauf den Brief des Pastor Lessing, und Gotthold ruft, nachdem er ihn „durchflogen": Die arme Mutter krank bis auf den Tod — Fort! Mylius, komm! Ich muß sogleich nach Hause. Dann wendet er sich zur Lorenz, die „in lebhafter Geberde mitempfunden hat" und reicht ihr seine Rechte, die Sophie mit beiden Händen erfaßt. Darauf wörtlich folgender Actschluß: Mein armer Freund, ja wohl, Sie müssen fort. Auf Wiedersehn! und Gott sei Ihr Geleite! Sophie. Lessing. Auf Wiedersehn! auf Wiedersehn, Sophie! — Freund Mylius, wenn ich fern bin, gieb mir Nachricht. Mylius. Gewiß, gewiß. Und nun, Herr Cantor Fuchs, Sie sind mein Gast. Adieu, mein schönes Fräulein! Fuchs (ganz verwirrt die Lorenz anstarrend). ' Das also nennt er seine Fncultät! Man sollte gar nicht glauben — el, der tausend! Herr Mylius! — Adieu, Mamsell, adieu! — (Während die Lorenz den rasch durch die Mitte Hinaustretenden bewegt nachgrüßt, dreht sich Fuchs unbeholfen im Kreise und stolpert ihnen endlich nach hinaus.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/273>, abgerufen am 15.01.2025.