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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Lin nationales Bühnenspiel.

Nur das ist Freude, was das Herz befriedigt;
Ein edler Geist in eines Bettlers Kleid
Ist mehr werth als ehrwürdige Perrücken,
Und zu der Wahrheit führt uns jeder Weg----
Es giebt ein Allerhöchstes in der Welt,
In Herz und Geist ist es mir aufgegangen,
Und dieses Allerhöchste ist die Kunst.
Sie spricht zu uns mit aller Völker Zungen,
Bald laut und froh, bald leise und betrübt.
Auch unser Volk lauscht gern auf diese Sprache,
Weint mit dem Schmerz und freut sich mit der Lust.
Doch unsre Dichter schütteln die Perrücken,
Sind blind für Schönheit, taub für keuschen Witz;
All' ihre Kunst ist Zerrbild ihres Lebens,
Ist eitler Klang und wesenloser Dunst.
O, könnt' ich doch die rechte Kunst erschaffen,
Ich wollte gern ein Meisterschüler sein,
Zu großer Künstler Füßen schweigsam sitzend,
Bis mir zu guter Zeit ein Werk gelingt.

Während die Mutter, die überhaupt eine recht verständige Frau ist, diese
unreifen Faseleien ihres Sohnes mit mütterlicher Milde als "räthselhaft" be¬
zeichnet, imponiren sie dem alten Pastor derart, daß er sie "nicht so ganz übel"
findet und meint, recht und wohlverstanden sei das auch eine Predigt. Darauf
entfernen sich Mutter und Schwester, um Gotthold nun nach seiner langen Ex-
Pectorativn "geschwind den Thee" zu bringen, und inzwischen nimmt der Vater
den Herrn Studiosus ins Gebet. Aber bald gelingt es Gotthold, den Alten
durch eine zwischen Kanzel und Bühne gezogene Parallele derart zu verblüffen,
daß er schließlich, als die Frauen zurückkehren, sich sogar erdreisten kann, sein
Lustspieliuanuscript "aus der Brust" zu ziehen mit den Worten:


Ich möchte, daß du selber dieses Schauspiel
Hier lesen sollst, das Werk von Deinem Sohn,

es dem Vater aufzudrängen und trotz dessen Versicherung, daß er "gar kein
Urtheil für Komödien" habe, das Versprechen abzunöthigen, daß er zur Auf¬
führung nach Leipzig kommen wolle. Im Anschluß hieran noch einige Zärt¬
lichkeiten zwischen Gotthold und Justine.

Gegen das Ende des zweiten Actes werden wir wieder in die Leipziger
Studentenstnbe zurückversetzt. Diesmal ist sie leer. Nur Mylius steckt den Kopf
zur Thür herein, horcht, tritt dann ein und geht, da er sich unbeobachtet weiß,
an Dämons Pult, aus dem er vorsichtig ein Schreibheft zieht: das Manuscript
des "Leonidas." Nachdem er sich von dem Vorhandensein desselben überzeugt
und es wieder an seinen Platz zurückgelegt hat, erscheint Dämon. Mylius
macht sich nun das Vergnügen, den armen Schelm erst mit seiner Preisarbeit,
dann mit seiner Tragödie zu foppen, redet ihm vor, daß er der Mann sei,
"den Lessing auszustechen," daß Gottsched und die Gottschedin, ja alle Kreise


Grenzboten VI. 1881. "'6
Lin nationales Bühnenspiel.

Nur das ist Freude, was das Herz befriedigt;
Ein edler Geist in eines Bettlers Kleid
Ist mehr werth als ehrwürdige Perrücken,
Und zu der Wahrheit führt uns jeder Weg----
Es giebt ein Allerhöchstes in der Welt,
In Herz und Geist ist es mir aufgegangen,
Und dieses Allerhöchste ist die Kunst.
Sie spricht zu uns mit aller Völker Zungen,
Bald laut und froh, bald leise und betrübt.
Auch unser Volk lauscht gern auf diese Sprache,
Weint mit dem Schmerz und freut sich mit der Lust.
Doch unsre Dichter schütteln die Perrücken,
Sind blind für Schönheit, taub für keuschen Witz;
All' ihre Kunst ist Zerrbild ihres Lebens,
Ist eitler Klang und wesenloser Dunst.
O, könnt' ich doch die rechte Kunst erschaffen,
Ich wollte gern ein Meisterschüler sein,
Zu großer Künstler Füßen schweigsam sitzend,
Bis mir zu guter Zeit ein Werk gelingt.

Während die Mutter, die überhaupt eine recht verständige Frau ist, diese
unreifen Faseleien ihres Sohnes mit mütterlicher Milde als „räthselhaft" be¬
zeichnet, imponiren sie dem alten Pastor derart, daß er sie „nicht so ganz übel"
findet und meint, recht und wohlverstanden sei das auch eine Predigt. Darauf
entfernen sich Mutter und Schwester, um Gotthold nun nach seiner langen Ex-
Pectorativn „geschwind den Thee" zu bringen, und inzwischen nimmt der Vater
den Herrn Studiosus ins Gebet. Aber bald gelingt es Gotthold, den Alten
durch eine zwischen Kanzel und Bühne gezogene Parallele derart zu verblüffen,
daß er schließlich, als die Frauen zurückkehren, sich sogar erdreisten kann, sein
Lustspieliuanuscript „aus der Brust" zu ziehen mit den Worten:


Ich möchte, daß du selber dieses Schauspiel
Hier lesen sollst, das Werk von Deinem Sohn,

es dem Vater aufzudrängen und trotz dessen Versicherung, daß er „gar kein
Urtheil für Komödien" habe, das Versprechen abzunöthigen, daß er zur Auf¬
führung nach Leipzig kommen wolle. Im Anschluß hieran noch einige Zärt¬
lichkeiten zwischen Gotthold und Justine.

Gegen das Ende des zweiten Actes werden wir wieder in die Leipziger
Studentenstnbe zurückversetzt. Diesmal ist sie leer. Nur Mylius steckt den Kopf
zur Thür herein, horcht, tritt dann ein und geht, da er sich unbeobachtet weiß,
an Dämons Pult, aus dem er vorsichtig ein Schreibheft zieht: das Manuscript
des „Leonidas." Nachdem er sich von dem Vorhandensein desselben überzeugt
und es wieder an seinen Platz zurückgelegt hat, erscheint Dämon. Mylius
macht sich nun das Vergnügen, den armen Schelm erst mit seiner Preisarbeit,
dann mit seiner Tragödie zu foppen, redet ihm vor, daß er der Mann sei,
„den Lessing auszustechen," daß Gottsched und die Gottschedin, ja alle Kreise


Grenzboten VI. 1881. "'6
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[0275] Lin nationales Bühnenspiel. Nur das ist Freude, was das Herz befriedigt; Ein edler Geist in eines Bettlers Kleid Ist mehr werth als ehrwürdige Perrücken, Und zu der Wahrheit führt uns jeder Weg---- Es giebt ein Allerhöchstes in der Welt, In Herz und Geist ist es mir aufgegangen, Und dieses Allerhöchste ist die Kunst. Sie spricht zu uns mit aller Völker Zungen, Bald laut und froh, bald leise und betrübt. Auch unser Volk lauscht gern auf diese Sprache, Weint mit dem Schmerz und freut sich mit der Lust. Doch unsre Dichter schütteln die Perrücken, Sind blind für Schönheit, taub für keuschen Witz; All' ihre Kunst ist Zerrbild ihres Lebens, Ist eitler Klang und wesenloser Dunst. O, könnt' ich doch die rechte Kunst erschaffen, Ich wollte gern ein Meisterschüler sein, Zu großer Künstler Füßen schweigsam sitzend, Bis mir zu guter Zeit ein Werk gelingt. Während die Mutter, die überhaupt eine recht verständige Frau ist, diese unreifen Faseleien ihres Sohnes mit mütterlicher Milde als „räthselhaft" be¬ zeichnet, imponiren sie dem alten Pastor derart, daß er sie „nicht so ganz übel" findet und meint, recht und wohlverstanden sei das auch eine Predigt. Darauf entfernen sich Mutter und Schwester, um Gotthold nun nach seiner langen Ex- Pectorativn „geschwind den Thee" zu bringen, und inzwischen nimmt der Vater den Herrn Studiosus ins Gebet. Aber bald gelingt es Gotthold, den Alten durch eine zwischen Kanzel und Bühne gezogene Parallele derart zu verblüffen, daß er schließlich, als die Frauen zurückkehren, sich sogar erdreisten kann, sein Lustspieliuanuscript „aus der Brust" zu ziehen mit den Worten: Ich möchte, daß du selber dieses Schauspiel Hier lesen sollst, das Werk von Deinem Sohn, es dem Vater aufzudrängen und trotz dessen Versicherung, daß er „gar kein Urtheil für Komödien" habe, das Versprechen abzunöthigen, daß er zur Auf¬ führung nach Leipzig kommen wolle. Im Anschluß hieran noch einige Zärt¬ lichkeiten zwischen Gotthold und Justine. Gegen das Ende des zweiten Actes werden wir wieder in die Leipziger Studentenstnbe zurückversetzt. Diesmal ist sie leer. Nur Mylius steckt den Kopf zur Thür herein, horcht, tritt dann ein und geht, da er sich unbeobachtet weiß, an Dämons Pult, aus dem er vorsichtig ein Schreibheft zieht: das Manuscript des „Leonidas." Nachdem er sich von dem Vorhandensein desselben überzeugt und es wieder an seinen Platz zurückgelegt hat, erscheint Dämon. Mylius macht sich nun das Vergnügen, den armen Schelm erst mit seiner Preisarbeit, dann mit seiner Tragödie zu foppen, redet ihm vor, daß er der Mann sei, „den Lessing auszustechen," daß Gottsched und die Gottschedin, ja alle Kreise Grenzboten VI. 1881. "'6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/275>, abgerufen am 16.01.2025.