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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Rubens in Italien.

zu assimiliren. Sem Aufenthalt in Venedig war gleichwohl nicht von langer
Dauer. Er machte dort die Bekanntschaft eines Edelmannes, der zum Hofstaat
des Herzogs von Mantua, Vincenzo I. Gonzaga, gehörte, und auf dessen Ver¬
anlassung trat er als Hofmaler in die Dienste des Herzogs, der die Kunst
brauchte, um dnrch sie den Glanz seines Hofes zu erhöhen.

Damit beginnt eine Periode in Rubens' Leben, für welche die Quellen so
reichlich fließen, daß wir seine Thätigkeit bis zum Jahre 1608 sast Schritt für
Schritt verfolgen können. Der französische Historiker Armand Bafchet hat das
Verdienst, durch systematische Nachforschungen im ^relüvio asi Lion^ii in
Mantua eine Fülle von Documenten an das Tageslicht gezogen zu haben, welche
über Rubens' Aufenthalt in Italien und seine Reise nach Spanien ausführliche
Auskunft geben. Den werthvollsten Theil dieser Documente bildet eine Samm¬
lung von siebzehn Briefen, welche Rubens theils von den verschiedenen Stationen
seiner spanischen Reise, theils von Rom aus an den Herzog von Mantua und
an seinen Gönner Annibale Chieppio, den Secretär und späteren Minister des
Herzogs, gerichtet hat. Auf Grund dieser Dommeute hat Naschet in drei
Bünden der dgWtts ass Lsaux-^res (20, 22 und 24) mehrere Aufsätze über
Rubens in Italien veröffentlicht, welche jedoch mehr die historische Seite der
Aufgabe berühren, ohne auf Rubens' künstlerische Thätigkeit näher einzugehen.
Auch hat Bafchet nur den kleinsten Theil der Briefe vollständig und in ihrer
ursprünglichen Fassung wiedergegeben, so daß auch nach feiner werthvollen Pu¬
blication die Geschichte von Rubens' Aufenthalt in Italien uoch zu schreiben ist.
Die siebzehn Briefe sind inzwischen nach diplomatisch treuen Copien und mit ausführ¬
lichen Erläuterungen versehen von mir in meiner oben citirten Ausgabe der "Rubens-
briefe" veröffentlicht worden, so daß das urkundliche Material nunmehr gesammelt
vorliegt.

Venedig war also die erste Station, an welcher Rubens Halt machte, um
die überwältigenden Eindrücke italienischer Kunst auf sich einwirken zu lassen.
Was der junge flämische Meister damals sah, gehört auch heute noch zu den
unveräußerlichen Wahrzeichen der Lagunenstadt. Tizians Himmelfahrt und sein
Altarbild für die Familie Pesaro, Palma des Aeltern herrliche Heroine, die heilige
Barbara, Paolo Veronefes Raub der Europa und Tintorettvs Bilderreihe in
der Scuola ti San Rocco, mit welcher der Naturalismus zuerst in die Kunst¬
geschichte eintritt, befanden sich, mit Ausnahme des ersteren, schon damals dort,
sie noch heute bewundert werden. Die Erinnerung an diese Werke klingt
sein ganzes Leben hindurch in seinen eignen Arbeiten wieder. Ist es nicht, als
hätte er den Großmeister Tizian in die Schranken fordern wollen, als er
sechsmal hintereinander in einem kurzen Zeitraum die Himmelfahrt der heiligen
Jungfrau mit dem ganzen Feuer seines dramatischen Naturells darstellte? Und
kehrt die Heldenjungfrau Palmas nicht auf zahlreichen Bildern bis in Rubens'
letzte Zeit wieder? Hat nicht an sie der specifisch Rubenssche Frauentypus, der


Grenzboten IV. 1881. 28
Rubens in Italien.

zu assimiliren. Sem Aufenthalt in Venedig war gleichwohl nicht von langer
Dauer. Er machte dort die Bekanntschaft eines Edelmannes, der zum Hofstaat
des Herzogs von Mantua, Vincenzo I. Gonzaga, gehörte, und auf dessen Ver¬
anlassung trat er als Hofmaler in die Dienste des Herzogs, der die Kunst
brauchte, um dnrch sie den Glanz seines Hofes zu erhöhen.

Damit beginnt eine Periode in Rubens' Leben, für welche die Quellen so
reichlich fließen, daß wir seine Thätigkeit bis zum Jahre 1608 sast Schritt für
Schritt verfolgen können. Der französische Historiker Armand Bafchet hat das
Verdienst, durch systematische Nachforschungen im ^relüvio asi Lion^ii in
Mantua eine Fülle von Documenten an das Tageslicht gezogen zu haben, welche
über Rubens' Aufenthalt in Italien und seine Reise nach Spanien ausführliche
Auskunft geben. Den werthvollsten Theil dieser Documente bildet eine Samm¬
lung von siebzehn Briefen, welche Rubens theils von den verschiedenen Stationen
seiner spanischen Reise, theils von Rom aus an den Herzog von Mantua und
an seinen Gönner Annibale Chieppio, den Secretär und späteren Minister des
Herzogs, gerichtet hat. Auf Grund dieser Dommeute hat Naschet in drei
Bünden der dgWtts ass Lsaux-^res (20, 22 und 24) mehrere Aufsätze über
Rubens in Italien veröffentlicht, welche jedoch mehr die historische Seite der
Aufgabe berühren, ohne auf Rubens' künstlerische Thätigkeit näher einzugehen.
Auch hat Bafchet nur den kleinsten Theil der Briefe vollständig und in ihrer
ursprünglichen Fassung wiedergegeben, so daß auch nach feiner werthvollen Pu¬
blication die Geschichte von Rubens' Aufenthalt in Italien uoch zu schreiben ist.
Die siebzehn Briefe sind inzwischen nach diplomatisch treuen Copien und mit ausführ¬
lichen Erläuterungen versehen von mir in meiner oben citirten Ausgabe der „Rubens-
briefe" veröffentlicht worden, so daß das urkundliche Material nunmehr gesammelt
vorliegt.

Venedig war also die erste Station, an welcher Rubens Halt machte, um
die überwältigenden Eindrücke italienischer Kunst auf sich einwirken zu lassen.
Was der junge flämische Meister damals sah, gehört auch heute noch zu den
unveräußerlichen Wahrzeichen der Lagunenstadt. Tizians Himmelfahrt und sein
Altarbild für die Familie Pesaro, Palma des Aeltern herrliche Heroine, die heilige
Barbara, Paolo Veronefes Raub der Europa und Tintorettvs Bilderreihe in
der Scuola ti San Rocco, mit welcher der Naturalismus zuerst in die Kunst¬
geschichte eintritt, befanden sich, mit Ausnahme des ersteren, schon damals dort,
sie noch heute bewundert werden. Die Erinnerung an diese Werke klingt
sein ganzes Leben hindurch in seinen eignen Arbeiten wieder. Ist es nicht, als
hätte er den Großmeister Tizian in die Schranken fordern wollen, als er
sechsmal hintereinander in einem kurzen Zeitraum die Himmelfahrt der heiligen
Jungfrau mit dem ganzen Feuer seines dramatischen Naturells darstellte? Und
kehrt die Heldenjungfrau Palmas nicht auf zahlreichen Bildern bis in Rubens'
letzte Zeit wieder? Hat nicht an sie der specifisch Rubenssche Frauentypus, der


Grenzboten IV. 1881. 28
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[0219] Rubens in Italien. zu assimiliren. Sem Aufenthalt in Venedig war gleichwohl nicht von langer Dauer. Er machte dort die Bekanntschaft eines Edelmannes, der zum Hofstaat des Herzogs von Mantua, Vincenzo I. Gonzaga, gehörte, und auf dessen Ver¬ anlassung trat er als Hofmaler in die Dienste des Herzogs, der die Kunst brauchte, um dnrch sie den Glanz seines Hofes zu erhöhen. Damit beginnt eine Periode in Rubens' Leben, für welche die Quellen so reichlich fließen, daß wir seine Thätigkeit bis zum Jahre 1608 sast Schritt für Schritt verfolgen können. Der französische Historiker Armand Bafchet hat das Verdienst, durch systematische Nachforschungen im ^relüvio asi Lion^ii in Mantua eine Fülle von Documenten an das Tageslicht gezogen zu haben, welche über Rubens' Aufenthalt in Italien und seine Reise nach Spanien ausführliche Auskunft geben. Den werthvollsten Theil dieser Documente bildet eine Samm¬ lung von siebzehn Briefen, welche Rubens theils von den verschiedenen Stationen seiner spanischen Reise, theils von Rom aus an den Herzog von Mantua und an seinen Gönner Annibale Chieppio, den Secretär und späteren Minister des Herzogs, gerichtet hat. Auf Grund dieser Dommeute hat Naschet in drei Bünden der dgWtts ass Lsaux-^res (20, 22 und 24) mehrere Aufsätze über Rubens in Italien veröffentlicht, welche jedoch mehr die historische Seite der Aufgabe berühren, ohne auf Rubens' künstlerische Thätigkeit näher einzugehen. Auch hat Bafchet nur den kleinsten Theil der Briefe vollständig und in ihrer ursprünglichen Fassung wiedergegeben, so daß auch nach feiner werthvollen Pu¬ blication die Geschichte von Rubens' Aufenthalt in Italien uoch zu schreiben ist. Die siebzehn Briefe sind inzwischen nach diplomatisch treuen Copien und mit ausführ¬ lichen Erläuterungen versehen von mir in meiner oben citirten Ausgabe der „Rubens- briefe" veröffentlicht worden, so daß das urkundliche Material nunmehr gesammelt vorliegt. Venedig war also die erste Station, an welcher Rubens Halt machte, um die überwältigenden Eindrücke italienischer Kunst auf sich einwirken zu lassen. Was der junge flämische Meister damals sah, gehört auch heute noch zu den unveräußerlichen Wahrzeichen der Lagunenstadt. Tizians Himmelfahrt und sein Altarbild für die Familie Pesaro, Palma des Aeltern herrliche Heroine, die heilige Barbara, Paolo Veronefes Raub der Europa und Tintorettvs Bilderreihe in der Scuola ti San Rocco, mit welcher der Naturalismus zuerst in die Kunst¬ geschichte eintritt, befanden sich, mit Ausnahme des ersteren, schon damals dort, sie noch heute bewundert werden. Die Erinnerung an diese Werke klingt sein ganzes Leben hindurch in seinen eignen Arbeiten wieder. Ist es nicht, als hätte er den Großmeister Tizian in die Schranken fordern wollen, als er sechsmal hintereinander in einem kurzen Zeitraum die Himmelfahrt der heiligen Jungfrau mit dem ganzen Feuer seines dramatischen Naturells darstellte? Und kehrt die Heldenjungfrau Palmas nicht auf zahlreichen Bildern bis in Rubens' letzte Zeit wieder? Hat nicht an sie der specifisch Rubenssche Frauentypus, der Grenzboten IV. 1881. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/219>, abgerufen am 15.01.2025.