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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Rubens in Italien.

Romano abwärts waren das Ideal jener Künstler, die ihre Nationalität ganz
aufgegeben hatten, um sich in unfruchtbarer Nachahmung zu erschöpfen. Otto
van Veens kirchliche Gemälde sind hart und kalt in der Farbe, flau, ohne Tiefe
der Charakteristik und ohne Wärme der Empfindung. Wir finden keine von diesen
wenig verführerischen Eigenthümlichkeiten in Rubens' Jugendbildern, soweit uns
dieselben erhalten sind, wieder. Ob und was er vor seiner Reise nach Italien
gemalt hat, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Aus dem Sagen- und Con-
jectnrengewirr, welches seine Jugendgeschichte umgiebt, schält sich nur noch die
eine Thatsache heraus, daß er sich schon als Jüngling der Huld des Erzherzogs
Albert, des Statthalters der Niederlande, und seiner Gemahlin Jsabella zu
erfreuen hatte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Otto van Veer, der am Hofe
von Brüssel ein hochgeachteter Gast war, die Aufmerksamkeit des Fürstenpaares
auf seinen begabten Schüler gelenkt hat.

Die lateinische Familie"biographic sagt, daß Rubens am 9. Mai 1.600
nach Italien abreiste. Diese Angabe wird durch das Datum des Gesundheits¬
passes bestätigt, welches der Magistrat von Antwerpen dem Reisenden ausstellte.
Das in lateinischer Sprache abgefaßte Document lautet in der Uebersetzung:
"Allen insgesammt und jedem einzelnen, dem das gegenwärtige Schriftstück zu
Gesicht oder Gehör kommt, entbieten Bürgermeister und Senat der Stadt Ant¬
werpen ihren Gruß. Wir versichern und bezeugen durch dieses Document, daß
bei uns und in unserm Gebiet, Dank der Gnade Gottes, eine heilsame Luft
weht und daß keine Pest noch ansteckende Krankheit grassirt, daß ferner an dem
Tage, welcher am Ende dieses Schriftstücks angegeben ist, uns von feiten des
Peter Rubens, des Sohnes des weiland Magister Johannes, erklärt worden,
dieser selbe Peter wolle jetzt aus der Stadt Antwerpen nach Italien reisen,
seiner Geschäfte halben, und damit er ohne Schwierigkeiten und ohne den Ver¬
dacht einer ansteckenden Krankheit überallhin gehen und kommen könne, da er
selbst und diese ganze Stadt durch Gottes Gnade frei von der Pest und ähn¬
lichen ansteckenden Krankheiten ist, haben loir, obenerwähnte Bürgermeister und
Senat, deshalb zum Zeugniß der Wahrheit dieses Schriftstück bewilligt und mit
dem Siegel der Stadt Antwerpen versehen, am 8. Tage des Mai 1600."

Das erste Reiseziel des jungen Flamländers war Venedig. Er mußte in
seiner Heimat schon Gemälde venetianischer Meister gesehen haben, die einen so
mächtigen Eindruck auf ihn gemacht hatten, daß er sich nach der Stadt sehnte,
in welcher so herrliches geschaffen worden. In Venedig sollte sich sein Schicksal
in doppeltem Sinne entscheiden. An die Stelle von Verhnecht, Adam van
Noort und Otto Vaenius traten Palma der Aeltere, Tizian und Paolo Veronese
und löschten mit einem Schlage alle heimatlichen Erinnerungen aus. An der
Lagune wurde der Grundstein zu dem eigentlichen Rubensstil gelegt, indem der
flämische Maler mit der unzerstörbaren Empfänglichkeit der Jugend die großen
Vorbilder in sich aufnahm, um sie in jahrelanger Arbeit seinem eignen Wesen


Rubens in Italien.

Romano abwärts waren das Ideal jener Künstler, die ihre Nationalität ganz
aufgegeben hatten, um sich in unfruchtbarer Nachahmung zu erschöpfen. Otto
van Veens kirchliche Gemälde sind hart und kalt in der Farbe, flau, ohne Tiefe
der Charakteristik und ohne Wärme der Empfindung. Wir finden keine von diesen
wenig verführerischen Eigenthümlichkeiten in Rubens' Jugendbildern, soweit uns
dieselben erhalten sind, wieder. Ob und was er vor seiner Reise nach Italien
gemalt hat, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Aus dem Sagen- und Con-
jectnrengewirr, welches seine Jugendgeschichte umgiebt, schält sich nur noch die
eine Thatsache heraus, daß er sich schon als Jüngling der Huld des Erzherzogs
Albert, des Statthalters der Niederlande, und seiner Gemahlin Jsabella zu
erfreuen hatte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Otto van Veer, der am Hofe
von Brüssel ein hochgeachteter Gast war, die Aufmerksamkeit des Fürstenpaares
auf seinen begabten Schüler gelenkt hat.

Die lateinische Familie»biographic sagt, daß Rubens am 9. Mai 1.600
nach Italien abreiste. Diese Angabe wird durch das Datum des Gesundheits¬
passes bestätigt, welches der Magistrat von Antwerpen dem Reisenden ausstellte.
Das in lateinischer Sprache abgefaßte Document lautet in der Uebersetzung:
„Allen insgesammt und jedem einzelnen, dem das gegenwärtige Schriftstück zu
Gesicht oder Gehör kommt, entbieten Bürgermeister und Senat der Stadt Ant¬
werpen ihren Gruß. Wir versichern und bezeugen durch dieses Document, daß
bei uns und in unserm Gebiet, Dank der Gnade Gottes, eine heilsame Luft
weht und daß keine Pest noch ansteckende Krankheit grassirt, daß ferner an dem
Tage, welcher am Ende dieses Schriftstücks angegeben ist, uns von feiten des
Peter Rubens, des Sohnes des weiland Magister Johannes, erklärt worden,
dieser selbe Peter wolle jetzt aus der Stadt Antwerpen nach Italien reisen,
seiner Geschäfte halben, und damit er ohne Schwierigkeiten und ohne den Ver¬
dacht einer ansteckenden Krankheit überallhin gehen und kommen könne, da er
selbst und diese ganze Stadt durch Gottes Gnade frei von der Pest und ähn¬
lichen ansteckenden Krankheiten ist, haben loir, obenerwähnte Bürgermeister und
Senat, deshalb zum Zeugniß der Wahrheit dieses Schriftstück bewilligt und mit
dem Siegel der Stadt Antwerpen versehen, am 8. Tage des Mai 1600."

Das erste Reiseziel des jungen Flamländers war Venedig. Er mußte in
seiner Heimat schon Gemälde venetianischer Meister gesehen haben, die einen so
mächtigen Eindruck auf ihn gemacht hatten, daß er sich nach der Stadt sehnte,
in welcher so herrliches geschaffen worden. In Venedig sollte sich sein Schicksal
in doppeltem Sinne entscheiden. An die Stelle von Verhnecht, Adam van
Noort und Otto Vaenius traten Palma der Aeltere, Tizian und Paolo Veronese
und löschten mit einem Schlage alle heimatlichen Erinnerungen aus. An der
Lagune wurde der Grundstein zu dem eigentlichen Rubensstil gelegt, indem der
flämische Maler mit der unzerstörbaren Empfänglichkeit der Jugend die großen
Vorbilder in sich aufnahm, um sie in jahrelanger Arbeit seinem eignen Wesen


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[0218] Rubens in Italien. Romano abwärts waren das Ideal jener Künstler, die ihre Nationalität ganz aufgegeben hatten, um sich in unfruchtbarer Nachahmung zu erschöpfen. Otto van Veens kirchliche Gemälde sind hart und kalt in der Farbe, flau, ohne Tiefe der Charakteristik und ohne Wärme der Empfindung. Wir finden keine von diesen wenig verführerischen Eigenthümlichkeiten in Rubens' Jugendbildern, soweit uns dieselben erhalten sind, wieder. Ob und was er vor seiner Reise nach Italien gemalt hat, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Aus dem Sagen- und Con- jectnrengewirr, welches seine Jugendgeschichte umgiebt, schält sich nur noch die eine Thatsache heraus, daß er sich schon als Jüngling der Huld des Erzherzogs Albert, des Statthalters der Niederlande, und seiner Gemahlin Jsabella zu erfreuen hatte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Otto van Veer, der am Hofe von Brüssel ein hochgeachteter Gast war, die Aufmerksamkeit des Fürstenpaares auf seinen begabten Schüler gelenkt hat. Die lateinische Familie»biographic sagt, daß Rubens am 9. Mai 1.600 nach Italien abreiste. Diese Angabe wird durch das Datum des Gesundheits¬ passes bestätigt, welches der Magistrat von Antwerpen dem Reisenden ausstellte. Das in lateinischer Sprache abgefaßte Document lautet in der Uebersetzung: „Allen insgesammt und jedem einzelnen, dem das gegenwärtige Schriftstück zu Gesicht oder Gehör kommt, entbieten Bürgermeister und Senat der Stadt Ant¬ werpen ihren Gruß. Wir versichern und bezeugen durch dieses Document, daß bei uns und in unserm Gebiet, Dank der Gnade Gottes, eine heilsame Luft weht und daß keine Pest noch ansteckende Krankheit grassirt, daß ferner an dem Tage, welcher am Ende dieses Schriftstücks angegeben ist, uns von feiten des Peter Rubens, des Sohnes des weiland Magister Johannes, erklärt worden, dieser selbe Peter wolle jetzt aus der Stadt Antwerpen nach Italien reisen, seiner Geschäfte halben, und damit er ohne Schwierigkeiten und ohne den Ver¬ dacht einer ansteckenden Krankheit überallhin gehen und kommen könne, da er selbst und diese ganze Stadt durch Gottes Gnade frei von der Pest und ähn¬ lichen ansteckenden Krankheiten ist, haben loir, obenerwähnte Bürgermeister und Senat, deshalb zum Zeugniß der Wahrheit dieses Schriftstück bewilligt und mit dem Siegel der Stadt Antwerpen versehen, am 8. Tage des Mai 1600." Das erste Reiseziel des jungen Flamländers war Venedig. Er mußte in seiner Heimat schon Gemälde venetianischer Meister gesehen haben, die einen so mächtigen Eindruck auf ihn gemacht hatten, daß er sich nach der Stadt sehnte, in welcher so herrliches geschaffen worden. In Venedig sollte sich sein Schicksal in doppeltem Sinne entscheiden. An die Stelle von Verhnecht, Adam van Noort und Otto Vaenius traten Palma der Aeltere, Tizian und Paolo Veronese und löschten mit einem Schlage alle heimatlichen Erinnerungen aus. An der Lagune wurde der Grundstein zu dem eigentlichen Rubensstil gelegt, indem der flämische Maler mit der unzerstörbaren Empfänglichkeit der Jugend die großen Vorbilder in sich aufnahm, um sie in jahrelanger Arbeit seinem eignen Wesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/218>, abgerufen am 15.01.2025.