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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

nur in weiß, hellblau, hellgrün und verwandten Nuancen bewegt, verstärkt noch
die nervöse Unruhe des Vorgangs. Nirgends ein kräftiger, dunkler Farbenfleck,
auf welchem das Auge mit Wohlgefallen könnte haften bleiben. Rnhelos eilt
es über die buntscheckige Fläche, aus der sich keine Figur markig und kraftvoll
herausheben kann, weil alles in einer weißlichblauen Sauce schwimmt. Die un¬
glückliche Neigung zur Hellmalerei greift neuerdings in Paris immer mehr um
sich. Man scheint zu glauben, daß diese Hellmalerei zu den unbedingten Erforder¬
nissen der ssrg.nao psiirturv, des großen Stils gehöre. Derselbe Maler, der in kleinen
Genrestücken mit der reizvollsten Lebendigkeit der Auffassung die vollendetste Wahr¬
heit und Kraft des Tons verbindet, wird in der Farbe süßlich, bunt, flau und
unerträglich hell, sobald er zu monumentalen Malereien und größern Historien¬
bildern emporsteigt. Bei dem Fluge nach den Wolken verliert er den Erdboden
unter den Füßen. Diese Erscheinung ist in der französischen Kunst nicht ver¬
einzelt. Es verhält sich ganz ähnlich mit den Schauspielern des Illöälm dran^is,
die einen doppelten Stil befolgen: in der Tragödie, im recitirenden Drama und
im Moliöreschen Lustspiel die classische Tradition, ein gespreiztes, hohles Pathos,
eine conventionelle Action, ohne daß die Selbständigkeit des Schauspielers über
den einmal festgestellten Rahmen der Rolle hinaustreten darf; in der modernen
^oinöäik dagegen den lebendigsten Naturalismus, der seine sich stetig erneuende
Kraft unmittelbar aus dem Leben des Tages schöpft.

Auch Paul Baudrys Gemälde "Die Glorification des Gesetzes," welches
für deu Plafond des großen Saales im Gebäude des Cassativushofes bestimmt
ist, steht unter dem Einfluß dieser Hellmalerei, die jedoch hier insofern nicht
deplacirt ist, als sie dem Eindruck des Luftiger, deu jedes Deckengemälde macheu
soll, sehr entgegenkommt. Baudry ist einer der hervorragendsten Maler der
modernen französischen Schule, charakteristisch für eine ganze Generation. Er
ist kein Talent von stark ausgesprochener Eigenthümlichkeit, sondern immer nach¬
schaffend, aber mit Geschick den Geist oder richtiger den Modegeschmack der
Zeit erfassend und darum stets von allgemeinem Beifall begleitet. Man kann
die Anfänge dieses Künstlers, die noch in den fünfziger Jahren liegen, in der
Sammlung des Luxemburgpalastes kennen lernen. Er debütirte mit nackte"
Frauen- und Kindergestalten, allegorischen und nicht allegorischen, die ganz in
der goldigen Weise der Venetianer gemalt waren, im Fleisch nicht so fest und
kernig wie die Tizianischen, sondern mehr in der weichen, verschwommenen, träu¬
merischen Weise Palmas. Dann brach er mit der classischen Tradition und
huldigte jener sinnlichen, koketten Eleganz in der Behandlung der weiblichen
Gestalt, welche zum Schönheitsideal des zweiten Kaiserreichs geworden ist. Er,
Cabcmel und Bouguereau sind die Hauptrepräsentanten dieser Kunstgattung, die
sich über den Sturz der napoleonischen Dynastie in die Republik hinübergerettet
hat, ohne ihre Bewunderer einzubüßen. Baudry hat an der Ausschmückung
der neuen Oper einen großen Antheil gehabt und unter den zahlreichen Kunst-


Der Pariser Salon.

nur in weiß, hellblau, hellgrün und verwandten Nuancen bewegt, verstärkt noch
die nervöse Unruhe des Vorgangs. Nirgends ein kräftiger, dunkler Farbenfleck,
auf welchem das Auge mit Wohlgefallen könnte haften bleiben. Rnhelos eilt
es über die buntscheckige Fläche, aus der sich keine Figur markig und kraftvoll
herausheben kann, weil alles in einer weißlichblauen Sauce schwimmt. Die un¬
glückliche Neigung zur Hellmalerei greift neuerdings in Paris immer mehr um
sich. Man scheint zu glauben, daß diese Hellmalerei zu den unbedingten Erforder¬
nissen der ssrg.nao psiirturv, des großen Stils gehöre. Derselbe Maler, der in kleinen
Genrestücken mit der reizvollsten Lebendigkeit der Auffassung die vollendetste Wahr¬
heit und Kraft des Tons verbindet, wird in der Farbe süßlich, bunt, flau und
unerträglich hell, sobald er zu monumentalen Malereien und größern Historien¬
bildern emporsteigt. Bei dem Fluge nach den Wolken verliert er den Erdboden
unter den Füßen. Diese Erscheinung ist in der französischen Kunst nicht ver¬
einzelt. Es verhält sich ganz ähnlich mit den Schauspielern des Illöälm dran^is,
die einen doppelten Stil befolgen: in der Tragödie, im recitirenden Drama und
im Moliöreschen Lustspiel die classische Tradition, ein gespreiztes, hohles Pathos,
eine conventionelle Action, ohne daß die Selbständigkeit des Schauspielers über
den einmal festgestellten Rahmen der Rolle hinaustreten darf; in der modernen
^oinöäik dagegen den lebendigsten Naturalismus, der seine sich stetig erneuende
Kraft unmittelbar aus dem Leben des Tages schöpft.

Auch Paul Baudrys Gemälde „Die Glorification des Gesetzes," welches
für deu Plafond des großen Saales im Gebäude des Cassativushofes bestimmt
ist, steht unter dem Einfluß dieser Hellmalerei, die jedoch hier insofern nicht
deplacirt ist, als sie dem Eindruck des Luftiger, deu jedes Deckengemälde macheu
soll, sehr entgegenkommt. Baudry ist einer der hervorragendsten Maler der
modernen französischen Schule, charakteristisch für eine ganze Generation. Er
ist kein Talent von stark ausgesprochener Eigenthümlichkeit, sondern immer nach¬
schaffend, aber mit Geschick den Geist oder richtiger den Modegeschmack der
Zeit erfassend und darum stets von allgemeinem Beifall begleitet. Man kann
die Anfänge dieses Künstlers, die noch in den fünfziger Jahren liegen, in der
Sammlung des Luxemburgpalastes kennen lernen. Er debütirte mit nackte»
Frauen- und Kindergestalten, allegorischen und nicht allegorischen, die ganz in
der goldigen Weise der Venetianer gemalt waren, im Fleisch nicht so fest und
kernig wie die Tizianischen, sondern mehr in der weichen, verschwommenen, träu¬
merischen Weise Palmas. Dann brach er mit der classischen Tradition und
huldigte jener sinnlichen, koketten Eleganz in der Behandlung der weiblichen
Gestalt, welche zum Schönheitsideal des zweiten Kaiserreichs geworden ist. Er,
Cabcmel und Bouguereau sind die Hauptrepräsentanten dieser Kunstgattung, die
sich über den Sturz der napoleonischen Dynastie in die Republik hinübergerettet
hat, ohne ihre Bewunderer einzubüßen. Baudry hat an der Ausschmückung
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[0082] Der Pariser Salon. nur in weiß, hellblau, hellgrün und verwandten Nuancen bewegt, verstärkt noch die nervöse Unruhe des Vorgangs. Nirgends ein kräftiger, dunkler Farbenfleck, auf welchem das Auge mit Wohlgefallen könnte haften bleiben. Rnhelos eilt es über die buntscheckige Fläche, aus der sich keine Figur markig und kraftvoll herausheben kann, weil alles in einer weißlichblauen Sauce schwimmt. Die un¬ glückliche Neigung zur Hellmalerei greift neuerdings in Paris immer mehr um sich. Man scheint zu glauben, daß diese Hellmalerei zu den unbedingten Erforder¬ nissen der ssrg.nao psiirturv, des großen Stils gehöre. Derselbe Maler, der in kleinen Genrestücken mit der reizvollsten Lebendigkeit der Auffassung die vollendetste Wahr¬ heit und Kraft des Tons verbindet, wird in der Farbe süßlich, bunt, flau und unerträglich hell, sobald er zu monumentalen Malereien und größern Historien¬ bildern emporsteigt. Bei dem Fluge nach den Wolken verliert er den Erdboden unter den Füßen. Diese Erscheinung ist in der französischen Kunst nicht ver¬ einzelt. Es verhält sich ganz ähnlich mit den Schauspielern des Illöälm dran^is, die einen doppelten Stil befolgen: in der Tragödie, im recitirenden Drama und im Moliöreschen Lustspiel die classische Tradition, ein gespreiztes, hohles Pathos, eine conventionelle Action, ohne daß die Selbständigkeit des Schauspielers über den einmal festgestellten Rahmen der Rolle hinaustreten darf; in der modernen ^oinöäik dagegen den lebendigsten Naturalismus, der seine sich stetig erneuende Kraft unmittelbar aus dem Leben des Tages schöpft. Auch Paul Baudrys Gemälde „Die Glorification des Gesetzes," welches für deu Plafond des großen Saales im Gebäude des Cassativushofes bestimmt ist, steht unter dem Einfluß dieser Hellmalerei, die jedoch hier insofern nicht deplacirt ist, als sie dem Eindruck des Luftiger, deu jedes Deckengemälde macheu soll, sehr entgegenkommt. Baudry ist einer der hervorragendsten Maler der modernen französischen Schule, charakteristisch für eine ganze Generation. Er ist kein Talent von stark ausgesprochener Eigenthümlichkeit, sondern immer nach¬ schaffend, aber mit Geschick den Geist oder richtiger den Modegeschmack der Zeit erfassend und darum stets von allgemeinem Beifall begleitet. Man kann die Anfänge dieses Künstlers, die noch in den fünfziger Jahren liegen, in der Sammlung des Luxemburgpalastes kennen lernen. Er debütirte mit nackte» Frauen- und Kindergestalten, allegorischen und nicht allegorischen, die ganz in der goldigen Weise der Venetianer gemalt waren, im Fleisch nicht so fest und kernig wie die Tizianischen, sondern mehr in der weichen, verschwommenen, träu¬ merischen Weise Palmas. Dann brach er mit der classischen Tradition und huldigte jener sinnlichen, koketten Eleganz in der Behandlung der weiblichen Gestalt, welche zum Schönheitsideal des zweiten Kaiserreichs geworden ist. Er, Cabcmel und Bouguereau sind die Hauptrepräsentanten dieser Kunstgattung, die sich über den Sturz der napoleonischen Dynastie in die Republik hinübergerettet hat, ohne ihre Bewunderer einzubüßen. Baudry hat an der Ausschmückung der neuen Oper einen großen Antheil gehabt und unter den zahlreichen Kunst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/82>, abgerufen am 24.11.2024.