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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der pariser Salon,

Staates: sie haben alles aufgenommen, was sich halbwegs sehen lassen konnte,
und infolge dessen war das Durchschnittsniveau des diesjährigen "Salons" ein
ungewöhnlich tiefes. Auch in einer andern Beziehung war der "Salon" bedenk¬
licher als seine Vorgänger, Mit deutschen Sittlichkeitsbegriffen darf man in
keine Pariser Kunstausstellung hineingehen. Aber selbst derjenige, welcher Gauthiers
N^äonioisslls as NauM, Belots zweideutigste Romane und Zolas sämmtliche
Werke gelesen hatte, konnte sich immer noch einigermaßen genirt suhlen. Der¬
gleichen hatte man denn doch nicht erwartet. Die tugendhaften Allüren, welche
die Republik anfangs annahm, waren nur eine vorübergehende Anwandlung.
Unter dein Kaiserreich hatte der Cynismus wenigstens ein purpurnes, goldbe-
franztes Mäntelchen um. Heute stolzirt er nackt auf offner Straße umher. Wer
das Leben nur von der Oberfläche beurtheilt, muß glauben, daß "Nana" die
Heldin des Tages sei. "Nana" in allen Schaufenstern der Buch- und Kunst¬
händler: als Volksausgabe, als illustrirte Lieferungsausgabe, in Prachtband mit
Goldschnitt. Ueberall Porträts der Schauspielerinnen, welche in dem dramatisirten
Romane Zolas als Nana aufgetreten sind, und Darstellungen ganzer Scenen
des Schauspiels, besonders der Schlußscene, welche die Heldin des Romans im
Nachtgewande todt auf dem Fußboden liegend zeigt. "Nana" endlich im "Salon":
in Gips, Marmor und in Lebensgröße gemalt, wie sie, ohne die geringste An-
deutung eines Gewandes, vor ihrem Toilettentisch steht und ein Mal an ihrer
Hüfte betrachtet. I^s si^us elf Mus,! Nach dem, was man im "Salon" zu
sehen bekommt, wäre man versucht zu sagen: "Ganz Paris steht nnter dem
Zeichen der Nana!"

Welche unversiegliche Lust, auf riesigen Leinwandflächen die grauenvollsten
und blutigsten Ereignisse der Weltgeschichte und Sage mit der Peinlichkeit eines
vereidigten Leichenbeschcmcrs zu schildern! Gleich sobald wir den ersten Saal,
die Wit"z ä'ncmncmr, betreten und einen Blick auf Paul Baudrys schönes Plafond¬
gemälde "Die Glorification des Gesetzes" geworfen haben, wird unser Gefühl
durch ein übergroßes, figurenreiches Bild von Flameng aufs peinlichste be¬
rührt, welches den Moment schildert, wie nach der Erstürmung der Bastille die
Gefangnen ans ihren schauerlichen Kerkern ans Tageslicht gezogen werden.
Krüppel, Verwundete und geblendete Greise, Männer, die bis zu Skeletten ab¬
gemagert sind, werden auf improvisirten Tragbahren ins Freie geführt und dort
verbunden und gelabt. Ein Vater schleppt seinen Sohn halbtodt aus der fluch-
beladnen Gruft heraus, und Frauen eilen von allen Seiten herbei, um Samnriter-
dienste zu üben. Ein Soldat des Königs, einer der Bastillenwächter, ist von
dem wüthenden Volke ergriffen worden und muß nun, von seinen Henkern fest¬
gehalten, der traurigen Parade beiwohnen. Es ist nicht zu leugnen, daß die
schreckcnsvolle Scene' mit dramatischem Pathos sehr wirksam vorgetragen ist, daß
sich in der Behandlung der halbnackten Körper ein sehr gründliches Studium in
Morguen und Auatomiesälen kundgiebt. Aber der überaus helle Ton, der sich


Grenzboten III. 1881, 10
Der pariser Salon,

Staates: sie haben alles aufgenommen, was sich halbwegs sehen lassen konnte,
und infolge dessen war das Durchschnittsniveau des diesjährigen „Salons" ein
ungewöhnlich tiefes. Auch in einer andern Beziehung war der „Salon" bedenk¬
licher als seine Vorgänger, Mit deutschen Sittlichkeitsbegriffen darf man in
keine Pariser Kunstausstellung hineingehen. Aber selbst derjenige, welcher Gauthiers
N^äonioisslls as NauM, Belots zweideutigste Romane und Zolas sämmtliche
Werke gelesen hatte, konnte sich immer noch einigermaßen genirt suhlen. Der¬
gleichen hatte man denn doch nicht erwartet. Die tugendhaften Allüren, welche
die Republik anfangs annahm, waren nur eine vorübergehende Anwandlung.
Unter dein Kaiserreich hatte der Cynismus wenigstens ein purpurnes, goldbe-
franztes Mäntelchen um. Heute stolzirt er nackt auf offner Straße umher. Wer
das Leben nur von der Oberfläche beurtheilt, muß glauben, daß „Nana" die
Heldin des Tages sei. „Nana" in allen Schaufenstern der Buch- und Kunst¬
händler: als Volksausgabe, als illustrirte Lieferungsausgabe, in Prachtband mit
Goldschnitt. Ueberall Porträts der Schauspielerinnen, welche in dem dramatisirten
Romane Zolas als Nana aufgetreten sind, und Darstellungen ganzer Scenen
des Schauspiels, besonders der Schlußscene, welche die Heldin des Romans im
Nachtgewande todt auf dem Fußboden liegend zeigt. „Nana" endlich im „Salon":
in Gips, Marmor und in Lebensgröße gemalt, wie sie, ohne die geringste An-
deutung eines Gewandes, vor ihrem Toilettentisch steht und ein Mal an ihrer
Hüfte betrachtet. I^s si^us elf Mus,! Nach dem, was man im „Salon" zu
sehen bekommt, wäre man versucht zu sagen: „Ganz Paris steht nnter dem
Zeichen der Nana!"

Welche unversiegliche Lust, auf riesigen Leinwandflächen die grauenvollsten
und blutigsten Ereignisse der Weltgeschichte und Sage mit der Peinlichkeit eines
vereidigten Leichenbeschcmcrs zu schildern! Gleich sobald wir den ersten Saal,
die Wit«z ä'ncmncmr, betreten und einen Blick auf Paul Baudrys schönes Plafond¬
gemälde „Die Glorification des Gesetzes" geworfen haben, wird unser Gefühl
durch ein übergroßes, figurenreiches Bild von Flameng aufs peinlichste be¬
rührt, welches den Moment schildert, wie nach der Erstürmung der Bastille die
Gefangnen ans ihren schauerlichen Kerkern ans Tageslicht gezogen werden.
Krüppel, Verwundete und geblendete Greise, Männer, die bis zu Skeletten ab¬
gemagert sind, werden auf improvisirten Tragbahren ins Freie geführt und dort
verbunden und gelabt. Ein Vater schleppt seinen Sohn halbtodt aus der fluch-
beladnen Gruft heraus, und Frauen eilen von allen Seiten herbei, um Samnriter-
dienste zu üben. Ein Soldat des Königs, einer der Bastillenwächter, ist von
dem wüthenden Volke ergriffen worden und muß nun, von seinen Henkern fest¬
gehalten, der traurigen Parade beiwohnen. Es ist nicht zu leugnen, daß die
schreckcnsvolle Scene' mit dramatischem Pathos sehr wirksam vorgetragen ist, daß
sich in der Behandlung der halbnackten Körper ein sehr gründliches Studium in
Morguen und Auatomiesälen kundgiebt. Aber der überaus helle Ton, der sich


Grenzboten III. 1881, 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/81>, abgerufen am 01.09.2024.