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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

tern, die neben ihm arbeiteten, die Palme des Sieges davongetragen. Die um¬
fangreichen Decken- und Gewölbmalercien sind sein Werk, Compositionen voll
Schwung und Leben und von schönster Harmonie in der farbigen Wirkung.
Besonders haben die Gestalten der acht Musen -- die neunte ist aus Mangel
an Raum weggeblieben -- allgemeinen Beifall gefunden. Es sind die Sibhllen
Michelangelos in die graziöse, französische Koketterie des neunzehnten Jahr¬
hunderts übersetzt, und dieser Zug des Koketten, Zierlicher und selbstgefälligen
haftet, bei allem Ernst der Auffassung und aller gesuchten Würde in Haltung
und Geberden, auch dem neuen Bilde an, welchem trotzdem mit Recht die höchste
Auszeichnung des "Salons," die msäMls ä'noiuiöur, zu Theil geworden ist.
Das Gemälde hat einen Vorzug, der nicht hoch genug zu schätzen ist: es ist
specifisch national. Wenn einer "ach hundert Jahren dasselbe ansieht, wird
er auf den ersten Blick herausfinden: das kann nur die Arbeit eines Fran¬
zosen ans dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sein. Alle Schwächen
und Tugenden nicht nur der französischen Malerei finden sich in demselben
vereinigt, sondern es verkörpert und Versinnlicht auch die Licht- und Schatten¬
seiten des französischen Nationalcharakters, die Neigungen und den Geschmack
einer bestimmten Generation, und insofern darf dem Gemälde eine gewisse cultur-
historische Bedeutung zugesprochen werden. Der erste Eindruck ist -- man
muß es gestehen -- ein mächtig ergreifender. Die Majestät und die anmnths-
volle Schönheit der Frauen, die vornehme Haltung, das edle Pathos der Be¬
wegungen, das großartige Arrangement der Gewänder und das eigenthümlich
gedämpfte, ebenfalls höchst vornehm wirkende Colorit treffen zu einem höchst
imposanten Effect zusammen. Ans einem Throne sitzt die Personification des
Gesetzes in weißem, gvldbvrdirtem Atlasgewande, eine junge Frau, deren schöne
Züge zu dem ernsten, feierlichen Ausdruck eiuen ganz eigenartigen Contrast
bilden. Zwei andre allegorische Gestalten, die der Gerechtigkeit und Billigkeit,
umschweben sie. Vor ihr steht die Jurisprudenz, und zu ihrer Linken schläft
die Unschuld, ein nackter Knabe, im Schutze der Stärke. Etwas weiter unten
steht in purpurner, hermelinverbrämter Robe der ehrwürdige Präsident des Cassa-
tionshvfes, mit pathetischer Geberde die Hand zu dem Gesetze emporhebend.
Wegen dieser von einigen als stilwidrig getadelten Verbindung eines realistischen
Elements mit den Symbolen abstmcter Begriffe darf sich der Maler auf die
besten classischen Beispiele berufen. Ju der italienischen Renaissance, bei den
Florentinern wie bei den Venetianern, waren solche Verbindungen gäng und gäbe,
höchst beliebt und von den Auftraggebern gefordert. In seinen Gemälden für
den Lnxemburgpalast hat Rubens sogar dnrch solche Zusammenstellungen überaus
Pikante Effecte'erzielt. Nur der nüchterne, doctrinäre Sinn des 19. Jahrhunderts
kann daran Anstoß nehmen. Es ist förmlich Mode geworden, eine Hetzjagd
gegen alles Allegorische zu unternehmen, obgleich darin ein guter Theil unsrer
großartigsten Kunstschöpfungen beschlossen ist.


Der Pariser Salon.

tern, die neben ihm arbeiteten, die Palme des Sieges davongetragen. Die um¬
fangreichen Decken- und Gewölbmalercien sind sein Werk, Compositionen voll
Schwung und Leben und von schönster Harmonie in der farbigen Wirkung.
Besonders haben die Gestalten der acht Musen — die neunte ist aus Mangel
an Raum weggeblieben — allgemeinen Beifall gefunden. Es sind die Sibhllen
Michelangelos in die graziöse, französische Koketterie des neunzehnten Jahr¬
hunderts übersetzt, und dieser Zug des Koketten, Zierlicher und selbstgefälligen
haftet, bei allem Ernst der Auffassung und aller gesuchten Würde in Haltung
und Geberden, auch dem neuen Bilde an, welchem trotzdem mit Recht die höchste
Auszeichnung des „Salons," die msäMls ä'noiuiöur, zu Theil geworden ist.
Das Gemälde hat einen Vorzug, der nicht hoch genug zu schätzen ist: es ist
specifisch national. Wenn einer »ach hundert Jahren dasselbe ansieht, wird
er auf den ersten Blick herausfinden: das kann nur die Arbeit eines Fran¬
zosen ans dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sein. Alle Schwächen
und Tugenden nicht nur der französischen Malerei finden sich in demselben
vereinigt, sondern es verkörpert und Versinnlicht auch die Licht- und Schatten¬
seiten des französischen Nationalcharakters, die Neigungen und den Geschmack
einer bestimmten Generation, und insofern darf dem Gemälde eine gewisse cultur-
historische Bedeutung zugesprochen werden. Der erste Eindruck ist — man
muß es gestehen — ein mächtig ergreifender. Die Majestät und die anmnths-
volle Schönheit der Frauen, die vornehme Haltung, das edle Pathos der Be¬
wegungen, das großartige Arrangement der Gewänder und das eigenthümlich
gedämpfte, ebenfalls höchst vornehm wirkende Colorit treffen zu einem höchst
imposanten Effect zusammen. Ans einem Throne sitzt die Personification des
Gesetzes in weißem, gvldbvrdirtem Atlasgewande, eine junge Frau, deren schöne
Züge zu dem ernsten, feierlichen Ausdruck eiuen ganz eigenartigen Contrast
bilden. Zwei andre allegorische Gestalten, die der Gerechtigkeit und Billigkeit,
umschweben sie. Vor ihr steht die Jurisprudenz, und zu ihrer Linken schläft
die Unschuld, ein nackter Knabe, im Schutze der Stärke. Etwas weiter unten
steht in purpurner, hermelinverbrämter Robe der ehrwürdige Präsident des Cassa-
tionshvfes, mit pathetischer Geberde die Hand zu dem Gesetze emporhebend.
Wegen dieser von einigen als stilwidrig getadelten Verbindung eines realistischen
Elements mit den Symbolen abstmcter Begriffe darf sich der Maler auf die
besten classischen Beispiele berufen. Ju der italienischen Renaissance, bei den
Florentinern wie bei den Venetianern, waren solche Verbindungen gäng und gäbe,
höchst beliebt und von den Auftraggebern gefordert. In seinen Gemälden für
den Lnxemburgpalast hat Rubens sogar dnrch solche Zusammenstellungen überaus
Pikante Effecte'erzielt. Nur der nüchterne, doctrinäre Sinn des 19. Jahrhunderts
kann daran Anstoß nehmen. Es ist förmlich Mode geworden, eine Hetzjagd
gegen alles Allegorische zu unternehmen, obgleich darin ein guter Theil unsrer
großartigsten Kunstschöpfungen beschlossen ist.


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[0083] Der Pariser Salon. tern, die neben ihm arbeiteten, die Palme des Sieges davongetragen. Die um¬ fangreichen Decken- und Gewölbmalercien sind sein Werk, Compositionen voll Schwung und Leben und von schönster Harmonie in der farbigen Wirkung. Besonders haben die Gestalten der acht Musen — die neunte ist aus Mangel an Raum weggeblieben — allgemeinen Beifall gefunden. Es sind die Sibhllen Michelangelos in die graziöse, französische Koketterie des neunzehnten Jahr¬ hunderts übersetzt, und dieser Zug des Koketten, Zierlicher und selbstgefälligen haftet, bei allem Ernst der Auffassung und aller gesuchten Würde in Haltung und Geberden, auch dem neuen Bilde an, welchem trotzdem mit Recht die höchste Auszeichnung des „Salons," die msäMls ä'noiuiöur, zu Theil geworden ist. Das Gemälde hat einen Vorzug, der nicht hoch genug zu schätzen ist: es ist specifisch national. Wenn einer »ach hundert Jahren dasselbe ansieht, wird er auf den ersten Blick herausfinden: das kann nur die Arbeit eines Fran¬ zosen ans dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sein. Alle Schwächen und Tugenden nicht nur der französischen Malerei finden sich in demselben vereinigt, sondern es verkörpert und Versinnlicht auch die Licht- und Schatten¬ seiten des französischen Nationalcharakters, die Neigungen und den Geschmack einer bestimmten Generation, und insofern darf dem Gemälde eine gewisse cultur- historische Bedeutung zugesprochen werden. Der erste Eindruck ist — man muß es gestehen — ein mächtig ergreifender. Die Majestät und die anmnths- volle Schönheit der Frauen, die vornehme Haltung, das edle Pathos der Be¬ wegungen, das großartige Arrangement der Gewänder und das eigenthümlich gedämpfte, ebenfalls höchst vornehm wirkende Colorit treffen zu einem höchst imposanten Effect zusammen. Ans einem Throne sitzt die Personification des Gesetzes in weißem, gvldbvrdirtem Atlasgewande, eine junge Frau, deren schöne Züge zu dem ernsten, feierlichen Ausdruck eiuen ganz eigenartigen Contrast bilden. Zwei andre allegorische Gestalten, die der Gerechtigkeit und Billigkeit, umschweben sie. Vor ihr steht die Jurisprudenz, und zu ihrer Linken schläft die Unschuld, ein nackter Knabe, im Schutze der Stärke. Etwas weiter unten steht in purpurner, hermelinverbrämter Robe der ehrwürdige Präsident des Cassa- tionshvfes, mit pathetischer Geberde die Hand zu dem Gesetze emporhebend. Wegen dieser von einigen als stilwidrig getadelten Verbindung eines realistischen Elements mit den Symbolen abstmcter Begriffe darf sich der Maler auf die besten classischen Beispiele berufen. Ju der italienischen Renaissance, bei den Florentinern wie bei den Venetianern, waren solche Verbindungen gäng und gäbe, höchst beliebt und von den Auftraggebern gefordert. In seinen Gemälden für den Lnxemburgpalast hat Rubens sogar dnrch solche Zusammenstellungen überaus Pikante Effecte'erzielt. Nur der nüchterne, doctrinäre Sinn des 19. Jahrhunderts kann daran Anstoß nehmen. Es ist förmlich Mode geworden, eine Hetzjagd gegen alles Allegorische zu unternehmen, obgleich darin ein guter Theil unsrer großartigsten Kunstschöpfungen beschlossen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/83>, abgerufen am 01.09.2024.