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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die moderne Geschütz-Industrie.

Von der russischen Artillerie war eine sehr begründete Aufmerksamkeit auf
eine Erfindung gerichtet, welche zur Zeit des nordamerikanischen Bürgerkrieges
dort gemacht worden war; es war dies eine Erfindung des auch durch andre
wissenschaftliche Förderungen bekannt gewordenen damaligen Artillericcapitäns
Rodman, das prismatische Pulver. Dieses war auf die Speculation hin ent¬
standen, bei sehr großen Ladungen die eintretenden Gasspannungen zu vermin¬
dern, also das Geschützrohr in möglichst geringem Maße anzustrengen und gleich¬
zeitig durch eine vortheilhaftere Gasentwicklung eine größere Gleichförmigkeit
der Geschoßgeschwiudigkeiten zu erzielen. Man erkannte in Rußland die Be¬
deutung dieses Pulvers sofort heraus und gewann auch bald die Bestätigung,
daß man bei entsprechender Rohreonstruetion gleichzeitig zu größeren Steige¬
rungen der Anfangsgeschwindigkeiten gelangen könne, als mit dem bisher ge¬
bräuchlichen Pulver. Auf Veranlassung des Herrn Krupp in Essen wurde nun
zum Probiren der für Rußland gefertigten Geschützrohre großen Kalibers in
der der Firma L. Ritter gehörigen Pulverfabrik in Altenkirchcn bei Hamm a. d. Sieg
solches Pulver mit allem Erfolge seit dem Jahre 1867 hergestellt. Es ist dieses
Pulvers bei Gelegenheit des Concurrenzschießens auf dem Tegeler Schießplatze
mit einer Woolwich-Kanone Erwähnung geschehen.*) Die genannte Fabrik ist
seit 1873 in den Besitz der Actiengesellschaft Vereinigte Rheinisch-Westfälische
Pulverfabriken in Cöln übergegangen, und sie erhält bei einer Leistungsfähigkeit
von täglich 200 Centnern große Aufträge für viele fremde Staaten. Durch
die sorgsamen Ermittelungen über die Gasspannungen dieses Pulvers an den
derschiednen Stellen eines Geschützrohres, zu denen man übrigens bis heute einen
von demselben Capitän Rodman angegebenen Apparat verwendet, gewann aber
die Lehre der innern Ballistik neue zuverlässige Grundlagen zur Lösung der con-
structiver Fragen; wir nennen hier z. B. für die Bestimmung der geeigneten
Nohrlänge die Beziehung derselben zu der richtigen Combination von Gescho߬
gewicht, Größe der Ladung und Qualität des Pulvers, besonders nach seiner
Form und Dichtigkeit, ferner die Feststellung der Stärken der Rohrwandungen
und des Verschlusses, dann die zweckmäßigste Art der Entzündung der Ladung;
andre, die subtilen innern Anordnungen des Rohres betreffende Umstände mögen
nur angedeutet sein.

Diese zu dem Bereich der innern Ballistik gehörenden Fragen fanden darauf
M einer weitern selbständigen Schöpfung der Fabrik eine Lösung, nämlich in
dem neuen Feldgeschütz vom Jahre 1870. Dies Geschütz ist ein prägnanter
Ausdruck des großen Fortschrittes der Kanoncnfabrikation, welchen die Kruppsche



*) Das prismatische Pulver besteht ans Körnern in der Gestalt regelmäßiger sechssei¬
tiger Säulen von etwa 25 Millimeter (1 Zoll) Höhe bei einem Durchmesser des die Basis
"mschreitenden Kreises von 40 Millimeter (IVv Zoll); in der Richtung der Liiugeuachse sind
diese Körner von mehreren Brennkanttleu durchzogen, und der Pnlverscch ist durch Pressung
auf ein specifisches Gewicht von 1,60 bis 1,80 verdichtet.
Grenzboten III. 1381. 69
Die moderne Geschütz-Industrie.

Von der russischen Artillerie war eine sehr begründete Aufmerksamkeit auf
eine Erfindung gerichtet, welche zur Zeit des nordamerikanischen Bürgerkrieges
dort gemacht worden war; es war dies eine Erfindung des auch durch andre
wissenschaftliche Förderungen bekannt gewordenen damaligen Artillericcapitäns
Rodman, das prismatische Pulver. Dieses war auf die Speculation hin ent¬
standen, bei sehr großen Ladungen die eintretenden Gasspannungen zu vermin¬
dern, also das Geschützrohr in möglichst geringem Maße anzustrengen und gleich¬
zeitig durch eine vortheilhaftere Gasentwicklung eine größere Gleichförmigkeit
der Geschoßgeschwiudigkeiten zu erzielen. Man erkannte in Rußland die Be¬
deutung dieses Pulvers sofort heraus und gewann auch bald die Bestätigung,
daß man bei entsprechender Rohreonstruetion gleichzeitig zu größeren Steige¬
rungen der Anfangsgeschwindigkeiten gelangen könne, als mit dem bisher ge¬
bräuchlichen Pulver. Auf Veranlassung des Herrn Krupp in Essen wurde nun
zum Probiren der für Rußland gefertigten Geschützrohre großen Kalibers in
der der Firma L. Ritter gehörigen Pulverfabrik in Altenkirchcn bei Hamm a. d. Sieg
solches Pulver mit allem Erfolge seit dem Jahre 1867 hergestellt. Es ist dieses
Pulvers bei Gelegenheit des Concurrenzschießens auf dem Tegeler Schießplatze
mit einer Woolwich-Kanone Erwähnung geschehen.*) Die genannte Fabrik ist
seit 1873 in den Besitz der Actiengesellschaft Vereinigte Rheinisch-Westfälische
Pulverfabriken in Cöln übergegangen, und sie erhält bei einer Leistungsfähigkeit
von täglich 200 Centnern große Aufträge für viele fremde Staaten. Durch
die sorgsamen Ermittelungen über die Gasspannungen dieses Pulvers an den
derschiednen Stellen eines Geschützrohres, zu denen man übrigens bis heute einen
von demselben Capitän Rodman angegebenen Apparat verwendet, gewann aber
die Lehre der innern Ballistik neue zuverlässige Grundlagen zur Lösung der con-
structiver Fragen; wir nennen hier z. B. für die Bestimmung der geeigneten
Nohrlänge die Beziehung derselben zu der richtigen Combination von Gescho߬
gewicht, Größe der Ladung und Qualität des Pulvers, besonders nach seiner
Form und Dichtigkeit, ferner die Feststellung der Stärken der Rohrwandungen
und des Verschlusses, dann die zweckmäßigste Art der Entzündung der Ladung;
andre, die subtilen innern Anordnungen des Rohres betreffende Umstände mögen
nur angedeutet sein.

Diese zu dem Bereich der innern Ballistik gehörenden Fragen fanden darauf
M einer weitern selbständigen Schöpfung der Fabrik eine Lösung, nämlich in
dem neuen Feldgeschütz vom Jahre 1870. Dies Geschütz ist ein prägnanter
Ausdruck des großen Fortschrittes der Kanoncnfabrikation, welchen die Kruppsche



*) Das prismatische Pulver besteht ans Körnern in der Gestalt regelmäßiger sechssei¬
tiger Säulen von etwa 25 Millimeter (1 Zoll) Höhe bei einem Durchmesser des die Basis
"mschreitenden Kreises von 40 Millimeter (IVv Zoll); in der Richtung der Liiugeuachse sind
diese Körner von mehreren Brennkanttleu durchzogen, und der Pnlverscch ist durch Pressung
auf ein specifisches Gewicht von 1,60 bis 1,80 verdichtet.
Grenzboten III. 1381. 69
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[0549] Die moderne Geschütz-Industrie. Von der russischen Artillerie war eine sehr begründete Aufmerksamkeit auf eine Erfindung gerichtet, welche zur Zeit des nordamerikanischen Bürgerkrieges dort gemacht worden war; es war dies eine Erfindung des auch durch andre wissenschaftliche Förderungen bekannt gewordenen damaligen Artillericcapitäns Rodman, das prismatische Pulver. Dieses war auf die Speculation hin ent¬ standen, bei sehr großen Ladungen die eintretenden Gasspannungen zu vermin¬ dern, also das Geschützrohr in möglichst geringem Maße anzustrengen und gleich¬ zeitig durch eine vortheilhaftere Gasentwicklung eine größere Gleichförmigkeit der Geschoßgeschwiudigkeiten zu erzielen. Man erkannte in Rußland die Be¬ deutung dieses Pulvers sofort heraus und gewann auch bald die Bestätigung, daß man bei entsprechender Rohreonstruetion gleichzeitig zu größeren Steige¬ rungen der Anfangsgeschwindigkeiten gelangen könne, als mit dem bisher ge¬ bräuchlichen Pulver. Auf Veranlassung des Herrn Krupp in Essen wurde nun zum Probiren der für Rußland gefertigten Geschützrohre großen Kalibers in der der Firma L. Ritter gehörigen Pulverfabrik in Altenkirchcn bei Hamm a. d. Sieg solches Pulver mit allem Erfolge seit dem Jahre 1867 hergestellt. Es ist dieses Pulvers bei Gelegenheit des Concurrenzschießens auf dem Tegeler Schießplatze mit einer Woolwich-Kanone Erwähnung geschehen.*) Die genannte Fabrik ist seit 1873 in den Besitz der Actiengesellschaft Vereinigte Rheinisch-Westfälische Pulverfabriken in Cöln übergegangen, und sie erhält bei einer Leistungsfähigkeit von täglich 200 Centnern große Aufträge für viele fremde Staaten. Durch die sorgsamen Ermittelungen über die Gasspannungen dieses Pulvers an den derschiednen Stellen eines Geschützrohres, zu denen man übrigens bis heute einen von demselben Capitän Rodman angegebenen Apparat verwendet, gewann aber die Lehre der innern Ballistik neue zuverlässige Grundlagen zur Lösung der con- structiver Fragen; wir nennen hier z. B. für die Bestimmung der geeigneten Nohrlänge die Beziehung derselben zu der richtigen Combination von Gescho߬ gewicht, Größe der Ladung und Qualität des Pulvers, besonders nach seiner Form und Dichtigkeit, ferner die Feststellung der Stärken der Rohrwandungen und des Verschlusses, dann die zweckmäßigste Art der Entzündung der Ladung; andre, die subtilen innern Anordnungen des Rohres betreffende Umstände mögen nur angedeutet sein. Diese zu dem Bereich der innern Ballistik gehörenden Fragen fanden darauf M einer weitern selbständigen Schöpfung der Fabrik eine Lösung, nämlich in dem neuen Feldgeschütz vom Jahre 1870. Dies Geschütz ist ein prägnanter Ausdruck des großen Fortschrittes der Kanoncnfabrikation, welchen die Kruppsche *) Das prismatische Pulver besteht ans Körnern in der Gestalt regelmäßiger sechssei¬ tiger Säulen von etwa 25 Millimeter (1 Zoll) Höhe bei einem Durchmesser des die Basis "mschreitenden Kreises von 40 Millimeter (IVv Zoll); in der Richtung der Liiugeuachse sind diese Körner von mehreren Brennkanttleu durchzogen, und der Pnlverscch ist durch Pressung auf ein specifisches Gewicht von 1,60 bis 1,80 verdichtet. Grenzboten III. 1381. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/549>, abgerufen am 01.09.2024.