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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die moderne Geschütz-Industrie.

empirischer Zug verschob die feinen Grundzüge, welche die ballistische Combi¬
nation vorzeichnet, und dies führte nothwendig zu mehr oder weniger unvor¬
hergesehenen Consequenzen, welche sich denn anch der Annahme des Systems
für den englischen Staatsdienst entgegengestellt haben werden. Es ist keines¬
wegs der hohe Kostenpreis allein gewesen, welcher die Einführung der Whit-
worth-Geschütze in den Land- und Seedienst Englands und eine ausgedehntere
Verbreitung derselben dnrch Verkauf verhinderte.

Einen principiell andern und, wie heute nirgends mehr bestritten wird,
den für gezogene Geschütze allein richtigen Weg hatte von vornherein Armstrong
eingeschlagen. Er gab dein Langgeschvß eine Führung ohne Spielraum während
seines Ganges durch die Seele, indem er den cylindrischen Theil des Geschosses
mit einem weichen Führungsmittel versah, welches sich, unter völliger Abdich¬
tung, in die Züge des Rohres einpressen mußte. Er wählte hierzu einen Mantel
von Blei in ähnlicher Weise, wie dies mehrere Jahre vorher schon in Preußen
bei der Aufnahme der Versuche mit gezogenen Geschützen geschehen war. Un¬
erläßliche Bedingung für diese Führuugsart ist die Hinterladung. Die cylindrisch
gebohrte Seele des Rohres hat hinten am Verschluß einen mit größerem Bvh-
rungsdurchmesser aufgedrehtem Theil zur Aufnahme von Geschoß und Ladung;
der vordere lange Theil von geringerem Bohrungsdurchmcsser erhält in seiner
Wandung zahlreiche, flach eingeschnittene Züge, welche einen gewundenen Gang
nehmen, also den Drall haben, welcher für die Sicherung der Stetigkeit der
Längenachse des Geschosses auf der Flughahn durch Ertheilung des erforder¬
lichen Rotationsmomentes als nothwendig erkannt ist. Zwischen den Zügen
sind die Felder stehen geblieben; diese fletschen beim Vorgange des Geschosses
das weiche Führungsmetall aus, und hierdurch wird das Geschoß gezwungen,
dem Drall der Züge zu folgen und die ihm bestimmte Drehung anzunehmen.
Pulvergas kann dem Geschoß im Rohre nicht vorauseilen, die Abdichtung ist
vollkommen. Mit dieser Art der Geschoßführung muß man nach der Theorie
wie nach aller Erfahrung einen höhern Grad von Trefffähigkeit erlangen als
bei jeder andern, sei dies nun eine Führung durch Expansion, welche den Spiel¬
raum nur unsicher beseitigt, oder die sonst ziemlich allgemein gewesene Führung
mit Spielraum in ihren verschiedenen Arten; ferner werden mit ihr die Seelen-
Wandungen in hohem Maße conservirt, während bei Spielraumsführung die
durchschießenden Stichflammen der Pulvergase ein verhältnißmäßig schnelles
Ausbrennen des gezognen Theiles der Seele erwarten lassen, außerdem aber
die Härte der Führungstheile des Geschosses das ihrige zu einem baldigen
Verderben dieses so wichtigen und auf die Wahrscheinlichkeit des Treffens so
wesentlich influirenden Rvhrtheiles beitrüge.

Ein von uns damals ausgesprochenes vergleichendes Urtheil erscheint, im
Hinblick auf den zu jener Zeit in England eingetretnen Umschlag wie auf die
heutige Sachlage, vielleicht nicht uninteressant. Wir sagten damals: "Nur eine


Die moderne Geschütz-Industrie.

empirischer Zug verschob die feinen Grundzüge, welche die ballistische Combi¬
nation vorzeichnet, und dies führte nothwendig zu mehr oder weniger unvor¬
hergesehenen Consequenzen, welche sich denn anch der Annahme des Systems
für den englischen Staatsdienst entgegengestellt haben werden. Es ist keines¬
wegs der hohe Kostenpreis allein gewesen, welcher die Einführung der Whit-
worth-Geschütze in den Land- und Seedienst Englands und eine ausgedehntere
Verbreitung derselben dnrch Verkauf verhinderte.

Einen principiell andern und, wie heute nirgends mehr bestritten wird,
den für gezogene Geschütze allein richtigen Weg hatte von vornherein Armstrong
eingeschlagen. Er gab dein Langgeschvß eine Führung ohne Spielraum während
seines Ganges durch die Seele, indem er den cylindrischen Theil des Geschosses
mit einem weichen Führungsmittel versah, welches sich, unter völliger Abdich¬
tung, in die Züge des Rohres einpressen mußte. Er wählte hierzu einen Mantel
von Blei in ähnlicher Weise, wie dies mehrere Jahre vorher schon in Preußen
bei der Aufnahme der Versuche mit gezogenen Geschützen geschehen war. Un¬
erläßliche Bedingung für diese Führuugsart ist die Hinterladung. Die cylindrisch
gebohrte Seele des Rohres hat hinten am Verschluß einen mit größerem Bvh-
rungsdurchmesser aufgedrehtem Theil zur Aufnahme von Geschoß und Ladung;
der vordere lange Theil von geringerem Bohrungsdurchmcsser erhält in seiner
Wandung zahlreiche, flach eingeschnittene Züge, welche einen gewundenen Gang
nehmen, also den Drall haben, welcher für die Sicherung der Stetigkeit der
Längenachse des Geschosses auf der Flughahn durch Ertheilung des erforder¬
lichen Rotationsmomentes als nothwendig erkannt ist. Zwischen den Zügen
sind die Felder stehen geblieben; diese fletschen beim Vorgange des Geschosses
das weiche Führungsmetall aus, und hierdurch wird das Geschoß gezwungen,
dem Drall der Züge zu folgen und die ihm bestimmte Drehung anzunehmen.
Pulvergas kann dem Geschoß im Rohre nicht vorauseilen, die Abdichtung ist
vollkommen. Mit dieser Art der Geschoßführung muß man nach der Theorie
wie nach aller Erfahrung einen höhern Grad von Trefffähigkeit erlangen als
bei jeder andern, sei dies nun eine Führung durch Expansion, welche den Spiel¬
raum nur unsicher beseitigt, oder die sonst ziemlich allgemein gewesene Führung
mit Spielraum in ihren verschiedenen Arten; ferner werden mit ihr die Seelen-
Wandungen in hohem Maße conservirt, während bei Spielraumsführung die
durchschießenden Stichflammen der Pulvergase ein verhältnißmäßig schnelles
Ausbrennen des gezognen Theiles der Seele erwarten lassen, außerdem aber
die Härte der Führungstheile des Geschosses das ihrige zu einem baldigen
Verderben dieses so wichtigen und auf die Wahrscheinlichkeit des Treffens so
wesentlich influirenden Rvhrtheiles beitrüge.

Ein von uns damals ausgesprochenes vergleichendes Urtheil erscheint, im
Hinblick auf den zu jener Zeit in England eingetretnen Umschlag wie auf die
heutige Sachlage, vielleicht nicht uninteressant. Wir sagten damals: „Nur eine


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[0544] Die moderne Geschütz-Industrie. empirischer Zug verschob die feinen Grundzüge, welche die ballistische Combi¬ nation vorzeichnet, und dies führte nothwendig zu mehr oder weniger unvor¬ hergesehenen Consequenzen, welche sich denn anch der Annahme des Systems für den englischen Staatsdienst entgegengestellt haben werden. Es ist keines¬ wegs der hohe Kostenpreis allein gewesen, welcher die Einführung der Whit- worth-Geschütze in den Land- und Seedienst Englands und eine ausgedehntere Verbreitung derselben dnrch Verkauf verhinderte. Einen principiell andern und, wie heute nirgends mehr bestritten wird, den für gezogene Geschütze allein richtigen Weg hatte von vornherein Armstrong eingeschlagen. Er gab dein Langgeschvß eine Führung ohne Spielraum während seines Ganges durch die Seele, indem er den cylindrischen Theil des Geschosses mit einem weichen Führungsmittel versah, welches sich, unter völliger Abdich¬ tung, in die Züge des Rohres einpressen mußte. Er wählte hierzu einen Mantel von Blei in ähnlicher Weise, wie dies mehrere Jahre vorher schon in Preußen bei der Aufnahme der Versuche mit gezogenen Geschützen geschehen war. Un¬ erläßliche Bedingung für diese Führuugsart ist die Hinterladung. Die cylindrisch gebohrte Seele des Rohres hat hinten am Verschluß einen mit größerem Bvh- rungsdurchmesser aufgedrehtem Theil zur Aufnahme von Geschoß und Ladung; der vordere lange Theil von geringerem Bohrungsdurchmcsser erhält in seiner Wandung zahlreiche, flach eingeschnittene Züge, welche einen gewundenen Gang nehmen, also den Drall haben, welcher für die Sicherung der Stetigkeit der Längenachse des Geschosses auf der Flughahn durch Ertheilung des erforder¬ lichen Rotationsmomentes als nothwendig erkannt ist. Zwischen den Zügen sind die Felder stehen geblieben; diese fletschen beim Vorgange des Geschosses das weiche Führungsmetall aus, und hierdurch wird das Geschoß gezwungen, dem Drall der Züge zu folgen und die ihm bestimmte Drehung anzunehmen. Pulvergas kann dem Geschoß im Rohre nicht vorauseilen, die Abdichtung ist vollkommen. Mit dieser Art der Geschoßführung muß man nach der Theorie wie nach aller Erfahrung einen höhern Grad von Trefffähigkeit erlangen als bei jeder andern, sei dies nun eine Führung durch Expansion, welche den Spiel¬ raum nur unsicher beseitigt, oder die sonst ziemlich allgemein gewesene Führung mit Spielraum in ihren verschiedenen Arten; ferner werden mit ihr die Seelen- Wandungen in hohem Maße conservirt, während bei Spielraumsführung die durchschießenden Stichflammen der Pulvergase ein verhältnißmäßig schnelles Ausbrennen des gezognen Theiles der Seele erwarten lassen, außerdem aber die Härte der Führungstheile des Geschosses das ihrige zu einem baldigen Verderben dieses so wichtigen und auf die Wahrscheinlichkeit des Treffens so wesentlich influirenden Rvhrtheiles beitrüge. Ein von uns damals ausgesprochenes vergleichendes Urtheil erscheint, im Hinblick auf den zu jener Zeit in England eingetretnen Umschlag wie auf die heutige Sachlage, vielleicht nicht uninteressant. Wir sagten damals: „Nur eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/544>, abgerufen am 01.09.2024.