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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die moderne Geschütz-Industrie.

Windung, einen Drall, und hiernach nehmen die abgefeuerten, conform gestal¬
teten Langgeschossc die entsprechende Drehung um ihre Längenachse für ihre
weitere Bahn an. Die sehr genau gearbeiteten Geschosse Passiren die Seele mit
Spielraum, wodurch es möglich wird, die Geschützrohre sowohl zur Hinter¬
ladung wie zur Vorderladung einzurichten. Für den Gebrauch als Hinterlader
hatte Whitworth seinen Geschützen einen aufgeschraubten Kappenvcrschluß gegeben,
der nach der Constrnctionsidce ganz an die Art und Weise erinnert, in welcher
das Kammerstück der "Tollen Grete" und der Nous NöA mit dem Nohrkörpcr
in Verbindung gebracht wurde, wie es denn unter allen Verschlußvorrichtuugeu
der Neuzeit wohl keine geben dürfte, welche nicht der Idee nach in den Con-
structivnsversuchcn der alten Stückmeister bereits den einen oder andern Vor¬
gang hätte. Diese Art der Hiuterladung hat sich indeß schon bei kleinen Ka¬
libern auf die Dauer so wenig bewährt, daß Whitworth wohl ganz allgemein,
namentlich bei den größern Geschützen, zur Vorderladung übergegangen sein
wird. Für die Geschoßführung mit Spielraum stellen die Whitworth-Geschütze
jedenfalls dasjenige System bor, welchem die größte Trefffähigkeit zugesprochen
werden muß. Die Geschützrohre hatten einen außerordentlich starken Drall, und
in Verbindung mit einer sehr starken Ladung reprcisentirteu sie gleichzeitig ein
System von ganz außergewöhnlicher Anspannung, welches den Erfinder auch
sofort nöthigte, von gußeisernen Geschossen, weil diese vielfach im Rohre zer¬
schellten und auch die Seeleuwände zu stark angriffen, zu Geschossen aus
Homogen-Eisen, also aus Gußstahl, überzugehen. Diese Momente haben denn
auch in Verbindung mit der starren Art der Geschoßführung zuweilen dazu
geführt, daß in einzelnen Fällen doch die Festigkeitsgrenze der Rohre über¬
schritten wurde. Man hielt die Möglichkeit eines Verkeilens der Geschosse unter
gleichzeitiger Aeußerung ihrer Sprengwirkung im Rohre nicht für absolut aus¬
geschlossen, und einer solchen Zusammenwirkung dürfte auch das vorzüglichste
kaum je gewachsen sein.

Neben der Erzielung guter Trefffähiglcit richtete sich das Streben des
Coustructvrs darauf, ein Maximum von Anfangsgeschwindigkeit, Schußweite
und Durchschlagskraft zu erreichen, und er ist hierin unzweifelhaft schon sehr
früh zu unerwarteten Resultaten gelangt. Er gab seinen Geschossen bereits ein
Verhältniß der Länge zum Querschnitt, zu welchem erst die Neuzeit vorsichtig
ermittelnd vorgeht; ebenso wandte er Ladungen in einem Verhältniß zum Ge-
schvßgewicht an, welches man erst neuerdings mit weniger brisanten Pulver¬
arten zu überschreiten beginnt. Auf diese Weise gelangte er schon zu Anfangs¬
geschwindigkeiten, welche erst von den allerneuesten Constructionen gefordert
werden, und das ganze System zeigte Erfolge von Fernwirkung und an Durch¬
schlagskraft bei Panzerungen, welche ein für damalige Zeit berechtigtes Auf¬
sehen erregten. Indeß dem so ausgebildeten Systeme wohnte doch von vorn¬
herein der Charakter eines hohen Maßes von Gewaltsamkeit inne; ein vorwiegend


Die moderne Geschütz-Industrie.

Windung, einen Drall, und hiernach nehmen die abgefeuerten, conform gestal¬
teten Langgeschossc die entsprechende Drehung um ihre Längenachse für ihre
weitere Bahn an. Die sehr genau gearbeiteten Geschosse Passiren die Seele mit
Spielraum, wodurch es möglich wird, die Geschützrohre sowohl zur Hinter¬
ladung wie zur Vorderladung einzurichten. Für den Gebrauch als Hinterlader
hatte Whitworth seinen Geschützen einen aufgeschraubten Kappenvcrschluß gegeben,
der nach der Constrnctionsidce ganz an die Art und Weise erinnert, in welcher
das Kammerstück der „Tollen Grete" und der Nous NöA mit dem Nohrkörpcr
in Verbindung gebracht wurde, wie es denn unter allen Verschlußvorrichtuugeu
der Neuzeit wohl keine geben dürfte, welche nicht der Idee nach in den Con-
structivnsversuchcn der alten Stückmeister bereits den einen oder andern Vor¬
gang hätte. Diese Art der Hiuterladung hat sich indeß schon bei kleinen Ka¬
libern auf die Dauer so wenig bewährt, daß Whitworth wohl ganz allgemein,
namentlich bei den größern Geschützen, zur Vorderladung übergegangen sein
wird. Für die Geschoßführung mit Spielraum stellen die Whitworth-Geschütze
jedenfalls dasjenige System bor, welchem die größte Trefffähigkeit zugesprochen
werden muß. Die Geschützrohre hatten einen außerordentlich starken Drall, und
in Verbindung mit einer sehr starken Ladung reprcisentirteu sie gleichzeitig ein
System von ganz außergewöhnlicher Anspannung, welches den Erfinder auch
sofort nöthigte, von gußeisernen Geschossen, weil diese vielfach im Rohre zer¬
schellten und auch die Seeleuwände zu stark angriffen, zu Geschossen aus
Homogen-Eisen, also aus Gußstahl, überzugehen. Diese Momente haben denn
auch in Verbindung mit der starren Art der Geschoßführung zuweilen dazu
geführt, daß in einzelnen Fällen doch die Festigkeitsgrenze der Rohre über¬
schritten wurde. Man hielt die Möglichkeit eines Verkeilens der Geschosse unter
gleichzeitiger Aeußerung ihrer Sprengwirkung im Rohre nicht für absolut aus¬
geschlossen, und einer solchen Zusammenwirkung dürfte auch das vorzüglichste
kaum je gewachsen sein.

Neben der Erzielung guter Trefffähiglcit richtete sich das Streben des
Coustructvrs darauf, ein Maximum von Anfangsgeschwindigkeit, Schußweite
und Durchschlagskraft zu erreichen, und er ist hierin unzweifelhaft schon sehr
früh zu unerwarteten Resultaten gelangt. Er gab seinen Geschossen bereits ein
Verhältniß der Länge zum Querschnitt, zu welchem erst die Neuzeit vorsichtig
ermittelnd vorgeht; ebenso wandte er Ladungen in einem Verhältniß zum Ge-
schvßgewicht an, welches man erst neuerdings mit weniger brisanten Pulver¬
arten zu überschreiten beginnt. Auf diese Weise gelangte er schon zu Anfangs¬
geschwindigkeiten, welche erst von den allerneuesten Constructionen gefordert
werden, und das ganze System zeigte Erfolge von Fernwirkung und an Durch¬
schlagskraft bei Panzerungen, welche ein für damalige Zeit berechtigtes Auf¬
sehen erregten. Indeß dem so ausgebildeten Systeme wohnte doch von vorn¬
herein der Charakter eines hohen Maßes von Gewaltsamkeit inne; ein vorwiegend


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[0543] Die moderne Geschütz-Industrie. Windung, einen Drall, und hiernach nehmen die abgefeuerten, conform gestal¬ teten Langgeschossc die entsprechende Drehung um ihre Längenachse für ihre weitere Bahn an. Die sehr genau gearbeiteten Geschosse Passiren die Seele mit Spielraum, wodurch es möglich wird, die Geschützrohre sowohl zur Hinter¬ ladung wie zur Vorderladung einzurichten. Für den Gebrauch als Hinterlader hatte Whitworth seinen Geschützen einen aufgeschraubten Kappenvcrschluß gegeben, der nach der Constrnctionsidce ganz an die Art und Weise erinnert, in welcher das Kammerstück der „Tollen Grete" und der Nous NöA mit dem Nohrkörpcr in Verbindung gebracht wurde, wie es denn unter allen Verschlußvorrichtuugeu der Neuzeit wohl keine geben dürfte, welche nicht der Idee nach in den Con- structivnsversuchcn der alten Stückmeister bereits den einen oder andern Vor¬ gang hätte. Diese Art der Hiuterladung hat sich indeß schon bei kleinen Ka¬ libern auf die Dauer so wenig bewährt, daß Whitworth wohl ganz allgemein, namentlich bei den größern Geschützen, zur Vorderladung übergegangen sein wird. Für die Geschoßführung mit Spielraum stellen die Whitworth-Geschütze jedenfalls dasjenige System bor, welchem die größte Trefffähigkeit zugesprochen werden muß. Die Geschützrohre hatten einen außerordentlich starken Drall, und in Verbindung mit einer sehr starken Ladung reprcisentirteu sie gleichzeitig ein System von ganz außergewöhnlicher Anspannung, welches den Erfinder auch sofort nöthigte, von gußeisernen Geschossen, weil diese vielfach im Rohre zer¬ schellten und auch die Seeleuwände zu stark angriffen, zu Geschossen aus Homogen-Eisen, also aus Gußstahl, überzugehen. Diese Momente haben denn auch in Verbindung mit der starren Art der Geschoßführung zuweilen dazu geführt, daß in einzelnen Fällen doch die Festigkeitsgrenze der Rohre über¬ schritten wurde. Man hielt die Möglichkeit eines Verkeilens der Geschosse unter gleichzeitiger Aeußerung ihrer Sprengwirkung im Rohre nicht für absolut aus¬ geschlossen, und einer solchen Zusammenwirkung dürfte auch das vorzüglichste kaum je gewachsen sein. Neben der Erzielung guter Trefffähiglcit richtete sich das Streben des Coustructvrs darauf, ein Maximum von Anfangsgeschwindigkeit, Schußweite und Durchschlagskraft zu erreichen, und er ist hierin unzweifelhaft schon sehr früh zu unerwarteten Resultaten gelangt. Er gab seinen Geschossen bereits ein Verhältniß der Länge zum Querschnitt, zu welchem erst die Neuzeit vorsichtig ermittelnd vorgeht; ebenso wandte er Ladungen in einem Verhältniß zum Ge- schvßgewicht an, welches man erst neuerdings mit weniger brisanten Pulver¬ arten zu überschreiten beginnt. Auf diese Weise gelangte er schon zu Anfangs¬ geschwindigkeiten, welche erst von den allerneuesten Constructionen gefordert werden, und das ganze System zeigte Erfolge von Fernwirkung und an Durch¬ schlagskraft bei Panzerungen, welche ein für damalige Zeit berechtigtes Auf¬ sehen erregten. Indeß dem so ausgebildeten Systeme wohnte doch von vorn¬ herein der Charakter eines hohen Maßes von Gewaltsamkeit inne; ein vorwiegend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/543>, abgerufen am 01.09.2024.