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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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politische Rückblicke und Ausblicke.

sein zu können. Seine Niederlage in Belleville hat ihm diesen doppelten Vor¬
theil entzogen. Er wird nunmehr genöthigt sein, sich mehr der maßvollern
Fraction der republikanischen Partei zuzuneigen, und jede Kundgebung in dieser
Richtung wird den Haß, den die Jntransigenten gegen ihn hegen, erheblich mehr
entflammen.

Für Frankreich wird das sich als entschicdner Gewinn erweisen. Die
Partei, welche in Belleville siegte, will eine schlechte Nachahmung der Zustände
von 1793, Gambettas Platz dagegen ist auf dem Ministerstuhl einer Republik,
welche Ordnung und Eigenthum nicht bedroht, sondern schützt. Es wurde an¬
genommen, daß er eines Tages jenen Schweif von Radicalen sich abschneiden
werde. Rochefort und andre Wortführer der modernen Jakobiner haben ihm
diese Operation erspart. Der Schweif ist von selbst abgefallen.

Noch beachtenswerther ist die Wirkung der Wahlen im allgemeinen auf
Gambettns persönliche Stellung. Als die Deputirtenkammer auf sein Andringen
den Gesetzentwurf annahm, der das Listenserutinium einführte, hatte der Einfluß
des Exdietators einen sehr hohen Grad erreicht. Gegen die Abneigung Grevys
und der Hälfte seines Cabinets und gegen die Ueberzeugung nicht weniger
strammer Republikaner setzte er eine Maßregel durch, welche bestimmt war, die
bevorstehenden Wahlen in seine Hand zu legen. Er ging dann nach seiner
Vaterstadt Cahors, wurde fast mit fürstlichen Ehren empfange" und sprach wie
ein Monarch, wobei er über den Senat seine Gönucrhaud hielt und augen¬
scheinlich die Conservativen in Frankreich zu gewinnen trachtete. Aber der Senat
ließ sich dadurch nicht zu Zugeständnissen verleiten, er verwarf das Listcnsern-
tinium, und der Jubel vieler Republikaner über dieses Verfahren verrieth, daß
Gambettns Triumphzug !u der Provinz das erweckt hatte, was in allen De¬
mokratien eine starke Kraft ist, ja einen Grundcharaktcrzug derselben bildet, Neid
und Eifersucht auf persönliche Gewalt. Das bestätigte sich dann bei den Wahlen.
Gambetta selbst ist nicht, wie erwartet wurde, zwei oder drei dutzendmal ge¬
wählt worden, und mehr als eine Wählerschaft hat persönliche Freunde des¬
selben durchfallen lassen, während früher seine Empfehlung fast in ganz Frank¬
reich ausschlaggebend war. Kurz, es hat sich ergeben, daß die Franzosen dem
System, wo ein Mann gebietet, nicht mehr so vertrauen, wie es bisher schien,
und nicht geneigt sind, sich die verhüllte oder unverhüllte Dictatur eines Partei¬
führers, sei er geistig auch noch so bedeutend, gefallen zu lassen. Gambetta
hat diese Umänderung der Stimmung gemerkt und in den Reden, die er in den
letzten Tagen hielt, mittelbar anerkannt. er lehnte bei diesen Gelegenheiten alle
Absichten auf individuelle Geltung und Bedeutung von sich ab. Das Resultat
der Wahlen ist also, daß die Republik durch dieselben gestärkt, Gambettas per¬
sönliche Macht dagegen vermindert worden ist. Dennoch bleibt er der erste und
oberste Mann in der durch die Wahlen wesentlich vermehrte" Majorität der
Deputirtenkammer ""d deshalb deren unvermeidlicher Leiter. Mag das ruhig


politische Rückblicke und Ausblicke.

sein zu können. Seine Niederlage in Belleville hat ihm diesen doppelten Vor¬
theil entzogen. Er wird nunmehr genöthigt sein, sich mehr der maßvollern
Fraction der republikanischen Partei zuzuneigen, und jede Kundgebung in dieser
Richtung wird den Haß, den die Jntransigenten gegen ihn hegen, erheblich mehr
entflammen.

Für Frankreich wird das sich als entschicdner Gewinn erweisen. Die
Partei, welche in Belleville siegte, will eine schlechte Nachahmung der Zustände
von 1793, Gambettas Platz dagegen ist auf dem Ministerstuhl einer Republik,
welche Ordnung und Eigenthum nicht bedroht, sondern schützt. Es wurde an¬
genommen, daß er eines Tages jenen Schweif von Radicalen sich abschneiden
werde. Rochefort und andre Wortführer der modernen Jakobiner haben ihm
diese Operation erspart. Der Schweif ist von selbst abgefallen.

Noch beachtenswerther ist die Wirkung der Wahlen im allgemeinen auf
Gambettns persönliche Stellung. Als die Deputirtenkammer auf sein Andringen
den Gesetzentwurf annahm, der das Listenserutinium einführte, hatte der Einfluß
des Exdietators einen sehr hohen Grad erreicht. Gegen die Abneigung Grevys
und der Hälfte seines Cabinets und gegen die Ueberzeugung nicht weniger
strammer Republikaner setzte er eine Maßregel durch, welche bestimmt war, die
bevorstehenden Wahlen in seine Hand zu legen. Er ging dann nach seiner
Vaterstadt Cahors, wurde fast mit fürstlichen Ehren empfange» und sprach wie
ein Monarch, wobei er über den Senat seine Gönucrhaud hielt und augen¬
scheinlich die Conservativen in Frankreich zu gewinnen trachtete. Aber der Senat
ließ sich dadurch nicht zu Zugeständnissen verleiten, er verwarf das Listcnsern-
tinium, und der Jubel vieler Republikaner über dieses Verfahren verrieth, daß
Gambettns Triumphzug !u der Provinz das erweckt hatte, was in allen De¬
mokratien eine starke Kraft ist, ja einen Grundcharaktcrzug derselben bildet, Neid
und Eifersucht auf persönliche Gewalt. Das bestätigte sich dann bei den Wahlen.
Gambetta selbst ist nicht, wie erwartet wurde, zwei oder drei dutzendmal ge¬
wählt worden, und mehr als eine Wählerschaft hat persönliche Freunde des¬
selben durchfallen lassen, während früher seine Empfehlung fast in ganz Frank¬
reich ausschlaggebend war. Kurz, es hat sich ergeben, daß die Franzosen dem
System, wo ein Mann gebietet, nicht mehr so vertrauen, wie es bisher schien,
und nicht geneigt sind, sich die verhüllte oder unverhüllte Dictatur eines Partei¬
führers, sei er geistig auch noch so bedeutend, gefallen zu lassen. Gambetta
hat diese Umänderung der Stimmung gemerkt und in den Reden, die er in den
letzten Tagen hielt, mittelbar anerkannt. er lehnte bei diesen Gelegenheiten alle
Absichten auf individuelle Geltung und Bedeutung von sich ab. Das Resultat
der Wahlen ist also, daß die Republik durch dieselben gestärkt, Gambettas per¬
sönliche Macht dagegen vermindert worden ist. Dennoch bleibt er der erste und
oberste Mann in der durch die Wahlen wesentlich vermehrte» Majorität der
Deputirtenkammer »»d deshalb deren unvermeidlicher Leiter. Mag das ruhig


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[0491] politische Rückblicke und Ausblicke. sein zu können. Seine Niederlage in Belleville hat ihm diesen doppelten Vor¬ theil entzogen. Er wird nunmehr genöthigt sein, sich mehr der maßvollern Fraction der republikanischen Partei zuzuneigen, und jede Kundgebung in dieser Richtung wird den Haß, den die Jntransigenten gegen ihn hegen, erheblich mehr entflammen. Für Frankreich wird das sich als entschicdner Gewinn erweisen. Die Partei, welche in Belleville siegte, will eine schlechte Nachahmung der Zustände von 1793, Gambettas Platz dagegen ist auf dem Ministerstuhl einer Republik, welche Ordnung und Eigenthum nicht bedroht, sondern schützt. Es wurde an¬ genommen, daß er eines Tages jenen Schweif von Radicalen sich abschneiden werde. Rochefort und andre Wortführer der modernen Jakobiner haben ihm diese Operation erspart. Der Schweif ist von selbst abgefallen. Noch beachtenswerther ist die Wirkung der Wahlen im allgemeinen auf Gambettns persönliche Stellung. Als die Deputirtenkammer auf sein Andringen den Gesetzentwurf annahm, der das Listenserutinium einführte, hatte der Einfluß des Exdietators einen sehr hohen Grad erreicht. Gegen die Abneigung Grevys und der Hälfte seines Cabinets und gegen die Ueberzeugung nicht weniger strammer Republikaner setzte er eine Maßregel durch, welche bestimmt war, die bevorstehenden Wahlen in seine Hand zu legen. Er ging dann nach seiner Vaterstadt Cahors, wurde fast mit fürstlichen Ehren empfange» und sprach wie ein Monarch, wobei er über den Senat seine Gönucrhaud hielt und augen¬ scheinlich die Conservativen in Frankreich zu gewinnen trachtete. Aber der Senat ließ sich dadurch nicht zu Zugeständnissen verleiten, er verwarf das Listcnsern- tinium, und der Jubel vieler Republikaner über dieses Verfahren verrieth, daß Gambettns Triumphzug !u der Provinz das erweckt hatte, was in allen De¬ mokratien eine starke Kraft ist, ja einen Grundcharaktcrzug derselben bildet, Neid und Eifersucht auf persönliche Gewalt. Das bestätigte sich dann bei den Wahlen. Gambetta selbst ist nicht, wie erwartet wurde, zwei oder drei dutzendmal ge¬ wählt worden, und mehr als eine Wählerschaft hat persönliche Freunde des¬ selben durchfallen lassen, während früher seine Empfehlung fast in ganz Frank¬ reich ausschlaggebend war. Kurz, es hat sich ergeben, daß die Franzosen dem System, wo ein Mann gebietet, nicht mehr so vertrauen, wie es bisher schien, und nicht geneigt sind, sich die verhüllte oder unverhüllte Dictatur eines Partei¬ führers, sei er geistig auch noch so bedeutend, gefallen zu lassen. Gambetta hat diese Umänderung der Stimmung gemerkt und in den Reden, die er in den letzten Tagen hielt, mittelbar anerkannt. er lehnte bei diesen Gelegenheiten alle Absichten auf individuelle Geltung und Bedeutung von sich ab. Das Resultat der Wahlen ist also, daß die Republik durch dieselben gestärkt, Gambettas per¬ sönliche Macht dagegen vermindert worden ist. Dennoch bleibt er der erste und oberste Mann in der durch die Wahlen wesentlich vermehrte» Majorität der Deputirtenkammer »»d deshalb deren unvermeidlicher Leiter. Mag das ruhig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/491>, abgerufen am 01.09.2024.