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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dresdener Zustände in den Jahren IMS bis ^320,

er mit einzelnen Gliedern desselben, wie mit K. Förster, der ja auch seine
drei Briefe über Goethes Faust redigirte, in innigster Freundschaft verkehrte.
Er hat eine Selbstbiographie herausgegeben, die viel Interessantes enthält.
Im Jahre 1817 kam Karl Maria von Weber nach Dresden, berufen zur Be¬
gründung einer deutschen Oper neben der schon lange bestehenden italienischen.
In demselben Jahre kam auch Tiedge, der Dichter der einst so hoch gefeierten
"Urania," begleitet von seiner treuen Freundin Elise von der Recke, es kam
die Dichterin Helmine von Chezy, die Enkelin der Anna Louise Karsch, welche
seit Jahren von ihrem Gatten, dem berühmten Orientalisten Chezy in Paris,
getrennt lebte, um hier in Dresden während eines sechsjährigen Aufenthalts
ihren Ruhm durch ihre Erzählung "Die Zeit ist hin, da Bertha spann,"
durch ihr romantisches Epos "Die drei Rosen" und durch den Text zur "Euryanthe,"
den sie für Weber schrieb, noch zu vermehren. Es kam endlich auch der hessische
Gesandte Freiherr von der Mals bürg, der sich vor allem in der Traum- und
Zaubersphäre spanischer Ritterlichkeit und Gläubigkeit wohl fühlte und als Ueber¬
setzer spanischer Dramen geschätzt wurde. An eines seiner Gedichte: "Ich
schau allnächtlich zu den Sternen" knüpfte Müllner, der vielbesprochene Ver¬
sasser der Schicksalstragödie "Die Schuld," die witzig sein sollende Bemerkung:
"Baron Malsburg schaut allnächtlich zu den Sternen und dichtet alltäglich."
Zwei Jahre später, 1819, siedelte Ludwig Tieck mit Weib und Kind nach Dresden
über; seine Verehrerin, die Gräfin Finkenstein, folgte ihm. Sie bezogen ge¬
meinschaftlich eine Wohnung am Altmarkt, die bald als die Burg des alten Ro¬
mantikers bezeichnet wurde. Hier entstanden unter andern seine so berühmten No¬
vellen, deren lange Reihe 1821 die "Gemälde" eröffneten. Auch GrafKalckreuth,
ein Sohn des preußischen Feldmarschalls, des Vertheidigers von Dnnzig, ver¬
legte damals auf etliche Jahre bis Ende 1826 seinen Sitz nach Dresden, nachdem
er durch feinen Roman "Edda" eine kurze Berühmtheit erlangt hatte. Der wohl¬
habende Kunstkenner Quandt siedelte 1822 von Leipzig nach Dresden über,
später, 1827, auch Graf Baudissin, als Shakespeare-Uebersetzer neben Tieck
und Schlegel zu nennen, der alle die Dresdener Berühmtheiten jener Zeit über¬
leben sollte.*)

Dem "Liederkreis" standen diese Fremden sämmtlich nahe bis auf den einzigen
Tieck, der ihn mit beißendem Spott verfolgte und ein paar Mitglieder desselben
in genialster Weise in der Literatur bloßstellte -- Böttiger in seinem drama¬
tischen Märchen "Der gestiefelte Kater" und in seiner Novelle "Die Vogelscheuche,"
Theodor Hell ebenfalls in der letzteren; Hell figurirte darin als Herr von Leder-
brinna, Böttiger als Dr. Ubique. Eine Näucheranstalt nannte er den Verein,
M deren Versammlungen jedes Mitglied sein Weihrauchfaß mitbringe, um es
vor der Nase des eben vortragenden zu schwingen, jede Dame einen Lorbeer-



*) Er starb erst am 4. April 1878, 89 Jahre alt.
Dresdener Zustände in den Jahren IMS bis ^320,

er mit einzelnen Gliedern desselben, wie mit K. Förster, der ja auch seine
drei Briefe über Goethes Faust redigirte, in innigster Freundschaft verkehrte.
Er hat eine Selbstbiographie herausgegeben, die viel Interessantes enthält.
Im Jahre 1817 kam Karl Maria von Weber nach Dresden, berufen zur Be¬
gründung einer deutschen Oper neben der schon lange bestehenden italienischen.
In demselben Jahre kam auch Tiedge, der Dichter der einst so hoch gefeierten
„Urania," begleitet von seiner treuen Freundin Elise von der Recke, es kam
die Dichterin Helmine von Chezy, die Enkelin der Anna Louise Karsch, welche
seit Jahren von ihrem Gatten, dem berühmten Orientalisten Chezy in Paris,
getrennt lebte, um hier in Dresden während eines sechsjährigen Aufenthalts
ihren Ruhm durch ihre Erzählung „Die Zeit ist hin, da Bertha spann,"
durch ihr romantisches Epos „Die drei Rosen" und durch den Text zur „Euryanthe,"
den sie für Weber schrieb, noch zu vermehren. Es kam endlich auch der hessische
Gesandte Freiherr von der Mals bürg, der sich vor allem in der Traum- und
Zaubersphäre spanischer Ritterlichkeit und Gläubigkeit wohl fühlte und als Ueber¬
setzer spanischer Dramen geschätzt wurde. An eines seiner Gedichte: „Ich
schau allnächtlich zu den Sternen" knüpfte Müllner, der vielbesprochene Ver¬
sasser der Schicksalstragödie „Die Schuld," die witzig sein sollende Bemerkung:
„Baron Malsburg schaut allnächtlich zu den Sternen und dichtet alltäglich."
Zwei Jahre später, 1819, siedelte Ludwig Tieck mit Weib und Kind nach Dresden
über; seine Verehrerin, die Gräfin Finkenstein, folgte ihm. Sie bezogen ge¬
meinschaftlich eine Wohnung am Altmarkt, die bald als die Burg des alten Ro¬
mantikers bezeichnet wurde. Hier entstanden unter andern seine so berühmten No¬
vellen, deren lange Reihe 1821 die „Gemälde" eröffneten. Auch GrafKalckreuth,
ein Sohn des preußischen Feldmarschalls, des Vertheidigers von Dnnzig, ver¬
legte damals auf etliche Jahre bis Ende 1826 seinen Sitz nach Dresden, nachdem
er durch feinen Roman „Edda" eine kurze Berühmtheit erlangt hatte. Der wohl¬
habende Kunstkenner Quandt siedelte 1822 von Leipzig nach Dresden über,
später, 1827, auch Graf Baudissin, als Shakespeare-Uebersetzer neben Tieck
und Schlegel zu nennen, der alle die Dresdener Berühmtheiten jener Zeit über¬
leben sollte.*)

Dem „Liederkreis" standen diese Fremden sämmtlich nahe bis auf den einzigen
Tieck, der ihn mit beißendem Spott verfolgte und ein paar Mitglieder desselben
in genialster Weise in der Literatur bloßstellte — Böttiger in seinem drama¬
tischen Märchen „Der gestiefelte Kater" und in seiner Novelle „Die Vogelscheuche,"
Theodor Hell ebenfalls in der letzteren; Hell figurirte darin als Herr von Leder-
brinna, Böttiger als Dr. Ubique. Eine Näucheranstalt nannte er den Verein,
M deren Versammlungen jedes Mitglied sein Weihrauchfaß mitbringe, um es
vor der Nase des eben vortragenden zu schwingen, jede Dame einen Lorbeer-



*) Er starb erst am 4. April 1878, 89 Jahre alt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/455>, abgerufen am 01.09.2024.