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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dresdener Zustände in den Jahren ^31^5 bis ^330.

folgte er den Vorstellungen keineswegs immer mit der nöthigen Aufmerksamkeit;
ja wenn er so nach seiner Art mit zugekniffenen Augen zuhörte, wollte man sogar
behaupten, daß er zuweilen schlafe, Einst saß er im Theater neben der schon ältern
Schauspielerin Hartwig, Eine andre, Schirmer mit Namen, spielte eine Rolle, worin
jene früher viel Glück gemacht hatte. Den Kopf nach ihrer Seite wendend und
seine Hände nach der andern, flüsterte er ihr zu, als die Schauspielerin abging:
"Lange, lange keine Hartwig!" applaudirte aber dabei immer aufs kräftigste.
Auch ein allzeit fertiger Redner war er, und oft brachte er bei den Freuden
der Tafel sinnige Trinksprüche aus. Einmal spielte ihm dabei seine große Kurz¬
sichtigkeit einen üblen Streich. Bei der Feier des Geburtstages der eben ge¬
nannten Schauspielerin Hartwig hob er bei Tafel deren Verdienste um die Schau¬
spielkunst sinnreich hervor. Dabei nahm er aus einer ihm nahestehenden Vase
eine Rose und verglich damit die Gefeierte. Seine Blindheit ließ ihn aber nicht
erkennen, daß die schon halbverwelkte Blume sich während seiner Rede mehr und
mehr entblätterte. Am Schlüsse reichte er sie der Künstlerin als Sinnbild, und
diese empfing die entblätterte Rose lachend mit den Worten: "Lieber Böttiger,
ich habe mich stets Ihrer Gunst zu erfreuen gehabt, aber heute erst ist mir klar
geworden, wie sehr die Liebe blind machen kann." Darauf brach lauter Jubel
los, und das Peinliche der Situation war gehoben.

Neben den Männern des "Liederkreises" gab es aber damals noch manche
andre in Dresdens Mauern, die sich mit literarischen Dingen beschäftigten. Zu
ihnen gehört vor allen Friedrich Laun, der einst vielgelesene Romane von hei¬
terem Charakter und drei Bändchen noch heute lesenswerther Memoiren hinter¬
lassen hat, und der, im Jahre 1770 geboren, seiner Wohnung gegenüber die
grünenden und mit Bäumen durchwachsenen, von Eidechsen, Fledermäusen und
Eulen bewohnten Trümmer mehrerer im siebenjährigen Kriege abgebrannter
Häuser noch jahrelang vor Augen sah; ferner Oberst von Witzleben, der unter
dem Namen Tromlitz eine große schriftstellerische Fruchtbarkeit entfaltete, der
Artilleriehauptmann O. Schilling, dessen Werke in der Gesammtnnsgabe, welche
von 1810 -- 1822 erschien, fünfzig Bände füllen, und seit 182V längere Zeit
Fanny Tarnow, welche erst 1862 in Dessau starb und in deren zahlreichen
Romanen unglückliche Liebe und Entsagung eine Hauptrolle spielen. Ganz be¬
sonders hervorzuheben ist -- wenn auch nicht eben in dieser Reihe -- der 1814
von Leipzig an die Dresdener chirurgisch-medicinische Academie berufne, seit 1827
zum königlichen Leibarzt erhobene Professor Carus, der neben seinen bedeut¬
samen medicinischen und psychologische,: Studien auch für Poesie, Musik und
Malerei lebhaftes Interesse bewies; in der letzteren, besonders in der Landschafts¬
malerei, für die er in seinen Landschaftsbriefen den Ausdruck "Erdlebenbildkunst"
vorschlug, war rr sehr productiv, und manche seiner Bilder sind sogar in öffent¬
liche Sammlungen übergegangen. Vom "Liederkreis" hielt er, der Kenner, Ver¬
ehrer und Freund Goethes, sich ganz fern, was übrigens nicht ausschloß, daß


Dresdener Zustände in den Jahren ^31^5 bis ^330.

folgte er den Vorstellungen keineswegs immer mit der nöthigen Aufmerksamkeit;
ja wenn er so nach seiner Art mit zugekniffenen Augen zuhörte, wollte man sogar
behaupten, daß er zuweilen schlafe, Einst saß er im Theater neben der schon ältern
Schauspielerin Hartwig, Eine andre, Schirmer mit Namen, spielte eine Rolle, worin
jene früher viel Glück gemacht hatte. Den Kopf nach ihrer Seite wendend und
seine Hände nach der andern, flüsterte er ihr zu, als die Schauspielerin abging:
„Lange, lange keine Hartwig!" applaudirte aber dabei immer aufs kräftigste.
Auch ein allzeit fertiger Redner war er, und oft brachte er bei den Freuden
der Tafel sinnige Trinksprüche aus. Einmal spielte ihm dabei seine große Kurz¬
sichtigkeit einen üblen Streich. Bei der Feier des Geburtstages der eben ge¬
nannten Schauspielerin Hartwig hob er bei Tafel deren Verdienste um die Schau¬
spielkunst sinnreich hervor. Dabei nahm er aus einer ihm nahestehenden Vase
eine Rose und verglich damit die Gefeierte. Seine Blindheit ließ ihn aber nicht
erkennen, daß die schon halbverwelkte Blume sich während seiner Rede mehr und
mehr entblätterte. Am Schlüsse reichte er sie der Künstlerin als Sinnbild, und
diese empfing die entblätterte Rose lachend mit den Worten: „Lieber Böttiger,
ich habe mich stets Ihrer Gunst zu erfreuen gehabt, aber heute erst ist mir klar
geworden, wie sehr die Liebe blind machen kann." Darauf brach lauter Jubel
los, und das Peinliche der Situation war gehoben.

Neben den Männern des „Liederkreises" gab es aber damals noch manche
andre in Dresdens Mauern, die sich mit literarischen Dingen beschäftigten. Zu
ihnen gehört vor allen Friedrich Laun, der einst vielgelesene Romane von hei¬
terem Charakter und drei Bändchen noch heute lesenswerther Memoiren hinter¬
lassen hat, und der, im Jahre 1770 geboren, seiner Wohnung gegenüber die
grünenden und mit Bäumen durchwachsenen, von Eidechsen, Fledermäusen und
Eulen bewohnten Trümmer mehrerer im siebenjährigen Kriege abgebrannter
Häuser noch jahrelang vor Augen sah; ferner Oberst von Witzleben, der unter
dem Namen Tromlitz eine große schriftstellerische Fruchtbarkeit entfaltete, der
Artilleriehauptmann O. Schilling, dessen Werke in der Gesammtnnsgabe, welche
von 1810 — 1822 erschien, fünfzig Bände füllen, und seit 182V längere Zeit
Fanny Tarnow, welche erst 1862 in Dessau starb und in deren zahlreichen
Romanen unglückliche Liebe und Entsagung eine Hauptrolle spielen. Ganz be¬
sonders hervorzuheben ist — wenn auch nicht eben in dieser Reihe — der 1814
von Leipzig an die Dresdener chirurgisch-medicinische Academie berufne, seit 1827
zum königlichen Leibarzt erhobene Professor Carus, der neben seinen bedeut¬
samen medicinischen und psychologische,: Studien auch für Poesie, Musik und
Malerei lebhaftes Interesse bewies; in der letzteren, besonders in der Landschafts¬
malerei, für die er in seinen Landschaftsbriefen den Ausdruck „Erdlebenbildkunst"
vorschlug, war rr sehr productiv, und manche seiner Bilder sind sogar in öffent¬
liche Sammlungen übergegangen. Vom „Liederkreis" hielt er, der Kenner, Ver¬
ehrer und Freund Goethes, sich ganz fern, was übrigens nicht ausschloß, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/454>, abgerufen am 01.09.2024.