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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dresdener Zustünde in den Jahren ^31^5 bis ^830,

kränz hinter ihrem Stuhl verborgen halte, um ihn gleich bei der Hand zu habe".
Lieber hätte er Tabaksrauch eingeathmet, als im ,,Liederkreis" vorlesen hören. Und
doch haßte er diesen, wie man in seinem "Phantasus" lesen kann, gründlich. Mit
Förster jedoch war auch er in Freundschaft verbunden, und mit Böttiger, der
ihm seine Angriffe nicht sehr übel genommen hatte, verkam er ebenfalls recht wohl.

Durch diesen Zusammenfluß einheimischer und fremder, größerer und ge¬
ringerer Talente mußte Dresden bald als einer der Hauptsitze der zeitgenössischen
Poesie und Kunst erscheinen, und wenn wir bedenken, daß Tieck, der Altmeister
der Romantik, der das Zauberwort derselben, "Waldeinsamkeit," geprägt hatte
und von dem ihre Parole ausgegangen war:


Moudbegläuzte Zaubernacht,
Die den Sinu gefangen hält,
Wunderbare Märchenwelt,
Steig' herauf in deiner Pracht --

neben Weber stand, der in seinem "Freischütz" und seiner "Preciosa" rechte Wald-
liedcr der Romantik schuf und auch in seinen andern Opern, im "Oberon" und in der
"Euryauthe," gar wundersam romantische Töne erklingen ließ, wenn wir ferner
bedenken, daß Graf Loben sich in seinen Dichtungen Novalis zum Muster nahm,
daß Kühn und Förster romantische Dichter durch ihre Uebersetzungen in die deutsche
Literatur einbürgerten, so begreift man, daß die allerdings schon im Absterben
begriffene Romantik in Dresden noch einen Nachsommer feierte. Jedenfalls kam
hier die Doctrin dieser Schule, wonach die Poesie den Mittel- und Vermittelungs¬
punkt des Lebens ohne Trennung von Kunst und Wissenschaft bilden sollte, da¬
mals zu einer wenn auch abgeblaßten praktischen Geltung, und der gesellige Ver¬
kehr richtete sich darnach.

Wie gestaltete sich nun dieser Verkehr? -- Des Morgens fand man sich etwa
auf der Bildergallerie zusammen; man stand vor der Sixtinischen Madonna,
vor dem Zinsgroschen Titians oder vor der Kreuztragung Paul Vervneses und
tauschte seine Ansichten über diese Meisterwerke aus. Tieck trachtete besonders
andre in die Wunderwelt Correggios einzuführen und gab manchen Wink zum
Verständniß dieses Künstlers, den er Raphael fast gleich schätzte. Ebenso war
Quandt ein unterrichteter und interessanter Begleiter durch die Schätze der Gallerie.
Man brachte wohl auch Fremde mit, wenigstens wunderte man sich sehr, daß
Jean Paul, als er 1822 in Dresden weilte, nicht auf die Gallerie gehen wollte,
sondern sagte: "Ich sehe von den besten Werken überall Copien, und so läßt
sich jenes entbehren."

Von der Gallerie eilte man in die Ateliers lebender Künstler, vielleicht
in das Kerstings, eines trefflichen, vielfach auch drolligen Mannes, der unter
Lützow sich als Oberjäger bei Lüneburg das eiserne Kreuz erfochten hatte und
dann wieder zu seiner alten Freundin, der Kunst, zurückgekehrt war, seine krie¬
gerischen Erlebnisse theilweise künstlerisch gestaltend, oder in das des gedenken-


Dresdener Zustünde in den Jahren ^31^5 bis ^830,

kränz hinter ihrem Stuhl verborgen halte, um ihn gleich bei der Hand zu habe».
Lieber hätte er Tabaksrauch eingeathmet, als im ,,Liederkreis" vorlesen hören. Und
doch haßte er diesen, wie man in seinem „Phantasus" lesen kann, gründlich. Mit
Förster jedoch war auch er in Freundschaft verbunden, und mit Böttiger, der
ihm seine Angriffe nicht sehr übel genommen hatte, verkam er ebenfalls recht wohl.

Durch diesen Zusammenfluß einheimischer und fremder, größerer und ge¬
ringerer Talente mußte Dresden bald als einer der Hauptsitze der zeitgenössischen
Poesie und Kunst erscheinen, und wenn wir bedenken, daß Tieck, der Altmeister
der Romantik, der das Zauberwort derselben, „Waldeinsamkeit," geprägt hatte
und von dem ihre Parole ausgegangen war:


Moudbegläuzte Zaubernacht,
Die den Sinu gefangen hält,
Wunderbare Märchenwelt,
Steig' herauf in deiner Pracht —

neben Weber stand, der in seinem „Freischütz" und seiner „Preciosa" rechte Wald-
liedcr der Romantik schuf und auch in seinen andern Opern, im „Oberon" und in der
„Euryauthe," gar wundersam romantische Töne erklingen ließ, wenn wir ferner
bedenken, daß Graf Loben sich in seinen Dichtungen Novalis zum Muster nahm,
daß Kühn und Förster romantische Dichter durch ihre Uebersetzungen in die deutsche
Literatur einbürgerten, so begreift man, daß die allerdings schon im Absterben
begriffene Romantik in Dresden noch einen Nachsommer feierte. Jedenfalls kam
hier die Doctrin dieser Schule, wonach die Poesie den Mittel- und Vermittelungs¬
punkt des Lebens ohne Trennung von Kunst und Wissenschaft bilden sollte, da¬
mals zu einer wenn auch abgeblaßten praktischen Geltung, und der gesellige Ver¬
kehr richtete sich darnach.

Wie gestaltete sich nun dieser Verkehr? — Des Morgens fand man sich etwa
auf der Bildergallerie zusammen; man stand vor der Sixtinischen Madonna,
vor dem Zinsgroschen Titians oder vor der Kreuztragung Paul Vervneses und
tauschte seine Ansichten über diese Meisterwerke aus. Tieck trachtete besonders
andre in die Wunderwelt Correggios einzuführen und gab manchen Wink zum
Verständniß dieses Künstlers, den er Raphael fast gleich schätzte. Ebenso war
Quandt ein unterrichteter und interessanter Begleiter durch die Schätze der Gallerie.
Man brachte wohl auch Fremde mit, wenigstens wunderte man sich sehr, daß
Jean Paul, als er 1822 in Dresden weilte, nicht auf die Gallerie gehen wollte,
sondern sagte: „Ich sehe von den besten Werken überall Copien, und so läßt
sich jenes entbehren."

Von der Gallerie eilte man in die Ateliers lebender Künstler, vielleicht
in das Kerstings, eines trefflichen, vielfach auch drolligen Mannes, der unter
Lützow sich als Oberjäger bei Lüneburg das eiserne Kreuz erfochten hatte und
dann wieder zu seiner alten Freundin, der Kunst, zurückgekehrt war, seine krie¬
gerischen Erlebnisse theilweise künstlerisch gestaltend, oder in das des gedenken-


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[0456] Dresdener Zustünde in den Jahren ^31^5 bis ^830, kränz hinter ihrem Stuhl verborgen halte, um ihn gleich bei der Hand zu habe». Lieber hätte er Tabaksrauch eingeathmet, als im ,,Liederkreis" vorlesen hören. Und doch haßte er diesen, wie man in seinem „Phantasus" lesen kann, gründlich. Mit Förster jedoch war auch er in Freundschaft verbunden, und mit Böttiger, der ihm seine Angriffe nicht sehr übel genommen hatte, verkam er ebenfalls recht wohl. Durch diesen Zusammenfluß einheimischer und fremder, größerer und ge¬ ringerer Talente mußte Dresden bald als einer der Hauptsitze der zeitgenössischen Poesie und Kunst erscheinen, und wenn wir bedenken, daß Tieck, der Altmeister der Romantik, der das Zauberwort derselben, „Waldeinsamkeit," geprägt hatte und von dem ihre Parole ausgegangen war: Moudbegläuzte Zaubernacht, Die den Sinu gefangen hält, Wunderbare Märchenwelt, Steig' herauf in deiner Pracht — neben Weber stand, der in seinem „Freischütz" und seiner „Preciosa" rechte Wald- liedcr der Romantik schuf und auch in seinen andern Opern, im „Oberon" und in der „Euryauthe," gar wundersam romantische Töne erklingen ließ, wenn wir ferner bedenken, daß Graf Loben sich in seinen Dichtungen Novalis zum Muster nahm, daß Kühn und Förster romantische Dichter durch ihre Uebersetzungen in die deutsche Literatur einbürgerten, so begreift man, daß die allerdings schon im Absterben begriffene Romantik in Dresden noch einen Nachsommer feierte. Jedenfalls kam hier die Doctrin dieser Schule, wonach die Poesie den Mittel- und Vermittelungs¬ punkt des Lebens ohne Trennung von Kunst und Wissenschaft bilden sollte, da¬ mals zu einer wenn auch abgeblaßten praktischen Geltung, und der gesellige Ver¬ kehr richtete sich darnach. Wie gestaltete sich nun dieser Verkehr? — Des Morgens fand man sich etwa auf der Bildergallerie zusammen; man stand vor der Sixtinischen Madonna, vor dem Zinsgroschen Titians oder vor der Kreuztragung Paul Vervneses und tauschte seine Ansichten über diese Meisterwerke aus. Tieck trachtete besonders andre in die Wunderwelt Correggios einzuführen und gab manchen Wink zum Verständniß dieses Künstlers, den er Raphael fast gleich schätzte. Ebenso war Quandt ein unterrichteter und interessanter Begleiter durch die Schätze der Gallerie. Man brachte wohl auch Fremde mit, wenigstens wunderte man sich sehr, daß Jean Paul, als er 1822 in Dresden weilte, nicht auf die Gallerie gehen wollte, sondern sagte: „Ich sehe von den besten Werken überall Copien, und so läßt sich jenes entbehren." Von der Gallerie eilte man in die Ateliers lebender Künstler, vielleicht in das Kerstings, eines trefflichen, vielfach auch drolligen Mannes, der unter Lützow sich als Oberjäger bei Lüneburg das eiserne Kreuz erfochten hatte und dann wieder zu seiner alten Freundin, der Kunst, zurückgekehrt war, seine krie¬ gerischen Erlebnisse theilweise künstlerisch gestaltend, oder in das des gedenken-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/456>, abgerufen am 25.11.2024.