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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Dresdener Zustände in den Jahren 1,8^5 bis ^830.

lyrischen Gedichte waren geschätzt; wurde doch noch im Jahre 1878 eine Stelle
ans einem derselben in den Zeitungen niemand anders als Goethe zugeschrieben,
die schönen, oft als Grabschrift benutzten Verse nämlich:


Was vergangen, kehrt nicht wieder,
Aber ging es leuchtend nieder,
Leuchtet's lange noch zurück.

Seine hinterlassenen von seiner Gattin herausgegebenen Tagebuchblätter bilden
eine reiche Quelle für die literarischen Zustände Dresdens in diesen Jahren.
Eduard Gehe ist wohl nur noch als Dichter des Textes zu der von Spohr,
welcher damals einige Zeit in Dresden sich aufhielt, componirter Oper "Jessondn"
bekannt; Advocat Kühn durch seine Uebersetzung von Camoens' Lusiade. Pro¬
fessor Hasse am Cadettenhause, Legationsrath Breuer und etliche andre machten
keinen Anspruch als Dichter zu gelten, und so dürfte, um die kurze Revue der
Mitglieder des "Liederkreises" zu beenden, nnr noch ein Wort über den Hof¬
rath Böttiger zu sagen sein, der in das ganze damalige literarische Leben tief
verflochten ist. Von Weimar, wo er Gymnasialdirector und Obercvnststorial-
rath gewesen war und mit den Heroen unsrer Literatur in lebhaftem Verkehr
wovon z. B. sein Briefwechsel mit Goethe wie mit Schiller zeugt --, mit
Wieland in freundschaftlichsten Verhältniß gestanden hatte, war er 1803 als
Studicndirector des Pageninstituts nach Dresden berufen worden. Als dasselbe
1814 mit dem Cadettencorps vereinigt wurde, ging er an dieses über und wirkte
dort noch bis 1821. Dann wurde er bei einer Reorganisation desselben pen-
sionirt und blieb nur als Oberaufseher eines Theils der königlichen Sammlungen
im Staatsdienste thätig. Er galt als einer der gelehrtesten Männer, besonders
in philologischen und archäologischen Dingen, und war mit seiner Gelehrsamkeit
nicht geizig. Es sei, wurde gesagt, ganz unmöglich, auch mir wenige Minuten
lang mit ihm zu verkehren, ohne irgend etwas gelernt oder einen dankenswerthen
Dienst von ihm empfangen zu haben. So stand er denn auch mit den Ge¬
lehrten halb Europas in lebhaftem Briefwechsel; wenigstens 20,000 an ihn ge¬
richtete Briefe hat er hinterlassen. Durch sein Streben aber, überall gefällig
M sein, beging er manche Tactlosigkeit und Indiscretion, so daß man ihn in
Weimar nicht ungern scheiden sah; wenigstens Schiller schrieb bei Gelegenheit
seiner Uebersiedlung nach Dresden an seinen Freund Körner: "Zu Eurer neuen
Acquisition gratulire ich -- uns. Gott sei Dank, daß wir diesen schlimmen Gast
wdlich los sind, und möge er Euch gut bekommen." Als er nach Dresden be¬
Ulfen ward, hatte er eben seine "Sabina oder Morgenscenen im Putzzimmer
einer reichen Römerin" vollendet und ward nun ein eifriger Mitarbeiter an der
"Abendzeitung," in welcher er die Aufführungen des Theaters besprach. In
diesen Recensionen lobte er, um bei niemand anzustoßen, fast überschwenglich, und
^lbst für die Statisten hatte er bisweilen ein anerkennendes Wort. Thatsächlich


Dresdener Zustände in den Jahren 1,8^5 bis ^830.

lyrischen Gedichte waren geschätzt; wurde doch noch im Jahre 1878 eine Stelle
ans einem derselben in den Zeitungen niemand anders als Goethe zugeschrieben,
die schönen, oft als Grabschrift benutzten Verse nämlich:


Was vergangen, kehrt nicht wieder,
Aber ging es leuchtend nieder,
Leuchtet's lange noch zurück.

Seine hinterlassenen von seiner Gattin herausgegebenen Tagebuchblätter bilden
eine reiche Quelle für die literarischen Zustände Dresdens in diesen Jahren.
Eduard Gehe ist wohl nur noch als Dichter des Textes zu der von Spohr,
welcher damals einige Zeit in Dresden sich aufhielt, componirter Oper „Jessondn"
bekannt; Advocat Kühn durch seine Uebersetzung von Camoens' Lusiade. Pro¬
fessor Hasse am Cadettenhause, Legationsrath Breuer und etliche andre machten
keinen Anspruch als Dichter zu gelten, und so dürfte, um die kurze Revue der
Mitglieder des „Liederkreises" zu beenden, nnr noch ein Wort über den Hof¬
rath Böttiger zu sagen sein, der in das ganze damalige literarische Leben tief
verflochten ist. Von Weimar, wo er Gymnasialdirector und Obercvnststorial-
rath gewesen war und mit den Heroen unsrer Literatur in lebhaftem Verkehr
wovon z. B. sein Briefwechsel mit Goethe wie mit Schiller zeugt —, mit
Wieland in freundschaftlichsten Verhältniß gestanden hatte, war er 1803 als
Studicndirector des Pageninstituts nach Dresden berufen worden. Als dasselbe
1814 mit dem Cadettencorps vereinigt wurde, ging er an dieses über und wirkte
dort noch bis 1821. Dann wurde er bei einer Reorganisation desselben pen-
sionirt und blieb nur als Oberaufseher eines Theils der königlichen Sammlungen
im Staatsdienste thätig. Er galt als einer der gelehrtesten Männer, besonders
in philologischen und archäologischen Dingen, und war mit seiner Gelehrsamkeit
nicht geizig. Es sei, wurde gesagt, ganz unmöglich, auch mir wenige Minuten
lang mit ihm zu verkehren, ohne irgend etwas gelernt oder einen dankenswerthen
Dienst von ihm empfangen zu haben. So stand er denn auch mit den Ge¬
lehrten halb Europas in lebhaftem Briefwechsel; wenigstens 20,000 an ihn ge¬
richtete Briefe hat er hinterlassen. Durch sein Streben aber, überall gefällig
M sein, beging er manche Tactlosigkeit und Indiscretion, so daß man ihn in
Weimar nicht ungern scheiden sah; wenigstens Schiller schrieb bei Gelegenheit
seiner Uebersiedlung nach Dresden an seinen Freund Körner: „Zu Eurer neuen
Acquisition gratulire ich — uns. Gott sei Dank, daß wir diesen schlimmen Gast
wdlich los sind, und möge er Euch gut bekommen." Als er nach Dresden be¬
Ulfen ward, hatte er eben seine „Sabina oder Morgenscenen im Putzzimmer
einer reichen Römerin" vollendet und ward nun ein eifriger Mitarbeiter an der
"Abendzeitung," in welcher er die Aufführungen des Theaters besprach. In
diesen Recensionen lobte er, um bei niemand anzustoßen, fast überschwenglich, und
^lbst für die Statisten hatte er bisweilen ein anerkennendes Wort. Thatsächlich


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[0453] Dresdener Zustände in den Jahren 1,8^5 bis ^830. lyrischen Gedichte waren geschätzt; wurde doch noch im Jahre 1878 eine Stelle ans einem derselben in den Zeitungen niemand anders als Goethe zugeschrieben, die schönen, oft als Grabschrift benutzten Verse nämlich: Was vergangen, kehrt nicht wieder, Aber ging es leuchtend nieder, Leuchtet's lange noch zurück. Seine hinterlassenen von seiner Gattin herausgegebenen Tagebuchblätter bilden eine reiche Quelle für die literarischen Zustände Dresdens in diesen Jahren. Eduard Gehe ist wohl nur noch als Dichter des Textes zu der von Spohr, welcher damals einige Zeit in Dresden sich aufhielt, componirter Oper „Jessondn" bekannt; Advocat Kühn durch seine Uebersetzung von Camoens' Lusiade. Pro¬ fessor Hasse am Cadettenhause, Legationsrath Breuer und etliche andre machten keinen Anspruch als Dichter zu gelten, und so dürfte, um die kurze Revue der Mitglieder des „Liederkreises" zu beenden, nnr noch ein Wort über den Hof¬ rath Böttiger zu sagen sein, der in das ganze damalige literarische Leben tief verflochten ist. Von Weimar, wo er Gymnasialdirector und Obercvnststorial- rath gewesen war und mit den Heroen unsrer Literatur in lebhaftem Verkehr wovon z. B. sein Briefwechsel mit Goethe wie mit Schiller zeugt —, mit Wieland in freundschaftlichsten Verhältniß gestanden hatte, war er 1803 als Studicndirector des Pageninstituts nach Dresden berufen worden. Als dasselbe 1814 mit dem Cadettencorps vereinigt wurde, ging er an dieses über und wirkte dort noch bis 1821. Dann wurde er bei einer Reorganisation desselben pen- sionirt und blieb nur als Oberaufseher eines Theils der königlichen Sammlungen im Staatsdienste thätig. Er galt als einer der gelehrtesten Männer, besonders in philologischen und archäologischen Dingen, und war mit seiner Gelehrsamkeit nicht geizig. Es sei, wurde gesagt, ganz unmöglich, auch mir wenige Minuten lang mit ihm zu verkehren, ohne irgend etwas gelernt oder einen dankenswerthen Dienst von ihm empfangen zu haben. So stand er denn auch mit den Ge¬ lehrten halb Europas in lebhaftem Briefwechsel; wenigstens 20,000 an ihn ge¬ richtete Briefe hat er hinterlassen. Durch sein Streben aber, überall gefällig M sein, beging er manche Tactlosigkeit und Indiscretion, so daß man ihn in Weimar nicht ungern scheiden sah; wenigstens Schiller schrieb bei Gelegenheit seiner Uebersiedlung nach Dresden an seinen Freund Körner: „Zu Eurer neuen Acquisition gratulire ich — uns. Gott sei Dank, daß wir diesen schlimmen Gast wdlich los sind, und möge er Euch gut bekommen." Als er nach Dresden be¬ Ulfen ward, hatte er eben seine „Sabina oder Morgenscenen im Putzzimmer einer reichen Römerin" vollendet und ward nun ein eifriger Mitarbeiter an der "Abendzeitung," in welcher er die Aufführungen des Theaters besprach. In diesen Recensionen lobte er, um bei niemand anzustoßen, fast überschwenglich, und ^lbst für die Statisten hatte er bisweilen ein anerkennendes Wort. Thatsächlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/453>, abgerufen am 01.09.2024.