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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

Nicht minder wichtig war die Anerkennung, die Shakespeare in der En
cyclopädie fand. Ueberhaupt sprach sich Diderot stets nur für Shakespeare aus,
wie er z. B. später Lctourneur gegen Grimm in Schutz nahm. Daß der er¬
bittertste Gegner Voltaires, Frvrou, sich gleichfalls für Shakespeare erklärte,
hat zwar nur geringe moralische Bedeutung, wirkte aber doch mit. Zu diesem
allen kam der Enthusiasmus, welchen der große Schauspieler Garrick schon
länger für Shakespeare in England wieder von der Bühne herab erregte und
welcher ebenso wie die Begeisterung der neuesten englischen Beurtheiler des
Dichters nach Frankreich hcrüberdrang. Das Urtheil des besonnenen Johnson:
"Alle die, welche Shakespeare die große Natur und die Superioritcit des Geistes
abzusprechen vermögen, können nur kleine Geister sein," mußte einen Mann wie
Voltaire, der sich für den Gesetzgeber des Geschmacks von ganz Europa hielt,
aufs tiefste verletzen. Auch mochte er fürchten, von dem zunehmenden Glänze
des britischen Dichters zuletzt selber verdunkelt zu werden; und richtig war es
allerdings, daß, wen" mau in Zukunft den Maßstab der Beurtheilung von Shake¬
speare nahm, das ganze classische Drama der Franzosen, das seine mit einge¬
schlossen, in den Hintergrund treten mußte. Die geringen Erfolge, die Voltaire
in letzter Zeit auf der Bühne erzielte, trugen ebenfalls dazu bei, ihn hierin
bedenklich zu machen. Gleichwohl hatte sein wachsender Groll sich bisher nur
gelegentlich in leisem Murren Luft gemacht. Je mehr er ihn aber zurückgedrängt
hatte, um so heftiger sollte er endlich hervorbrechen. In einem Briefe an Horace
Walpole vom 15, Juli 1768 vertheidigt er sich noch gegen das Unrecht, welches
ihm durch die Behauptung zugefügt werde, daß er Shakespeare verachte. Er
zählt alles auf, was er für dessen Verbreitung in Frankreich gethan. Der
Schluß bleibt freilich auch hier, wie immer, derselbe. Seine Tragödien siud ihm
ein Chaos, aus dem nur gelegentlich Hunderte von Lichtern hervorblitzen. Aber
schon der Ah8g.i sur 1s Föniv ot los oerits alö LlliiKösxsarc; von Lady Montague
(1769), die seine Urtheile zu widerlegen versuchte, reizte ihn sehr. Als aber
1776 die neue Uebersetzung der Werke Shakespeares von Letourncur mit einer
diesen über alle französischen Tragiker stellenden Einleitung erschien, hielt er sich
nicht mehr zurück. "Haben Sie -- schreibt er am 19. Juli um d'Argental --
die zwei Bände jenes Elenden gelesen, in denen Shakespeare als das einzige
Muster der wahren Tragödie aufgestellt wird? Er nennt ihn den Gott des
Theaters. Er opfert seinem Ideale alle Franzosen ohne Ausnahme. Er hält
es nicht einmal für der Mühe werth, Corneille, Racine zu nennen. Diese beiden
großen Männer schließt er in die allgemeine Verwerfung mit ein. Giebt es
Wohl einen Haß, der stark genug wäre für diesen schamlosen Tropf? Ist der
Schimpf wohl zu dulden, den er Frankreich zugefügt hat? Das Blut kocht in
meinen alten Adern, da ich davon spreche, denn das Furchtbare ist, daß das
Ungeheuer in Frankreich eine Partei hat und daß ich es gewesen bin, welcher
zuerst von diesem Shakespeare gesprochen, der den Franzosen zuerst einige Perlen


Shakespeare in Frankreich.

Nicht minder wichtig war die Anerkennung, die Shakespeare in der En
cyclopädie fand. Ueberhaupt sprach sich Diderot stets nur für Shakespeare aus,
wie er z. B. später Lctourneur gegen Grimm in Schutz nahm. Daß der er¬
bittertste Gegner Voltaires, Frvrou, sich gleichfalls für Shakespeare erklärte,
hat zwar nur geringe moralische Bedeutung, wirkte aber doch mit. Zu diesem
allen kam der Enthusiasmus, welchen der große Schauspieler Garrick schon
länger für Shakespeare in England wieder von der Bühne herab erregte und
welcher ebenso wie die Begeisterung der neuesten englischen Beurtheiler des
Dichters nach Frankreich hcrüberdrang. Das Urtheil des besonnenen Johnson:
„Alle die, welche Shakespeare die große Natur und die Superioritcit des Geistes
abzusprechen vermögen, können nur kleine Geister sein," mußte einen Mann wie
Voltaire, der sich für den Gesetzgeber des Geschmacks von ganz Europa hielt,
aufs tiefste verletzen. Auch mochte er fürchten, von dem zunehmenden Glänze
des britischen Dichters zuletzt selber verdunkelt zu werden; und richtig war es
allerdings, daß, wen« mau in Zukunft den Maßstab der Beurtheilung von Shake¬
speare nahm, das ganze classische Drama der Franzosen, das seine mit einge¬
schlossen, in den Hintergrund treten mußte. Die geringen Erfolge, die Voltaire
in letzter Zeit auf der Bühne erzielte, trugen ebenfalls dazu bei, ihn hierin
bedenklich zu machen. Gleichwohl hatte sein wachsender Groll sich bisher nur
gelegentlich in leisem Murren Luft gemacht. Je mehr er ihn aber zurückgedrängt
hatte, um so heftiger sollte er endlich hervorbrechen. In einem Briefe an Horace
Walpole vom 15, Juli 1768 vertheidigt er sich noch gegen das Unrecht, welches
ihm durch die Behauptung zugefügt werde, daß er Shakespeare verachte. Er
zählt alles auf, was er für dessen Verbreitung in Frankreich gethan. Der
Schluß bleibt freilich auch hier, wie immer, derselbe. Seine Tragödien siud ihm
ein Chaos, aus dem nur gelegentlich Hunderte von Lichtern hervorblitzen. Aber
schon der Ah8g.i sur 1s Föniv ot los oerits alö LlliiKösxsarc; von Lady Montague
(1769), die seine Urtheile zu widerlegen versuchte, reizte ihn sehr. Als aber
1776 die neue Uebersetzung der Werke Shakespeares von Letourncur mit einer
diesen über alle französischen Tragiker stellenden Einleitung erschien, hielt er sich
nicht mehr zurück. „Haben Sie — schreibt er am 19. Juli um d'Argental —
die zwei Bände jenes Elenden gelesen, in denen Shakespeare als das einzige
Muster der wahren Tragödie aufgestellt wird? Er nennt ihn den Gott des
Theaters. Er opfert seinem Ideale alle Franzosen ohne Ausnahme. Er hält
es nicht einmal für der Mühe werth, Corneille, Racine zu nennen. Diese beiden
großen Männer schließt er in die allgemeine Verwerfung mit ein. Giebt es
Wohl einen Haß, der stark genug wäre für diesen schamlosen Tropf? Ist der
Schimpf wohl zu dulden, den er Frankreich zugefügt hat? Das Blut kocht in
meinen alten Adern, da ich davon spreche, denn das Furchtbare ist, daß das
Ungeheuer in Frankreich eine Partei hat und daß ich es gewesen bin, welcher
zuerst von diesem Shakespeare gesprochen, der den Franzosen zuerst einige Perlen


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[0343] Shakespeare in Frankreich. Nicht minder wichtig war die Anerkennung, die Shakespeare in der En cyclopädie fand. Ueberhaupt sprach sich Diderot stets nur für Shakespeare aus, wie er z. B. später Lctourneur gegen Grimm in Schutz nahm. Daß der er¬ bittertste Gegner Voltaires, Frvrou, sich gleichfalls für Shakespeare erklärte, hat zwar nur geringe moralische Bedeutung, wirkte aber doch mit. Zu diesem allen kam der Enthusiasmus, welchen der große Schauspieler Garrick schon länger für Shakespeare in England wieder von der Bühne herab erregte und welcher ebenso wie die Begeisterung der neuesten englischen Beurtheiler des Dichters nach Frankreich hcrüberdrang. Das Urtheil des besonnenen Johnson: „Alle die, welche Shakespeare die große Natur und die Superioritcit des Geistes abzusprechen vermögen, können nur kleine Geister sein," mußte einen Mann wie Voltaire, der sich für den Gesetzgeber des Geschmacks von ganz Europa hielt, aufs tiefste verletzen. Auch mochte er fürchten, von dem zunehmenden Glänze des britischen Dichters zuletzt selber verdunkelt zu werden; und richtig war es allerdings, daß, wen« mau in Zukunft den Maßstab der Beurtheilung von Shake¬ speare nahm, das ganze classische Drama der Franzosen, das seine mit einge¬ schlossen, in den Hintergrund treten mußte. Die geringen Erfolge, die Voltaire in letzter Zeit auf der Bühne erzielte, trugen ebenfalls dazu bei, ihn hierin bedenklich zu machen. Gleichwohl hatte sein wachsender Groll sich bisher nur gelegentlich in leisem Murren Luft gemacht. Je mehr er ihn aber zurückgedrängt hatte, um so heftiger sollte er endlich hervorbrechen. In einem Briefe an Horace Walpole vom 15, Juli 1768 vertheidigt er sich noch gegen das Unrecht, welches ihm durch die Behauptung zugefügt werde, daß er Shakespeare verachte. Er zählt alles auf, was er für dessen Verbreitung in Frankreich gethan. Der Schluß bleibt freilich auch hier, wie immer, derselbe. Seine Tragödien siud ihm ein Chaos, aus dem nur gelegentlich Hunderte von Lichtern hervorblitzen. Aber schon der Ah8g.i sur 1s Föniv ot los oerits alö LlliiKösxsarc; von Lady Montague (1769), die seine Urtheile zu widerlegen versuchte, reizte ihn sehr. Als aber 1776 die neue Uebersetzung der Werke Shakespeares von Letourncur mit einer diesen über alle französischen Tragiker stellenden Einleitung erschien, hielt er sich nicht mehr zurück. „Haben Sie — schreibt er am 19. Juli um d'Argental — die zwei Bände jenes Elenden gelesen, in denen Shakespeare als das einzige Muster der wahren Tragödie aufgestellt wird? Er nennt ihn den Gott des Theaters. Er opfert seinem Ideale alle Franzosen ohne Ausnahme. Er hält es nicht einmal für der Mühe werth, Corneille, Racine zu nennen. Diese beiden großen Männer schließt er in die allgemeine Verwerfung mit ein. Giebt es Wohl einen Haß, der stark genug wäre für diesen schamlosen Tropf? Ist der Schimpf wohl zu dulden, den er Frankreich zugefügt hat? Das Blut kocht in meinen alten Adern, da ich davon spreche, denn das Furchtbare ist, daß das Ungeheuer in Frankreich eine Partei hat und daß ich es gewesen bin, welcher zuerst von diesem Shakespeare gesprochen, der den Franzosen zuerst einige Perlen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/343>, abgerufen am 01.09.2024.