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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

gezeigt, die ich in diesem ungeheuren Misthaufen fand? Ich ahnte es nicht, hier¬
durch die Ursache zu werden, daß man Corneille und Racine die Krone vom
Haupte reißt, um die Stirne eines barbarischen Histrionen damit zu schmucken."

Man wird an der Wahrheit des hier entwickelten Pathos nicht zweifeln
dürfen. Aber wenn es Voltaire auch nicht bloß um die Ehre Frankreichs und
den Dichterruhm Corneilles und Raeines zu thun gewesen wäre, sondern es
sich ihm dabei mehr als um ihren, um den eignen gehandelt hätte, würde man
es ihm verargen können, das so lange gefeierte und nun auf einmal bedrohte
Werk eines langen Lebens mit aller Kraft zu vertheidigen? Nicht, daß er die
Waffen dazu ergriff, wird man hier anklagen müssen, wohl aber wie er
sie führte.

In einem nur fünf Tage spätern Brief an d'Argental, in welchem er klagt:
"Ich sehe das Reich der Verminst und des Geschmacks untergehen. Ich werde
sterben und Frankreich der Barbarei überlasse" müssen. Zum Glück aber leben
Sie und ich hoffe, daß die Königin ihr neues Vaterland, dessen Zierde sie ist,
nicht den Wilden und Ungeheuern zur Beute überlassen wird" kündigt er bereits
eine kleine Schrift an die Akademie an, "durch die er, ehe er sterbe, die Fran¬
zosen zu rächen gedenke." Schon am 26. ging sein "Factum gegen Gilles Shake¬
speare und Pierrot Letourneur," wie er sie nannte, an den Secretär derselben,
d'Alembert, ab. "Ihre Betrachtungen über Shakespeare -- antwortet ihm dieser --
sind uns sehr interessant für die Literatur ini allgemeinen erschienen und so
wichtig für die Aufrechterhaltung des Geschmacks in der französischen, daß das
Publikum die Vorlesung derselben in der für den 25. August anberaumten
Sitzung, bei welcher die Preisvertheilung stattfinden soll, mit Vergnügen an¬
hören wird. Nur könnten Sie statt der aus Shakespeare angeführten Geniein¬
heiten, die öffentlich völlig unlesbar sind, leicht einige andre lächerliche, doch les¬
bare Stellen, an denen es nicht fehlen wird, ausziehen. Ueberhaupt können
Sie Ihrer Abhandlung noch hinzufügen, was sie pikanter zu machen verspricht,
obwohl sie dies auch jetzt schon genug ist." Voltaire schlug jedoch ein noch
besseres Auskunftsmittel vor: "Wäre es nicht gut -- schreibt er zurück --, an
jenen bedenklichen Stellen nur etwas innezuhalten und die Worte nicht auszu¬
sprechen, so daß dem Publikum gerade der Wunsch rege würde, den göttlichen
Shakespeare in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit, in seiner unglaublichen Gemein¬
heit kennen zu lernen?" In einem um einige Tage spätem Briefe heißt es:
"Mr. d'Alembert wird das Publikum benachrichtigen, daß er nicht alles beim
rechten Namen zu nennen wagt, was den ehrbaren Shakespeare in seiner vollen
Kraft iind Stärke erscheinen lassen würde. Ich glaube, daß diese Enthaltsamkeit
der Versammlung gefallen und man sich noch schlimmeres denken wird,
als was man verschweigt." "Endlich -- schreibt er am 20. August all,
d'Alembert -- endlich, mein theurer Meister, ist die Schlacht im Gange und
das Signal gegeben. Entweder muß Shakespeare oder Racine auf dem Platze


Shakespeare in Frankreich.

gezeigt, die ich in diesem ungeheuren Misthaufen fand? Ich ahnte es nicht, hier¬
durch die Ursache zu werden, daß man Corneille und Racine die Krone vom
Haupte reißt, um die Stirne eines barbarischen Histrionen damit zu schmucken."

Man wird an der Wahrheit des hier entwickelten Pathos nicht zweifeln
dürfen. Aber wenn es Voltaire auch nicht bloß um die Ehre Frankreichs und
den Dichterruhm Corneilles und Raeines zu thun gewesen wäre, sondern es
sich ihm dabei mehr als um ihren, um den eignen gehandelt hätte, würde man
es ihm verargen können, das so lange gefeierte und nun auf einmal bedrohte
Werk eines langen Lebens mit aller Kraft zu vertheidigen? Nicht, daß er die
Waffen dazu ergriff, wird man hier anklagen müssen, wohl aber wie er
sie führte.

In einem nur fünf Tage spätern Brief an d'Argental, in welchem er klagt:
„Ich sehe das Reich der Verminst und des Geschmacks untergehen. Ich werde
sterben und Frankreich der Barbarei überlasse» müssen. Zum Glück aber leben
Sie und ich hoffe, daß die Königin ihr neues Vaterland, dessen Zierde sie ist,
nicht den Wilden und Ungeheuern zur Beute überlassen wird" kündigt er bereits
eine kleine Schrift an die Akademie an, „durch die er, ehe er sterbe, die Fran¬
zosen zu rächen gedenke." Schon am 26. ging sein „Factum gegen Gilles Shake¬
speare und Pierrot Letourneur," wie er sie nannte, an den Secretär derselben,
d'Alembert, ab. „Ihre Betrachtungen über Shakespeare — antwortet ihm dieser —
sind uns sehr interessant für die Literatur ini allgemeinen erschienen und so
wichtig für die Aufrechterhaltung des Geschmacks in der französischen, daß das
Publikum die Vorlesung derselben in der für den 25. August anberaumten
Sitzung, bei welcher die Preisvertheilung stattfinden soll, mit Vergnügen an¬
hören wird. Nur könnten Sie statt der aus Shakespeare angeführten Geniein¬
heiten, die öffentlich völlig unlesbar sind, leicht einige andre lächerliche, doch les¬
bare Stellen, an denen es nicht fehlen wird, ausziehen. Ueberhaupt können
Sie Ihrer Abhandlung noch hinzufügen, was sie pikanter zu machen verspricht,
obwohl sie dies auch jetzt schon genug ist." Voltaire schlug jedoch ein noch
besseres Auskunftsmittel vor: „Wäre es nicht gut — schreibt er zurück —, an
jenen bedenklichen Stellen nur etwas innezuhalten und die Worte nicht auszu¬
sprechen, so daß dem Publikum gerade der Wunsch rege würde, den göttlichen
Shakespeare in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit, in seiner unglaublichen Gemein¬
heit kennen zu lernen?" In einem um einige Tage spätem Briefe heißt es:
„Mr. d'Alembert wird das Publikum benachrichtigen, daß er nicht alles beim
rechten Namen zu nennen wagt, was den ehrbaren Shakespeare in seiner vollen
Kraft iind Stärke erscheinen lassen würde. Ich glaube, daß diese Enthaltsamkeit
der Versammlung gefallen und man sich noch schlimmeres denken wird,
als was man verschweigt." „Endlich — schreibt er am 20. August all,
d'Alembert — endlich, mein theurer Meister, ist die Schlacht im Gange und
das Signal gegeben. Entweder muß Shakespeare oder Racine auf dem Platze


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[0344] Shakespeare in Frankreich. gezeigt, die ich in diesem ungeheuren Misthaufen fand? Ich ahnte es nicht, hier¬ durch die Ursache zu werden, daß man Corneille und Racine die Krone vom Haupte reißt, um die Stirne eines barbarischen Histrionen damit zu schmucken." Man wird an der Wahrheit des hier entwickelten Pathos nicht zweifeln dürfen. Aber wenn es Voltaire auch nicht bloß um die Ehre Frankreichs und den Dichterruhm Corneilles und Raeines zu thun gewesen wäre, sondern es sich ihm dabei mehr als um ihren, um den eignen gehandelt hätte, würde man es ihm verargen können, das so lange gefeierte und nun auf einmal bedrohte Werk eines langen Lebens mit aller Kraft zu vertheidigen? Nicht, daß er die Waffen dazu ergriff, wird man hier anklagen müssen, wohl aber wie er sie führte. In einem nur fünf Tage spätern Brief an d'Argental, in welchem er klagt: „Ich sehe das Reich der Verminst und des Geschmacks untergehen. Ich werde sterben und Frankreich der Barbarei überlasse» müssen. Zum Glück aber leben Sie und ich hoffe, daß die Königin ihr neues Vaterland, dessen Zierde sie ist, nicht den Wilden und Ungeheuern zur Beute überlassen wird" kündigt er bereits eine kleine Schrift an die Akademie an, „durch die er, ehe er sterbe, die Fran¬ zosen zu rächen gedenke." Schon am 26. ging sein „Factum gegen Gilles Shake¬ speare und Pierrot Letourneur," wie er sie nannte, an den Secretär derselben, d'Alembert, ab. „Ihre Betrachtungen über Shakespeare — antwortet ihm dieser — sind uns sehr interessant für die Literatur ini allgemeinen erschienen und so wichtig für die Aufrechterhaltung des Geschmacks in der französischen, daß das Publikum die Vorlesung derselben in der für den 25. August anberaumten Sitzung, bei welcher die Preisvertheilung stattfinden soll, mit Vergnügen an¬ hören wird. Nur könnten Sie statt der aus Shakespeare angeführten Geniein¬ heiten, die öffentlich völlig unlesbar sind, leicht einige andre lächerliche, doch les¬ bare Stellen, an denen es nicht fehlen wird, ausziehen. Ueberhaupt können Sie Ihrer Abhandlung noch hinzufügen, was sie pikanter zu machen verspricht, obwohl sie dies auch jetzt schon genug ist." Voltaire schlug jedoch ein noch besseres Auskunftsmittel vor: „Wäre es nicht gut — schreibt er zurück —, an jenen bedenklichen Stellen nur etwas innezuhalten und die Worte nicht auszu¬ sprechen, so daß dem Publikum gerade der Wunsch rege würde, den göttlichen Shakespeare in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit, in seiner unglaublichen Gemein¬ heit kennen zu lernen?" In einem um einige Tage spätem Briefe heißt es: „Mr. d'Alembert wird das Publikum benachrichtigen, daß er nicht alles beim rechten Namen zu nennen wagt, was den ehrbaren Shakespeare in seiner vollen Kraft iind Stärke erscheinen lassen würde. Ich glaube, daß diese Enthaltsamkeit der Versammlung gefallen und man sich noch schlimmeres denken wird, als was man verschweigt." „Endlich — schreibt er am 20. August all, d'Alembert — endlich, mein theurer Meister, ist die Schlacht im Gange und das Signal gegeben. Entweder muß Shakespeare oder Racine auf dem Platze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/344>, abgerufen am 24.11.2024.