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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

Othello hin. Er hebt sogar einzelne Stellen in Uebersetzungen aus. Zuerst
d.en berühmten Monolog Hamlets, den er sehr hoch stellt und sowohl in freier
Uebertragung, als im wörtlichen giebt. "Man nehme die Übertragung --
fügt er mit, wenn auch nur scheinbarer, Bescheidenheit hinzu -- aus Rücksicht
auf das Original nachsichtig auf. Man bedenke, daß es nur eine schwache Nach¬
bildung eines schönen Gemäldes ist." Auf die Verbreitung, welche jetzt wenigstens
dieses Stück schon in Frankreich gehabt zu haben scheint, weist aber die Stelle
hin: "Ich habe zuerst den Monolog aus Hamlet gewählt, den alle Welt
kennt." Die Tragödie "Cato" von Addison veranlaßte ihn aber zu folgender
Betrachtung: "Die Gewohnheit, die Liebe wohl oder übel in den Tragödien
einzuführen, übertrug sich um 1660 mit unsren Bändern und Perrücken von
Paris auf London. Die Frauen, die dort wie hier die Theater schmücken,
wollen eben von nichts anderen als von Liebe sprechen hören. Auch Addison
gab, trotz der Strenge seines Charakters, den Sitten der Zeit mit weicher Ge¬
fälligkeit nach und verdarb ein Meisterwerk, nur um ihr zu gefalle". Seitdem
sind die Stücke aber regelmäßiger, das Publikum strenger, die Autoren correcter
und minder ausschweifend geworden. Ich habe unter den neuern englischen
Stücken einige recht verständige gesehen, doch sind sie kalt. Es scheint, daß die
Engländer bis jetzt nur geeignet waren, unregelmäßige Schönheiten hervorzu¬
bringen. Die glänzenden Ungeheuerlichkeiten Shakespeares gefallen tausendmal
besser als die neue Weisheit. Das poetische Genie der Engländer gleicht bis
jetzt einem dichtbelaubten, in freier Natur gewachsenen Baume, der tausend Zweige
weit, wie es der Zufall wollte, getrieben, die wirr, doch voll Kraft durcheinander
gewachsen sind. Er würde absterben, wenn ihr seinen natürlichen Wuchs be¬
schränken und ihn wie die Bäume des Gartens von Marly beschneiden wolltet."

Voltaire hatte keine Ahnung davon, daß diese letzten Worte, welche einen
Tadel einschließen sollten, gerade ein großes Lob enthielten. Er hatte überhaupt
das eigentliche Wesen Shakespeares nur wenig erkannt. Wie sehr er sein Lob
aber auch einschränkte, so war es doch groß genug, um bei dem außerordent¬
lichen Aufsehen, welches die I^sttrss Mlosoxllianvs erregten, die Aufmerksamkeit
ruiner mehr auf das englische Theater und auf Shakespeare hinzulenken.

Dies sollte noch durch das Erscheinen von Voltaires Nord as L!v8M und
sich hieran knüpfende Polemik gesteigert werden. Diese dreiactige Tragödie,
welche, den Inhalt der drei ersten Acte von Shakespeares "Julius Cäsar" in den
Hauptzügen festhaltend, mit dem Tode Cäsars schließt, und in welcher Voltaire die
Schönheiten seines Vorbildes mit den Forderungen und Vorzügen des classischen
Dramas vereinigt zu haben hoffte, wurde am 11. August 1735 im College d'Har-
wurt und, weil sich das lIMtrs traneM ihm so lange verschloß, erst am 20. August
1743 auch auf diesem gegeben. Es erschien 1735 widerrechtlich im Druck. Der
Abbe- Desfontaines, der damals eine große Rolle als Kritiker spielte, hatte ans
Grund dieser vielfach verderbten Ausgabe, obschon Voltaire ihn ans die Miß-


Shakespeare in Frankreich.

Othello hin. Er hebt sogar einzelne Stellen in Uebersetzungen aus. Zuerst
d.en berühmten Monolog Hamlets, den er sehr hoch stellt und sowohl in freier
Uebertragung, als im wörtlichen giebt. „Man nehme die Übertragung —
fügt er mit, wenn auch nur scheinbarer, Bescheidenheit hinzu — aus Rücksicht
auf das Original nachsichtig auf. Man bedenke, daß es nur eine schwache Nach¬
bildung eines schönen Gemäldes ist." Auf die Verbreitung, welche jetzt wenigstens
dieses Stück schon in Frankreich gehabt zu haben scheint, weist aber die Stelle
hin: „Ich habe zuerst den Monolog aus Hamlet gewählt, den alle Welt
kennt." Die Tragödie „Cato" von Addison veranlaßte ihn aber zu folgender
Betrachtung: „Die Gewohnheit, die Liebe wohl oder übel in den Tragödien
einzuführen, übertrug sich um 1660 mit unsren Bändern und Perrücken von
Paris auf London. Die Frauen, die dort wie hier die Theater schmücken,
wollen eben von nichts anderen als von Liebe sprechen hören. Auch Addison
gab, trotz der Strenge seines Charakters, den Sitten der Zeit mit weicher Ge¬
fälligkeit nach und verdarb ein Meisterwerk, nur um ihr zu gefalle». Seitdem
sind die Stücke aber regelmäßiger, das Publikum strenger, die Autoren correcter
und minder ausschweifend geworden. Ich habe unter den neuern englischen
Stücken einige recht verständige gesehen, doch sind sie kalt. Es scheint, daß die
Engländer bis jetzt nur geeignet waren, unregelmäßige Schönheiten hervorzu¬
bringen. Die glänzenden Ungeheuerlichkeiten Shakespeares gefallen tausendmal
besser als die neue Weisheit. Das poetische Genie der Engländer gleicht bis
jetzt einem dichtbelaubten, in freier Natur gewachsenen Baume, der tausend Zweige
weit, wie es der Zufall wollte, getrieben, die wirr, doch voll Kraft durcheinander
gewachsen sind. Er würde absterben, wenn ihr seinen natürlichen Wuchs be¬
schränken und ihn wie die Bäume des Gartens von Marly beschneiden wolltet."

Voltaire hatte keine Ahnung davon, daß diese letzten Worte, welche einen
Tadel einschließen sollten, gerade ein großes Lob enthielten. Er hatte überhaupt
das eigentliche Wesen Shakespeares nur wenig erkannt. Wie sehr er sein Lob
aber auch einschränkte, so war es doch groß genug, um bei dem außerordent¬
lichen Aufsehen, welches die I^sttrss Mlosoxllianvs erregten, die Aufmerksamkeit
ruiner mehr auf das englische Theater und auf Shakespeare hinzulenken.

Dies sollte noch durch das Erscheinen von Voltaires Nord as L!v8M und
sich hieran knüpfende Polemik gesteigert werden. Diese dreiactige Tragödie,
welche, den Inhalt der drei ersten Acte von Shakespeares „Julius Cäsar" in den
Hauptzügen festhaltend, mit dem Tode Cäsars schließt, und in welcher Voltaire die
Schönheiten seines Vorbildes mit den Forderungen und Vorzügen des classischen
Dramas vereinigt zu haben hoffte, wurde am 11. August 1735 im College d'Har-
wurt und, weil sich das lIMtrs traneM ihm so lange verschloß, erst am 20. August
1743 auch auf diesem gegeben. Es erschien 1735 widerrechtlich im Druck. Der
Abbe- Desfontaines, der damals eine große Rolle als Kritiker spielte, hatte ans
Grund dieser vielfach verderbten Ausgabe, obschon Voltaire ihn ans die Miß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/335>, abgerufen am 25.11.2024.