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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Sache der englischen Freihändler, doch hielt er es für gut, bei diesen Bemühungen
anonym zu bleiben. Jetzt scheint er die Zeit für gekommen zu halten, sich mit
Namen zu Präsentiren. Er verrieth immer Neigung, den Diplomaten zu spielen,
und betrachtet sich wohl in Erinnerung an die badische Zeit, wo er bei irgend
jemand, man weiß nicht recht bei wem, wir glauben beim Citoyen Ledrn-Nollin,
en Mission kxtriwräiimirtz war, noch heute als Botschafter z. D. der zukünftigen
deutschen Republik. Daraus entwickelte sich mancherlei Komisches. Im Frühjahr
1864 z. B. kam Garibaldi nach London, wo er beim Herzog von Sutherland
oder genauer gesprochen bei der Herzogin Wohnung nahm; denn dieses Ehepaar
ist eins von denen, bei dem der Mann als Anhängsel seiner Iran Gemahlin
erscheint. Ueber die Erlebnisse und Bewegungen des rothen Generals von der
Ziegcninsel wurde täglich in den Zeitungen eine Art Oourt, Lüroulg-r ausgegeben,
und in demselben war denn auch eines schonen Tages zu lesen, daß Garibaldi bei
Herrn Karl Blind und dieser zwei Stunden später bei jenem "vorgefahren" sei.

Noch erheiternder ist es, zu betrachten, wie Herr Blind sich noch in diesen
letzten Tagen journalistisch als Diplomat geberdete in einer Probe von diplo¬
matischer Korrespondenz, in der er als die reine Lnstspielfigur erscheint. Wir
meinen den Versuch, den er in Lindaus "Gegenwart" (Ur. 28, vom 9. Juli d. I.)
in einem "Tunis und die französische Republik" überschriebncn und mit seinem
Namen gezeichneten Artikel unternommen hat, die Welt über das, was in Nord¬
afrika geschehen ist, und das, was von rechtswegen hätte geschehen sollen, auf¬
zuklären. Dieser Versuch ist allerdings völlig durchsichtig, aber auf zwei Neigungen
des deutschen Fortschrittlers nicht übel berechnet, auf die Neigung zu glauben,
daß jeder, der den Mund recht voll nimmt und eine recht weise Miene macht,
das Geschäft der dentschen Regierung nothwendig besser verstehe als diese selbst,
und die Neigung, sich in sittliche Entrüstung über andre Leute hineinreden zu lassen.
Die zwölf ministeriellen Collegen Blinds, die mit ihm im Cobden-Club sitzen, be¬
finden sich wie in andern Angelegenheiten so auch in Betreff der tunesischen Frage in
einer unbehaglichen Klemme. Auf die Erwerbung von Tunis durch die Franzosen
ließe sich Wort für Wort anwenden, was der Schutzheilige jenes Clubs über
die Eroberung Konstantinopels dnrch die Russen denkt, wenn er'") sagt: "Wir
dürfen getrost annehmen, daß, wenn Rußland sich der Hauptstadt der Türkei
bemächtigte, die Folgen davon wenigstens nicht minder günstig für die Mensch¬
heit und die Civilisation sein würden als die, welche sich vor einem Jahrhundert
aus seineu Eroberungen am Golfe von Finnland entwickelten," was er dann
anmuthig ausmalt. Die englischen Minister haben aber doch nicht den Muth,
das dem britischen Volke vorzutragen, dn dessen Fabrikanten und Kaufleute um
ihren Handel mit Nordafrika besorgt sind. Selber den Franzose" Halt gebieten
wollen sie aber auch nicht, weil die Pariser Presse schon grob geworden ist,



-) Malltts ?olitio-et Britin"" ut liiolmnl HMon, S. 78.
Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Sache der englischen Freihändler, doch hielt er es für gut, bei diesen Bemühungen
anonym zu bleiben. Jetzt scheint er die Zeit für gekommen zu halten, sich mit
Namen zu Präsentiren. Er verrieth immer Neigung, den Diplomaten zu spielen,
und betrachtet sich wohl in Erinnerung an die badische Zeit, wo er bei irgend
jemand, man weiß nicht recht bei wem, wir glauben beim Citoyen Ledrn-Nollin,
en Mission kxtriwräiimirtz war, noch heute als Botschafter z. D. der zukünftigen
deutschen Republik. Daraus entwickelte sich mancherlei Komisches. Im Frühjahr
1864 z. B. kam Garibaldi nach London, wo er beim Herzog von Sutherland
oder genauer gesprochen bei der Herzogin Wohnung nahm; denn dieses Ehepaar
ist eins von denen, bei dem der Mann als Anhängsel seiner Iran Gemahlin
erscheint. Ueber die Erlebnisse und Bewegungen des rothen Generals von der
Ziegcninsel wurde täglich in den Zeitungen eine Art Oourt, Lüroulg-r ausgegeben,
und in demselben war denn auch eines schonen Tages zu lesen, daß Garibaldi bei
Herrn Karl Blind und dieser zwei Stunden später bei jenem „vorgefahren" sei.

Noch erheiternder ist es, zu betrachten, wie Herr Blind sich noch in diesen
letzten Tagen journalistisch als Diplomat geberdete in einer Probe von diplo¬
matischer Korrespondenz, in der er als die reine Lnstspielfigur erscheint. Wir
meinen den Versuch, den er in Lindaus „Gegenwart" (Ur. 28, vom 9. Juli d. I.)
in einem „Tunis und die französische Republik" überschriebncn und mit seinem
Namen gezeichneten Artikel unternommen hat, die Welt über das, was in Nord¬
afrika geschehen ist, und das, was von rechtswegen hätte geschehen sollen, auf¬
zuklären. Dieser Versuch ist allerdings völlig durchsichtig, aber auf zwei Neigungen
des deutschen Fortschrittlers nicht übel berechnet, auf die Neigung zu glauben,
daß jeder, der den Mund recht voll nimmt und eine recht weise Miene macht,
das Geschäft der dentschen Regierung nothwendig besser verstehe als diese selbst,
und die Neigung, sich in sittliche Entrüstung über andre Leute hineinreden zu lassen.
Die zwölf ministeriellen Collegen Blinds, die mit ihm im Cobden-Club sitzen, be¬
finden sich wie in andern Angelegenheiten so auch in Betreff der tunesischen Frage in
einer unbehaglichen Klemme. Auf die Erwerbung von Tunis durch die Franzosen
ließe sich Wort für Wort anwenden, was der Schutzheilige jenes Clubs über
die Eroberung Konstantinopels dnrch die Russen denkt, wenn er'") sagt: „Wir
dürfen getrost annehmen, daß, wenn Rußland sich der Hauptstadt der Türkei
bemächtigte, die Folgen davon wenigstens nicht minder günstig für die Mensch¬
heit und die Civilisation sein würden als die, welche sich vor einem Jahrhundert
aus seineu Eroberungen am Golfe von Finnland entwickelten," was er dann
anmuthig ausmalt. Die englischen Minister haben aber doch nicht den Muth,
das dem britischen Volke vorzutragen, dn dessen Fabrikanten und Kaufleute um
ihren Handel mit Nordafrika besorgt sind. Selber den Franzose» Halt gebieten
wollen sie aber auch nicht, weil die Pariser Presse schon grob geworden ist,



-) Malltts ?olitio-et Britin«» ut liiolmnl HMon, S. 78.
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[0282] Zur Charakteristik des Manchesterthums. Sache der englischen Freihändler, doch hielt er es für gut, bei diesen Bemühungen anonym zu bleiben. Jetzt scheint er die Zeit für gekommen zu halten, sich mit Namen zu Präsentiren. Er verrieth immer Neigung, den Diplomaten zu spielen, und betrachtet sich wohl in Erinnerung an die badische Zeit, wo er bei irgend jemand, man weiß nicht recht bei wem, wir glauben beim Citoyen Ledrn-Nollin, en Mission kxtriwräiimirtz war, noch heute als Botschafter z. D. der zukünftigen deutschen Republik. Daraus entwickelte sich mancherlei Komisches. Im Frühjahr 1864 z. B. kam Garibaldi nach London, wo er beim Herzog von Sutherland oder genauer gesprochen bei der Herzogin Wohnung nahm; denn dieses Ehepaar ist eins von denen, bei dem der Mann als Anhängsel seiner Iran Gemahlin erscheint. Ueber die Erlebnisse und Bewegungen des rothen Generals von der Ziegcninsel wurde täglich in den Zeitungen eine Art Oourt, Lüroulg-r ausgegeben, und in demselben war denn auch eines schonen Tages zu lesen, daß Garibaldi bei Herrn Karl Blind und dieser zwei Stunden später bei jenem „vorgefahren" sei. Noch erheiternder ist es, zu betrachten, wie Herr Blind sich noch in diesen letzten Tagen journalistisch als Diplomat geberdete in einer Probe von diplo¬ matischer Korrespondenz, in der er als die reine Lnstspielfigur erscheint. Wir meinen den Versuch, den er in Lindaus „Gegenwart" (Ur. 28, vom 9. Juli d. I.) in einem „Tunis und die französische Republik" überschriebncn und mit seinem Namen gezeichneten Artikel unternommen hat, die Welt über das, was in Nord¬ afrika geschehen ist, und das, was von rechtswegen hätte geschehen sollen, auf¬ zuklären. Dieser Versuch ist allerdings völlig durchsichtig, aber auf zwei Neigungen des deutschen Fortschrittlers nicht übel berechnet, auf die Neigung zu glauben, daß jeder, der den Mund recht voll nimmt und eine recht weise Miene macht, das Geschäft der dentschen Regierung nothwendig besser verstehe als diese selbst, und die Neigung, sich in sittliche Entrüstung über andre Leute hineinreden zu lassen. Die zwölf ministeriellen Collegen Blinds, die mit ihm im Cobden-Club sitzen, be¬ finden sich wie in andern Angelegenheiten so auch in Betreff der tunesischen Frage in einer unbehaglichen Klemme. Auf die Erwerbung von Tunis durch die Franzosen ließe sich Wort für Wort anwenden, was der Schutzheilige jenes Clubs über die Eroberung Konstantinopels dnrch die Russen denkt, wenn er'") sagt: „Wir dürfen getrost annehmen, daß, wenn Rußland sich der Hauptstadt der Türkei bemächtigte, die Folgen davon wenigstens nicht minder günstig für die Mensch¬ heit und die Civilisation sein würden als die, welche sich vor einem Jahrhundert aus seineu Eroberungen am Golfe von Finnland entwickelten," was er dann anmuthig ausmalt. Die englischen Minister haben aber doch nicht den Muth, das dem britischen Volke vorzutragen, dn dessen Fabrikanten und Kaufleute um ihren Handel mit Nordafrika besorgt sind. Selber den Franzose» Halt gebieten wollen sie aber auch nicht, weil die Pariser Presse schon grob geworden ist, -) Malltts ?olitio-et Britin«» ut liiolmnl HMon, S. 78.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/282>, abgerufen am 01.09.2024.